"Wer reinkommt, ist drin" lautete der Titel der ersten Episode und das Credo von "Kir Royal", Helmut Dietls großartigem TV-Wurf um den Klatschreporter Baby Schimmerlos. Ähnlich läuft das auch hier in Cannes: Wer einmal reinkommt, bleibt drin. Emir Kusturica zum Beispiel. Ein paar Mal im Wettbewerb gewesen, zweimal gewonnen, und jetzt feierte natürlich auch seine Maradona-Doku, außer Konkurrenz, ihre Premiere an der Croisette. Oder die Dardenne-Brüder. Ebenfalls doppelter Palmensieger und selbstredend mit ihrer aktuellen Produktion "Le silence de Lorna" im Rennen. Der Türke Nuri Bilge Ceylan: zum dritten Mal am Start. Der Franzose Arnaud Desplechin: zum vierten Mal.
Erfreulicherweise auch im inneren und damit im erlauchten Kreis angekommen: Fatih Akin, der 2005 in die Palmen-Jury berufen wurde, vergangenes Jahr mit "Auf der anderen Seite" im Wettbewerb vertreten war (und den Drehbuchpreis gewann) und nun Chef-Juror für die Nebenreihe "Un certain regard" vorsitzt. Drin zu sein ist für einen Regisseur eine feine Sache, weil nicht immer die Qualität seines jüngsten Werkes entscheidend sein muss für die Einladung, sondern die Tatsache, dass er drin ist.
Symbolüberfrachtung, Verquastheit und bemühter Leichtigkeit
Der neue Film von Wim Wenders belegt diese These recht anschaulich. Mit "Palermo Shooting" erhöht der Palmen-Gewinner von 1984 (für "Paris, Texas") seine Teilnahme-Quote auf Neun, der Düsseldorfer zählt längst zum Festival-Inventar. Kam sein letzter Cannes-Beitrag, das Familien-Drama "Don't Come Knocking" noch angenehm gefühlig und zugänglich daher, leidet die Geschichte über einen Midlife-kriselnden Starfotografen wieder unter der Wenders-typischen Kombination aus Symbolüberfrachtung, Verquastheit und bemühter Leichtigkeit.
"40 Jahre gelebt und was habe ich davon?" fragt sich Finn, weltweit als Bildkünstler und Modefotograf gefeiert und mit viel Einsatz gespielt von "Tote Hosen"-Sänger Campino. Die Antwort auf diese Frage ist einem bereits nach ungefähr 30 anstrengenden Minuten allein deshalb schon relativ gleichgültig, weil dem ausgebrannten Helden auf seinem Weg zur Erkenntnis permanent philosophisch wertvolle Bronzesätze in den Mund gelegt werden, die er dann aus dem Off auch noch ans Publikum richten muss.
Bizarre Begegnungen mit dem Tod
Der Auftrag für ein Shooting verlegt die Meditation über verpasste Chancen, die Vergänglichkeit von Zeit, und die trügerische Wahrheit von Bildern dann von Düsseldorf nach Palermo, wo sie durch eine hübsche Sightseeing-Tour, dem Finden der großen Liebe (Giovanna Mezzogiorno) und bizarren Begegnungen mit dem Tod (Dennis Hopper) komplettiert wird. Letzterer, glatzköpfig, weiß gepudert und ebenfalls existenzkriselnd, darf dann über das Leben, den, nun ja, Tod, das Gute, das Böse, und die Vorteile der Negativfotografie gegenüber der Digitalen sinnieren.
Zurück bleibt wie immer bei Wenders ein polarisiertes Publikum, das entweder genervt unter einem mittelschweren Erschöpfungssyndrom leidet oder in Jubelstürme ausbricht (wie gestern bei der Premiere). Bleibt die Hoffnung, dass der exzellente Soundtrack (unter anderem mit Get Well Soon, Portishead, Nick Cave) bald auf CD erscheint.
Der Zuschauer sitzt mittendrin
Noch nicht so richtig drin, aber vielleicht bald ist Laurent Cantet, der mit "Entre les murs" kurz vor Schluss noch einen Mitfavoriten auf die Goldene Palme geliefert hat. Sein Konzept ist ebenso schlicht wie überzeugend: eine Schule in einem Pariser Problembezirk, 24 Schüler, die meisten mit Migrationshintergrund und ein Lehrer, der mit viel Idealismus, Geduld und Engagement versucht, den Kids vernünftiges Französisch beizubringen. Rund drei Viertel des Films spielen im Klassenzimmer, der Zuschauer sitzt mittendrin, erlebt hautnah und ungefiltert, was er jeden Tag über Bildungsmisere, Integration und Erziehungsprobleme in den Zeitungen liest. Pisa II - Der Film sozusagen.
Eine Studie der ganz anderen Art ist schließlich Barry Levinsons Filmbiz-Satire "What Just Happened", die den ersehnten Kontrast zur Bierernsthaftigkeit des Wettbewerbs bildet. Das wird sich wohl auch der künstlerische Direktor Thierry Frémaux gedacht haben, der die prominent besetzte Komödie ins Programm gehoben hat, obwohl sie zuvor bereits beim Sundance Festival Premiere gefeiert hatte - und nicht gerade enthusiastisch aufgenommen worden war. Die Einblicke in das bizarre Leben des Produzenten Ben (Robert De Niro), der sich mit zwei Ex-Frauen, einem ständig zugedröhnten Regisseur, Geldgebern aus der Reinigungsbranche, einem magenkranken Agenten, einem toten Agenten, renintenten Stars mit Vollbärten und der Tatsache auseinandersetzen muss, dass er seine beste Zeit hinter sich hat, liefern weder sonderlich neue noch sonderlich bissige Erkenntnisse über das Irrenhaus Hollywood.
Egal. "What Just Happenend" ist wie gemalt für einen Cannes-Abschluss, allein schon deshalb, weil eine der amüsantesten Szenen auf dem Festival spielt. Wunderbar, wie schön das alles zusammenpasst: Robert De Niro wird vor der Vorführung des Films die Goldene Palme überreichen, über deren Vergabe die Jury entschieden hat, deren Präsident Sean Penn ist, der in "What Just Happenend" sich selbst spielt und darin mit einem Film in Cannes Premiere feiert, was sich wiederum der Produzent Art Linson ausgedacht hat, der das Drehbuch zu "What Just Happenend" schrieb und Sean Penns letzten Film "Into The Wild" produziert hat.
Passieren schon verrückte Sachen in dieser Branche.