Schau mal einer an, die Zonis: Hatten die doch tatsächlich auch so was ähnliches wie Alltag, manchmal sogar etwas zu lachen. Hörten Radio und schleuderten ihre Wäsche (beides elektrisch), fraßen tapfer ihre eigene Schokolade und haben sich hinterher sogar die Zähne geputzt - mit Zahnpasta. Respekt!
Und was für einen Spaß die hatten beim FKK und den Jungpionieren, beim Subotnik und im Kollektiv. Ernähren sich zwar bis heute nur von sauren Gurken und süßem Sekt, aber hatten trotzdem eine fröhliche Kindheit. Wer hätte das gedacht? Nicht schlecht. Alle Achtung!
Wer dieser Tage fernsieht, bekommt ein Bild von der DDR gemalt, wie sich das, so schön und schlicht, nicht mal das DDR-Fernsehen getraut hätte. Mit jeder neuen Sendung wird das kleine graue Land bunter. Ein Potpourri aus "Weißt du noch?" und alten Klischees: Broiler, Busen und Bananen. Zuerst scheuchte das ZDF zwei vorlaute Jungpioniere durch eine "Ostalgie-Show", in der vor lauter Stolz kein Mensch ausreden konnte, so viele von "unseren Sportlern", "unseren Schauspielern" und "unseren Improvisationskünstlern" waren da. Auf Sat 1 präsentieren Axel Schulz und Ulrich Meyer die "ultimative" Akte Ost. Pro Sieben plant was mit Achim Mentzel. Für den MDR und seinen "Kessel DDR" bleiben kaum noch Altlasten übrig, und im Grunde kann man nur froh sein, dass Erich Honecker tot ist, sonst hätte der auch längst seine eigene Show.
Seit dieser Woche zieht nun endlich auch Kati Witt ihr FDJ-Hemd wieder an, um für RTL so selbstverständlich über die Vorzüge des SED-Regimes zu schwärmen, wie das schon früher ihr Parteiauftrag war. "Von Ampelmännchen bis Zentralkomitee" will die "DDR Show" alles beleuchten, was dort "den Alltag ausgemacht" hat, sogar die ganz schlimmen Sachen wie "Vita-Cola, Puhdys oder Schlangestehen für Bananen".
Und wegen so ein paar Unanehmlichkeiten haben sich mehr als 1000 Leute auf der Flucht erschießen lassen? Kaum zu glauben, dass Zehntausende so bescheuert waren und lieber ins Gefängnis gingen, statt beim Kessel Buntes mitzuschunkeln. Wieso eigentlich, fragt man sich bei so viel Wehmut und Sehnsucht, wollten die am Ende überhaupt ihr warmes, kuscheliges Land gegen kalte Ellenbogen und Arbeitslosigkeit tauschen?
Darum geht es nicht, sagen die Sender einmütig, als hätten sie das in einem gemeinsamen Zirkel für Agitation und Propaganda geübt: Die böse DDR ist langweilig. Jetzt kommt mal die andere Seite dran, "die schönen Erinnerungen". Und die will sich niemand von Doping oder Mauertoten vermiesen lassen, erst recht nicht von ein paar griesgrämigen Bürgerrechtlern, die gar eine "Verharmlosung der SED-Verbrechen" fürchten. Als wenn es nur das wäre!
Die eigentliche Frechheit
ist die Attitüde, mit der nun "das wirkliche Leben drüben" entdeckt wird. Auf einmal, nach 13 Jahren, wird den Ossis zugestanden, sich doch nicht nur den ganzen Tag gegenseitig bespitzelt, sondern nebenbei auch mal gelacht, geliebt und halbwegs menschenwürdig überlebt zu haben. Das ist der Gipfel der Arroganz. Womöglich sollen sie dafür noch dankbar sein.
Das "wirkliche Leben" im Osten hat früher kein Schwein interessiert, und das ist heute nicht anders. Mit der ganzen Ambivalenz dieses Landes und seiner komischen Bewohner konnte der Westen noch nie etwas anfangen, deshalb gibt es immer nur die halbe Wahrheit: Entweder man gruselt sich über die Stasi oder beeumelt sich über Zonen-Gabi und ihr groteskes Verhalten.
