Den schwersten Job der 60. Internationalen Filmfestspiele Berlin hatte wohl der berühmte britische Filmkritiker David Thomson. Für den Jubiläums-Rückblick auf die Festivalgeschichte musste der Mann aus 15.000 Filmen, die je auf dem Festival gezeigt wurden, die bedeutsamsten heraussuchen. 38 Filme sind übriggeblieben. Das wird sicher Ärger geben, schließlich sind Kinofans meist besonders überzeugt von der eigenen Meinung.
Doch neben dem Rückblick geht es bei der Berlinale ja vor allem um den Blick nach vorn, in die Zukunft des Kinos. Und bei der, sagte Festivalchef Dieter Kosslick auf der Berlinale-Konferenz am Montag, gehe es in diesem Jahr vor allem um Familie. "Das letzte Kraftzentrum" in einer zerfallenden Welt, wie er es nannte. Auch der Eröffnungs- und der Abschlussfilm - der chinesische "Apart together" und der japanische "About her Brother" - erzählen von Verwandtschaftsqualen und -glück.
Von Jessica Alba bis Shah Rukh Khan
Kosslick, wie immer mit dickem roten Schal, knüpfte daran mehrfach den Hinweis auf die historische Bedeutung des Filmfestivals, das ab dem 11. Februar zum 60. Mal das Kino feiert. Als es - von den Amerikanern gegründet - 1951 erstmals die Kinotüren öffnete, war es auch Teil der Propagandaschlacht gegen den Osten. Zwar ist die Wiedervereinigung nun auch schon 20 Jahre her, aber am Anfang stand die Trennung der Familien. So sind auch die Ehrenpreise politisch korrekt: Zwei Berlinale-Kameras gehen an die "westdeutsche" Schauspielerin Hanna Schygulla und den "ostdeutschen" Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase.
Womit wir beim roten Teppich sind. Der brummt auch in diesem Jahr ordentlich: Zuerst läuft Hollywoodstar und Jurymitglied Renée Zellweger drüber, an der Seite von Jurypräsident Werner Herzog. Internationale Stars wie Jessica Alba, Ewan McGregor, Ben Stiller, Gérard Depardieu, Shah Rukh Khan, Leonardo DiCaprio und Ben Kingsley kommen, um ihre Wettbewerbsfilme zu präsentieren.
Nicht auf dem roten Teppich, weil immer inkognito, aber trotzdem anwesend sein wird der britische Graffiti-Künstler Banksy, dessen Werk ein ganzer Film gewidmet ist. "Exit through the Gift Shop" läuft im Wettbewerb außer Konkurrenz.
Krise? Welche Krise?
Das deutsche Kino tritt neben mehreren internationalen Ko-Produktionen - wie Roman Polanskis "The Ghost Writer" - mit Benjamin Heisenbergs "Der Räuber" (Deutschland-Österreich) im Rennen um die Edelmetall-Bären an. Oskar Roehler erzählt mit "Jud Süß - Film ohne Gewissen" (Deutschland-Österreich) die Geschichte korrumpierbarer Kunst. Die Widersprüche islamischer und deutscher Kultur hat der afghanischstämmige Regisseur Burhan Qurbani in "Die Himmelsleiter" verwoben. 26 Filme aus 25 Ländern laufen im diesjährigen Wettbewerb - auch ein Werk aus Haiti ist mit dabei. Insgesamt werden auf der 60. Berlinale 392 Filme in 970 Vorführungen gezeigt. Das sind trotz Wirtschaftskrise mehr als im vergangenen Jahr.
Dem European Filmmarket gehe es den Umständen entsprechend gut, hieß es auf der Pressekonferenz. Der Gropius-Bau, wo die Branchenvertreter abseits des Festivalglamours über zu machende und zu verkaufende Filme verhandeln, sei voll. Zwar seien Firmen eingegangen, dafür aber auch neue entstanden. Großes Thema, auch unter dem Einfluss des gigantischen Erfolges von James Camerons "Avatar", ist in Berlin die 3D-Technik.
"Pack die Badehose ein"
Die Verschmelzung alter und neuer Technik zu bewundern gibt es mit der Welturaufführung der restaurierten Fassung von Fritz Langs Stimmfilmklassiker "Metropolis". 25 Minuten mehr gibt es zu sehen, wenn das Leinwandepos live aus dem Friedrichstadtpalast ans Brandenburger Tor übertragen wird. Umsonst und draußen ist das Meisterwerk für jederman zu sehen. Was allerdings bei der Kälte ein schwieriges Großereignis werden könnte.
Kosslick versuchte es mit Autosuggestion: Über ein Mitglied der diesjährigen Jury freue er sich ganz besonders, sagte der Filmfestleiter zum Abschluss: Kinderstar und Schauspielerin Cornelia Froboess wird mit über die besten Filme entscheiden. Und die habe schließlich im Gründungsjahr der Berlinale 1951 den Hit gesungen "Pack die Badehose ein", den auch der dreijährige Kosslick begeistert mitgeträllert habe. Glücklich sind die, die bei minus zwei Grad ans Baden denken.