Eine zierliche Frau öffnet die Tür, ihr Gesicht ist knöchrig, die Hände sind wächsern. Joan Didion, 71, lächelt; sie bittet den Besuch Platz zu nehmen auf einem Stuhl neben einem Bücherstapel. Dann redet sie über den Tod.
Der Tod kam am 30. Dezember 2003. Didion und ihr Gatte waren zurückgekehrt aus dem Beth Israel Krankenhaus, in dem ihre Tochter Quintana mit Lungenentzündung und einem septischen Schock im Koma lag. Joan und John, ein Ehepaar seit 40 Jahren, trugen schwere Sorge, und doch sprachen die beiden nicht über die Tochter, ihr einziges Kind, gerade verheiratet und voller Pläne. Sie deckte den Tisch, er trank Whiskey und sprach über ein Buch. Es war der Anfang eines Abends, wie sie ihn ähnlich Tausende Male erlebt hatten, und "plötzlich war Stille". Herzinfarkt, auf der Sterbeurkunde steht 22.18 Uhr.
Ein Buch, das schmerzt
Joan Didion sitzt fast regungslos im Wohnzimmer, die Beine parallel, die Hände gefaltet. Hier muss er gelegen haben, als die Sanitäter kamen. Den Tod ihres Mannes verarbeitete Didion in dem Buch "The Year of Magical Thinking", das unter dem Titel "Das Jahr magischen Denkens" jetzt auf Deutsch erscheint. Es ist ein großes, kraftvolles Buch. Eines, das schmerzt.
Didion ist eine Ikone des "New Journalism" und wird in einer Reihe mit Tom Wolfe, Truman Capote und Norman Mailer genannt. Aber keines ihrer Werke war so erfolgreich wie das über den Tod des Mannes, die Krankheit der Tochter, den Schmerz.
Buchtipp
Joan Didion: "Das Jahr magischen Denkens"
Claassen-Verlag
Ü: Antje Ravic Strubel
Ab 14. 9. im Handel
Sie begann zu schreiben, als sie sich allmählich löste aus einem Zustand "magischen Denkens", oder anders: "craziness", Verrücktheit. Ihr war das Leben entglitten. Nichts hatte mehr gestimmt - Glück, Trauer, Angst, Sicherheit, Einsamkeit, Krankheit, Ehe. Alles verwob sich zu einem Teppich aus diffusen Gefühlen. Sie gab die Schuhe ihres Mannes nicht ab in die Kleidersammlung, weil er ja jeden Moment zurückkommen und sie brauchen würde. Sie las Türme von medizinischer Fachliteratur und Thomas Mann und T. S. Eliot. Sie suchte Antworten und fand keine "in diesem Zustand temporärer Verrücktheit". Aber dann, neun Monate nach Johns Tod, setzte sie sich hin und begann zu schreiben, 88 Tage lang. Und indem sie schrieb, gewann die Welt um sie herum wieder an Konturen. Sie schrieb, um sich zu heilen. Sie sagt: "Ich musste schreiben, ich kann nicht sitzen und denken, ohne das hinzuschreiben."
Als schließlich alles hingeschrieben war und gedruckt, starb Tochter Quintanta an einer Bauchspeicheldrüsenerkrankung, und der Prozess des Trauerns setzte von Neuem ein. Aber es war eine andere Trauer, nicht mehr getragen von "craziness". Sie sagt: "Viel davon habe ich bewältigt durch das Reflektieren über Johns Tod. Das ließ sich nicht trennen."
Lektionen des Todes
Es ist heiß, sie fragt noch einmal: "Möchten Sie Wasser?" Und dann spricht sie über die Lektionen des Todes. Von der Kontrolle, die sie, die Intellektuelle, stets zu haben schien über Leben, Arbeit, selbst Schicksal. "Ich habe gelernt, dass ich nicht alles kontrollieren kann. Ich musste akzeptieren, dass es Dinge gibt, die nicht zu reparieren sind." Das menschliche Herz beispielsweise, das kranke Herz des Mannes.
"Das Jahr magischen Denkens" wurde in den USA ein Bestseller, und Joan Didion war vor allem überrascht, wie viele junge Leute sich meldeten und bedankten. "Sie sehen darin einen Ratgeber." Aber nicht nur über den Umgang mit Trauer, sondern auch einen Ratgeber über die Liebe. Denn dies ist - trotz allem - auch ein Buch über eine Ehe, die 40 Jahre hielt, bis dass der Tod sie schied.
Manchmal, noch so eine Lektion, mischt sie sich ein, wenn Leute streiten. "Lasst das!", zischt sie, und die Streitenden schauen irritiert auf diese kleine Person. "Das Leben", sagt sie denen, "das Leben ist viel zu wertvoll und zu kurz, um zu streiten." Und dann ist Stille.