Nichts gegen Erinnerungen: Der Ossi mag solche Freakshows, lacht gern über sich selbst und ist von Haus aus gelernter Masochist. Perfide wird es nur, wenn ihm wie jetzt ein Trend in die Schuhe geschoben wird, den es nie gab und den man nur deshalb braucht, weil es nach den erfolgreichen Retroshows über die siebziger und achtziger Jahre noch zu früh für ein Revival der Neunziger ist.
Wenn es überhaupt so etwas wie Ostalgie gibt, dann sicher nicht im Osten. Vielleicht in Hamburg, wo sich am vergangenen Wochenende ein paar volltrunkene Wessis eine DDR-Fahne um die Schultern wickelten und 30 Euro für ein so genanntes "OSTival" mit den Puhdys ausgaben.
Im Osten hört niemand aus Spaß
schlechte Musik, nicht mal früher war das so. Wenn sich Schlangen vor den Plattenläden bildeten, dann nicht wegen der Alibi-Rocker von Amiga, sondern weil sich die Gerüchte über eine Lizenzplatte von Phil Collins verdichtet hatten.
Natürlich wurde auch in der DDR langsam getanzt oder geknutscht. Aber die gleichen glasigen Augen bekommt jede Oma, wenn Marika Rökk "In der Nacht ist der Mensch nicht gern alleine" singt. Ufa 1944. Trotzdem schwärmt sie nicht jeden Tag vom Krieg. Genauso hat es nichts mit Sehnsucht nach der DDR zu tun, wenn irgendwo verbranntes Öl in der Ossi-Nase kitzelt. Dann steht wahrscheinlich nur einer der letzten Trabis zehn Meter vor ihr im Stau, und das ist nichts anderes als der Duft der Backstube aus dem Ort, in dem man aufwuchs, das Heu in den Ferien bei Opa und Oma, Kindheits- und Jugenderinnerungen, die man ganz bestimmt nicht der DDR gutschreiben kann.
Wer sich einmal mit Sandpapier abgewischt hat, verwechselt das nie wieder: Die DDR war nicht schlecht, weil ihr Klopapier so war, sondern das Klopapier war schlecht, weil die DDR so war.
Von wegen Nostalgie: Gerade in diesen Tagen droht dem aus Funk und Fernsehen bekannten "Ossiversand" nach einer ersten Insolvenz zum zweiten Mal das Aus. Dass den Spezialversand für Hallorenkugeln und Halberstädter Würstchen ein Münchner führt, ist vielleicht Zufall - nicht aber der Trugschluss, dass irgendein Ossi irgendetwas kauft, weil irgendein Wessi "Legende" oder "Kult" draufschreibt, "von hier" oder gar "von uns".
So streichen sich die meisten Ossis nach wie vor der Wende lieber Nutella auf die Bemme als "unser Nudossi". Aber wenn jemand Pflaumenmus aus Mühlhausen bevorzugt, wird gleich Ostalgie unterstellt. Dabei könnte es ja auch sein, dass es einfach besser schmeckt, dass inzwischen sogar Ossis souveräne Kaufentscheidungen treffen und sich die albernen Shows nur ansehen, um sich rechtschaffen darüber aufzuregen.
Die Fernsehsender jubeln jedenfalls über sensationelle Quoten und glauben sogar, nun wachse wirklich zusammen, was zusammengehört. Dass aber ausgerechnet DDR-Nostalgie die Einheit vollenden soll, ist nicht nur ein Aberwitz an sich, sondern der beste Beleg dafür, was bisher wirklich schief gelaufen ist.
Das fängt mit dem oft
zitierten Satz von Willy Brandt an, den er angeblich am 10. November 1989 vor dem Schöneberger Rathaus gesagt hat. Hat er aber gar nicht. Stattdessen formulierte er es am 4. Oktober 1990 im Berliner Reichstagsgebäude so: "Mit Takt und Respekt vor dem Selbstwertgefühl der bisher von uns getrennten Landsleute wird es möglich sein, dass ohne entstellende Narben zusammenwächst, was zusammengehört."
