Wer sie das erste Mal sieht, hält sie wohl für eine wunderliche Alte: Im schwarzen Lederoutfit, mit zig Ketten um den Hals, an dem zusätzlich mindestens eine Kamera baumelt, zieht eine zierliche, blonde Dame von grob geschätzten 70 Jahren (das wahre Alter kennen nicht einmal Freunde) an allen Journalisten vorbei in die erste Reihe der Berlinale-Pressekonferenzen. Ihre Tasche zottelt sie dabei wie an der Leine hinter sich her.
Keiner der Fotografen, die sich Jahr um Jahr beim Kampf um den besten Platz fast an die Gurgel gehen, sagt einen Ton. Auch nicht, wenn sie einem die schwere Tasche auf dem Fuß abstellt. Sie machen Platz und schweigen voller Respekt. Das bekommt die kleine Frau allerdings gar nicht mit, schließlich muss sie Bilder schießen: Erika Rabau gehört seit den 60er Jahren zum Berlinale-Inventar, seit 1972 ist sie die einzige offizielle Fotografin der Internationalen Filmfestspiele Berlin. Und sie hat noch jeden der Stars gekriegt. Sei es auf der Pressekonferenz, am roten Teppich, auf der Party oder am Flughafen.
300 ihrer Filmfest-Bilder aus den Jahren 1963 bis 1985 sind derzeit im Museum für Kommunikation in Berlin zu sehen. Und der Spaziergang am roten Teppich durch die Zeit macht einen ganz schwindelig. Wenn man in der Mitte des Atriums steht und sich schnell um die eigene Achse dreht, fliegen die Filmgrößen nur so durch den Gebäudehimmel: Romy Schneider, Gina Lollobrigida, Harvey Keitel, Peter Ustinov, James Stewart, Lilli Palmer, Mario Adorf, Jack Nicholson, Rainer Werner Fassbinder, Roman Polanski, Jean-Luc Godard, Kirk Douglas, die Knef, Rühmann... wie Blitzlichter strahlen ihre lächelnden Gesichter auf, denn Rabau hat immer genau im richtigen Augenblick auf den Auslöser gedrückt.
Kinski frei von Über-Image
Doch irgendetwas ist anders an diesen Schwarz-Weiß-Porträts, die mal groß, mal kleiner an den Wänden hängen und in der Halle schweben: Das sind Menschen, keine perfekten Plastikpuppen, wie wir sie heute immer wieder präsentiert bekommen. Rabau zeigt schöne Frauen, aber mit Gesichtern, in denen ein Leben steht. Und selbst Klaus Kinski verliert von seinem Über-Image, wenn er direkt in ihre Linse guckt und sie zu fragen scheint, was er hier eigentlich soll.
Natürlich ist auch das Dekolletee der Lollo zu sehen, so wie das Kinngrübchen von Kirk Douglas. Aber das sind Momentaufnahmen aus der Bewegung heraus. Voller Leben. Der Betrachter weiß, dass der Mann, der "Spartacus" war, in seinen heftigen 70er-Jahre-Schlaghosen gleich aus dem Bild verschwinden und nicht zur Ikone erstarren wird.
"Ich mache keine Starfotos, sondern Actionfotos", sagt die Fotografin über ihre Arbeit. Dass sie dafür vor vier Jahren mit dem Ehrenbären der Berlinale ausgezeichnet wurde, hat sie dann allerdings nicht so ganz verstanden: "Aber auf der Berlinale mache ich doch nur, was alle Fotografen machen." Sprach's und knipste lieber die Leute, die ihre Laudatio hielten, anstatt auf der Bühne still zu sitzen und sich die Lobpreisungen anzuhören.
Wettbewerb abgebrochen
Und während man ihre Bilder studiert, durch die verschiedenen Phasen und Neuanfänge springt, die dieses Filmfestival erlebt hat, lernt man ganz nebenbei, dass der Regisseur Michael Verhoeven 1970 mit seinem Antikriegsfilm "OK" für einen Skandal gesorgt hat, der zum Abbruch des Wettbewerbs führte und auch zur Absage der Preisverleihung. Dass Roman Polanski 1968 allen Ernstes in Rolf Edens Kudamm-Disko Big Eden ging, und dass es schon damals Wesen gab, die aussehen wie Olivia Jones.
Der Betrachter erfährt auch, dass Martin Scorsese 1981 einen Vortrag über das Problem des Farbverlustes beim Filmmaterial hielt - wenn er nur gewusst hätte, dass er sich die Filmrollen bald ganz sparen kann. Und während Wim Wenders mit Solveig Dommartin tanzt, der Hauptdarstellerin aus "Der Himmel über Berlin", lacht gegenüber Sophia Loren, und Rainer Werner Fassbinder steht mit offenem Hemd über dem Bierbauch und Zigarette im Gesicht auf dem Flugplatz.
Das Bild fest im Griff
Wie eine große internationale Berlinale-Familie führt die Ausstellung das Filmvolk aus allen Himmelsrichtungen zusammen. Und alle scheinen zufrieden. Aber das liegt wohl auch an der Frau hinter der Kamera, von der Freunde sagen, dass ihrer begeisterten, strahlenden Art nicht einmal die Stars widerstehen können. Nein, ein Bild, das Rabau selbst zeigt, sucht man hier vergebens. Um das zu sehen, muss man in den Katalog gucken: Da lacht ein offenes Gesicht unter blonden Haaren - und hat das Bild fest im Griff.
Ausstellung: "Erika Rabau - Eine Berlinerin mit ihrer Kamera. Bilder der Berliner Filmfestspiele 1963-1985", bis zum 24. März im Museum für Kommunikation in Berlin
In der Sektion Panorama der Berlinale 2008 wird mit "Der Puck von Berlin" eine Dokumentation über Rabau zu sehen sein