"Mein Abschied von Deutschland" "Quasireligiöser Welterlösungsfuror": Darum ist Matthias Politycki ausgewandert

Matthias Politycki
Der Schriftsteller Matthias Politycki hat Deutschland im vergangenen Jahr verlassen und ist nach Wien gezogen. 
© Horst Galuschka / DPA
Vergangenes Jahr verließ Matthias Politycki Deutschland und siedelte nach Wien über. Nun hat der Schriftsteller in einem Buch die Gründe erläutert.

Im vergangenen Jahr überraschte der Schriftsteller Matthias Politycki mit einem Gastbeitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Darin verkündete der 66-Jährige, Deutschland verlassen zu haben - und lieferte auch gleich die Erklärung für den Weggang: Ihn störten insbesondere die verengte Debattenkultur und ideologische Ingewahrsahmnahme der Sprache in diesem Land.

Der Artikel sorgte für einiges Aufsehen und verschaffte Politycki viel Publicity. Nun hat der 66-Jährige über das Thema ein ganzes Buch geschrieben. In "Mein Abschied von Deutschland. Wovon ich rede, wenn ich von Freiheit rede" erklärt der Schriftsteller ("Weiberroman", "Das kann uns keiner nehmen") auf 120 Seiten seine Beweggründe für den Auszug aus Deutschland.

Zunächst einmal erläutert er ausführlich, wie er die Debattenkultur in diesem Land wahrnimmt. Politycki hat dafür möglicherweise einen schärferen Blick als andere: Der Schriftsteller bereist seit Jahrzehnten die Welt und verbringt große Teile des Jahres im Ausland, vielfach auf anderen Kontinenten. 

Matthias Politycki über seinen Freiheitsbegriff

Wenn er zurückkehrt beobachtet er immer öfters Situationen, in denen sich einer empöre, schreibt Politycki, "weil ein anderer irgendwas gesagt hat, oder eigentlich: weil er es auf eine Weise gesagt hat, die dem einen nicht paßt, oder ganz eigentlich: weil er es vielleicht so gesagt haben könnte, wenn man den Quellen Glauben schenkt, und weil der Verdacht Anlaß genug ist, sich von ihm zu distanzieren". Oft sei dieser Anlass ein einziges Wort. 

Matthias Politycki: "Mein Abschied von Deutschland: Wovon ich rede, wenn ich von Freiheit rede"  Hoffmann und Campe, 144 Seiten, 16 Euro
Matthias Politycki: "Mein Abschied von Deutschland: Wovon ich rede, wenn ich von Freiheit rede"
Hoffmann und Campe, 144 Seiten, 16 Euro
© Hoffmann und Campe

Es folge dann oft kein klärendes Gespräch: "Mobbing, Aufkündigung der Zusammenarbeit oder soziale Ächtung" - das sei die Konsequenz, die der Andersdenkende zu spüren bekomme. Was Politycki besonders ärgert: Dass Argumente abgetan würden zugunsten einer Abqualifizierung des Gegenübers nach äußeren Kriterien wie Alter, Hautfarbe, Herkunft und Geschlecht. Als alter weißer mitteleuropäischer Mann, klagt der 66-Jährige, sei man pauschal im Unrecht. Die Urheber dieser neuen Richtung sind für Politycki klar: Es seien die "Wokisten", die andere qua Scham und Empörung mundtot machten. 

Diesem sich zunehmend von Ausgrenzung speisenden Diskurs setzt der Schriftsteller seinen eigenen Freiheitsbegriff entgegen: das Aushalten anderer Sichtweisen und Meinungen - solange diese sich im Rahmen der Gesetze verorten. Dabei bemüht Politycki immer wieder die Errungenschaften der Aufklärung, die er der "Gegenaufklärung" der "Wokeness" gegenüberstellt. "Als klassischer Linker bin ich sensibilisiert dafür, daß die Vision einer besseren Gesellschaft auch in üble Reglementierung und Gewaltherrschaft umschlagen kann."