Besser ließ sich die Krux der Wiedervereinigung im Voraus kaum beschreiben. Für Takt und Respekt war in den neunziger Jahren keine Zeit und das Selbstwertgefühl vor allem vieler älterer Ossis spätestens nach ihrer Abwicklung im Eimer. Sie saßen mit fünfzig auf dem Arbeitsamt, ihr Leben scheinbar vergeudet, nichts mehr wert. Und dann bekamen sie auch noch die Stasi und ihre schrottreifen Fabriken um die Ohren geknallt. Selbst schuld, wer das so lange mitgemacht hat, zur falschen Zeit am falschen Ort.
Daraus wuchs ein Trotz
, den der Schriftsteller Klaus Schlesinger in seinem Buch "Von der Schwierigkeit, Westler zu werden" so beschrieb: "Ich kann es einfach nicht mehr hören, wenn mir geleckte Affen aus den Talkshows erklären wollen, wie ich dreißig Jahre lang gelebt habe, und warum es sich nicht gelohnt hat."
Genau diese Gefühle hat dann ausgerechnet die PDS jahrelang missbraucht und damit gleichzeitig jede Erinnerung negativ besetzt. Selbst Leute wie Schlesinger, die dem System DDR keine einzige Träne nachweinten, sahen deshalb schon in den frühen neunziger Jahren nur einen Ausweg aus dem ganzen Schlamassel: "Der Westen müsste die moralische Größe aufbringen und die DDR noch einmal völkerrechtlich anerkennen. Sozusagen posthum, und mit allen Konsequenzen. Das könnte den Leuten im Osten vielleicht das wiedergeben, was ihnen tagtäglich genommen wird: ihre Geschichte."
Na also, könnte man glauben, wenigstens die bekommen sie jetzt zurück. Aber das Gegenteil ist der Fall: Gerade hatten die Ossis langsam den Kopf aus den Schultern gezogen, hatten nach 13 Jahren endlich aufgehört, sich für ihre Herkunft zu schämen und die SED-Nachfolger abgewählt. Da kamen die Ostalgie-Shows.
Auf einmal werden sie auf allen Kanälen wieder daran erinnert, dass man es viel zu lange in einem Land ausgehalten hat, in dem Figuren wie Wolfgang Lippert oder Achim Mentzel als Stars galten. Ein Land, das offenbar immer noch am besten von einem NVA-Sportler wie dem Feldwebel Axel Schulz oder SED-Kati repräsentiert wird. Ein Land, mit dem viele ihrer Gäste jahrelang nichts zu tun haben wollten, weil es nervte, weil Ostvergangenheit womöglich der neuen Karriere schadete und man als prominenter Schauspieler nachträglich nicht so einfach als Widerstandskämpfer durchging. Aber Schwamm drüber: Jetzt sagen wieder alle "wir".
Es ist wie im Theater
: Nach der Tragödie kommt die Komödie und schließlich die Farce. Weil es keine Sonderabschreibungen für Immobilien mehr gibt, eignet sich der Westen nun das an, was er für Ostalgie hält, macht Fernsehshows und Geschäfte daraus.
Was die Trendmacher meinen, aber nicht begreifen, ist etwas anderes. Etwas, was man keinem Ossi erklären muss und keinem Wessi erklären kann. Es ist das, was selbst die jüngsten "Zonenkinder" wie Jana Hensel nach zehn Jahren Westen plötzlich vermissen, etwas, das sie verdrängt, vielleicht sogar verleugnet und bei ihren Eltern vor zehn Jahren noch belächelt haben. Es ist eine merkwürdige Mischung aus verlorenen Wurzeln und enttäuschten Sehnsüchten, eine Rückbesinnung auf Zeiten, in denen Geld scheinbar keine Rolle spielte, ein feines Gespür für falsche Parolen und Trends und natürlich die Summe all dieser wertvollen Erfahrungen, die Claudia Rusch in ihrem Buch "Meine Freie Deutsche Jugend" die "Abwesenheit von Selbstverständlichkeit" nennt.
