Matthias Politycki Wer eine Reise macht, hat viel zu erzählen

Skurriles aus aller Welt bietet Matthias Politycki in seinem Erzählungsband "Das Schweigen am andern Ende des Rüssels"
Skurriles aus aller Welt bietet Matthias Politycki in seinem Erzählungsband "Das Schweigen am andern Ende des Rüssels"
© Hoffmann & Campe
Mit dem "Weiberroman" gelang Matthias Politycki ein sprachgewaltiges Porträt bundesrepublikanischer Alltagskultur. In seinen neuen Buch "Das Schweigen am andern Ende des Rüssels" bricht er nun auf zu neuen und fernen Ufern.

Pünktlich zur Frankfurter Buchmesse meldet sich Matthias Politycki zurück. Der in Hamburg und München lebende Autor gelangte mit seinem "Weiberroman" zu einiger Bekanntheit. Darin beschreibt er eindrucksvoll die bundesrepublikanischen Lebens- und Liebesgeschichten der 70er und 80er Jahre. Seither gilt Politycki als glänzender Porträtist seiner - der "78er"-Generation. In dem nachfolgenden Werk "Ein Mann von vierzig Jahren" war sein schon aus dem "Weiberroman" bekannter Titelheld Gregor Schattschneider in den 90ern angekommen. Der Zeitgeist wandelte sich - Schattschneider hatte jedoch immer noch das gleiche Pech mit seinen Frauengeschichten wie in den vorangegangenen Jahrzehnten.

Pop- und Alltagskulturen

Die Art, wie Politycki hier den Alltag einfing, Gegenstände und Popkulturelles als Bestandteile des Lebens seiner Protagonisten schilderte, bot bei oberflächlicher Lektüre eine Parallele zu den Ergüssen der sogenannten Popliteraten - und war doch so anders. Schon mit seiner ausgefeilten Sprache und der mehrere Jahrzehnte umspannenden Handlung hob er sich wohltuend ab. Daneben vermied er gekonnt jeglichen Autobiografismus, von dem viele Werke der "Popliteraten" getränkt sind. Bei allem aber vergaß Matthias Politycki das Eine nicht: eine unterhaltsame Geschichte zu erzählen.

Von Todtraurig bis urkomisch

Womit das neue Buch ins Spiel kommt: In "Das Schweigen am andern Ende des Rüssels" bietet der Wahl-Hamburger insgesamt 15 über den ganzen Erdball verstreute Erzählungen auf, von einem Gedicht zu Beginn und am Schluss eingerahmt. Die Geschichten - mal in Afrika, Südostasien, Sofia oder auf dem texanischen Highway spielend - sind komisch, traurig, brutal, skurril, oft auch alles zugleich.

Da macht sich eine Reisegruppe in Sri Lanka auf nach World's End, um dort Buddhas goldenen Schließmuskel zu besichtigen. In Sofia entdecken ein Handlungsreisender und ein Literaturwissenschaftler ihre gemeinsame Vorliebe für ein Callgirl. Und "Safari mit Paul" erzählt auf unglaublich komische Art und Weise den Verlauf einer Afrika-Rundfahrt, die für Paul doch eigentlich gar nicht so komisch verläuft und beinahe tödlich endet.

Von der Brutalität des Banalen

Alle Geschichten laufen auf ein retardierendes Moment, eine Sekunde der Stille hinaus, in der die "Weltzeitgeschichte" (Titel zweier symmetrisch angeordneter Erzählungen), durchschimmert. Als öffne sich in dieser Sekunde ein imaginärer Vorhang, der den Blick freimacht auf Geschehnisse an anderen Orten der Welt. Zumeist bricht in diesen Momenten die Brutalität, mitunter auch die Banalität des Alltags durch (sofern das nicht das gleiche ist) .

Der Tod ist immer mit im Boot

Bei aller Gegensätzlichkeit zu seinen vorherigen Büchern zeigt sich hier, dass "Das Schweigen am andern Ende des Rüssels" die sinnvolle Ergänzung zu den beiden Schattschneider-Romanen ist. Standen dort "Liebeserschütterungen" im Mittelpunkt, so brechen hier Erschütterungen einer anderen Art in die Erzählungen ein. Deutlich wird dies bei der im Zentrum stehenden Geschichte: "Tag eines Schriftstellers" hält die letzten Stunden vom Vater des Schriftstellers fest. Sie tut dies auf eine protokollarische, beobachtende Weise, die vielleicht gerade wegen ihrer betonten Sachlichkeit so nahe geht.

In dem vorliegenden Band hat Matthias Politycki nicht einfach eine Sammlung von Reise-Erzählungen versammelt. Vielmehr präsentiert er einen symmetrisch angelegten, auf verschiedenen Ebenen zum Teil sehr subtil miteinander verwobenen Zyklus. Damit löst er genau das ein, was er selbst als "neue deutsche Lesbarkeit" bezeichnet: Wer tiefer in die Materie einsteigt, dem eröffnet sich ein Kosmos von Bezügen und Sinnebenen. Doch auf der erzählerischen Ebene handelt es sich um einfach nur spannend zu lesende Geschichten. Und vielleicht geht es dem Leser am Ende wie der Reisegruppe nach der Besichtigung von Buddhas goldenem Schließmuskel und er denkt sich: "He, das is ja wirklich irre, das glaubt mir zu Hause kein Schwein!"