Dabei, und das ist ein wichtiger Punkt, bekennt sich Matthias Politycki klar zu vielen Punkten, die auch die "Wokeness"-Bewegung antreibt, etwa das Eintreten für Minderheiten, und die Sensibilität gegenüber Rassismus. Was ihn davon unterscheidet ist deren "quasireligiöser Welterlösungsfuror", für Politycki eine "Pervertierung des emanzipatorischen, linken Denkens".

Identitätspolitik als Bedrohung

Für Politycki sind die Forderungen der Identitätspolitik eine Bedrohung, nicht nur für sein eigenes, kosmopolitisches Denken, sondern auch für seine Arbeit: Seine Romane spielen oftmals in fremden Ländern, er selbst sieht sich als Grenzgänger,  als Wanderer zwischen den Welten. Das, was man an seinen Büchern bislang als Weltoffenheit schätzte, befürchtet Politycki, könne schon bald als kulturelle Aneignung empfunden werden.

Der Schriftsteller schildert ein paar Beispiele aus der Verlagsbranche, wo es bereits Fälle von Selbstzensur gebe - die Bedrohung für die Kunstfreiheit ist also nicht nur er- und empfunden, sondern in einigen Fällen tatsächlich real.

Durch seine Selbstverortung im emanzipatorischen Lager gelingt es Politycki geschickt, dem Vorwurf zu entgehen, ein Ewiggestriger zu sein, der die von weißen  Männer dominierte Welt der 60er Jahre gerne zurückhaben würde. 

Beharren auf alter Rechtschreibung

Ein Eindruck, den er im letzten Viertel des Buches leider etwas zerstört. Denn da widmet er sich der Sprache und dem Gendern. Und offenbart hier an einigen Stellen ein Bedürfnis, auf sprachlicher Ebene in der guten alten Zeit zu verharren. 

Das beginnt mit seinem trotzigen Bestehen darauf, noch immer in alter Rechtschreibung zu schreiben, "einfach weil sie klarer und schöner ist". Das steht ihm als Schriftsteller selbstverständlich frei. Doch mehr als ein persönliches Geschmacksurteil ist diese Aussage eben nicht. Ein anderer findet vielleicht das Gendersternchen "klarer und schöner" - als Argument kann das nicht überzeugen. 

Vor allem liefert er mit seiner konservativen Orthographie einen eigenartigen Widerspruch zu seiner Sorge, die Sprache werde einem "aufgezwungen". Denn wenn er sich seit einem Vierteljahrhundert erfolgreich gegen die "Zumutung" zu Wehr setzt, "daß" mit Doppel-S zu schreiben - warum sollten dann seine Texte nicht auch weiterhin ohne Genderstern auskommen dürfen?

Wenig Neues zum Thema Gendern

Belege für den Zwang zum Gendern liefert er keine. An einer Stelle heißt es: "ab dem 15.6. muß - nein, kann auch in Hamburgs öffentlichen Einrichtungen gegendert werden". Genau wie er weiterhin bei bestimmten Wörtern das scharfe S verwenden kann - und nicht "muß", schon gar nicht muss!

Zu dem Thema an sich hat er dann leider wenig Neues zu sagen, was nicht auch von Peter Hahne bis Wolf Schneider vorgebracht wurde. 

Trotz dieser Schwächen ist das Buch im großen und ganzen lohnenswert. Denn es zeigt mit dem geschärften Blick eines nun Außenstehenden, wie sich unsere Gesellschaft verändert. Ob man diese Änderungen nun begrüßt oder sie ablehnt - in jedem Falle ist es hilfreich, sich darüber im Klaren zu sein. Es ist Polityckis Verdienst, dies so klar auf den Punkt gebracht zu haben.

"Mein Abschied von Deutschland: Wovon ich rede, wenn ich von Freiheit rede" von Matthias Politycki ist bei Hoffmann und Campe erschienen und kostet 16 Euro. Mehr auf hoffmann-und-campe.de