Mit bunten Eierbechern oder Frank Schöbel hat das so wenig zu tun wie der Film "Good Bye, Lenin!" mit Ostalgie, auch wenn gerade der wegen seines Erfolges ständig als Trendsetter herhalten muss.
Wer bei diesem Film auch nur den Anflug von DDR-Nostalgie spürt, hat vorher wahrscheinlich auch Ulf Merbold für den ersten Deutschen im All gehalten. "Good Bye, Lenin!" war genau das Gegenteil der DDR-Shows: Er hat nicht versucht, den Alltag der DDR zu zeigen, sondern lediglich den Wahnsinn der Wendemonate, noch hat er irgendetwas verharmlost. Die Mutter von Alex fällt ins Koma, nachdem sie gesehen hat, wie brutale Vopos gegen Demonstranten vorgingen. Ihr Sohn wiederum will sie vor den Ungeheuerlichkeiten der Wende bewahren, weil er nicht weiß, dass seine Mutter die linientreue Pionierleiterin nur gespielt hat.
Alles Lüge, alles Verpackung, das war die Botschaft des Films, und dass Aldi-Gurken auch nicht schlechter schmecken als Orginal-Spreewälder. Alles andere ist "Ostalgie" made in West. Ob Ampelmännchen, Gurken oder Rotkäppchensekt: immer die gleiche Geschichte.
Der Tübinger Industriedesigner Markus Heckhausen ist bis heute stolz darauf, den Ost-Ampelmann per Kampagne zu einem Politikum aufgebaut zu haben. Plötzlich fanden auch Ost-Politiker ihr Ampelmännchen "knuffiger" und "gemütlicher" als den Kollegen West. Genauso gut hätte man behaupten können, es sei fett und faul und trage einen Hut wie Honecker. Aber der clevere Schwabe machte einen auf Ost-Identität, sicherte sich die Marke als "Eingetragenes Warenzeichen" und kassiert nun Lizenzgebühren für jedes Ampelmännchen-T-Shirt.
Auch die Spreewälder Gurken
müssen ständig als Symbol für Ostprodukte herhalten, als wenn es vor dem Krieg im Spreewald keine Gurken gegeben oder die DDR das Rezept zum Einlegen erfunden hätte. Bis 2001 und bis zum Europäischen Gerichtshof zog sich ein jahrelanger Streit um die angebliche Ostmarke "Spreewälder Art". Bizarrerweise liegen die siegreichen Abfüllfabriken Jütro und Spreewaldhof weder im Spreewald, noch gehören sie Ossis.
Aber Rotkäppchen, wenigstens "unser Rotkäppchen", hat doch mit Mumm und M&M sogar zwei westdeutsche Konkurrenten geschluckt! Schöne Story, aber leider auch nur die halbe Wahrheit: Denn natürlich gehörte Rotkäppchen da längst zum westdeutschen Eckes-Clan. Außerdem war der Sekt auch lange vor 1945 überall bekannt. Damals noch als mitteldeutsche Marke.
Dafür hängt nun die hässliche Trainingsjacke der Nationalen Volksarmee in Supermärkten. Sie kostet zehn Euro und hängt im Osten wie Blei, sagen die Verkäufer. Niemand, der diese Jacke einmal tragen musste, zieht sie freiwillig wieder an, nicht einmal Axel Schulz, für den sie zur Uniform gehörte - nur ein Wessi wie Oliver Geissen von RTL bringt das fertig. Nach Auskunft der real-Zentrale in Mönchengladbach wird sie von einem Hersteller in Westdeutschland nachgemacht, "der aber nicht genannt werden will". Die Idee stammt ebenfalls von einem westdeutschen Mitarbeiter, so Pressesprecherin Silke Wimmers. "Schon unsere DDR-T-Shirts haben sich so gut verkauft", sagt sie, "aber kurioserweise fast nur im Westen."