Götz George Ruhrpottpreuße mit Rückgrat

  • von Mark Stöhr
Durch Karl May wurde er bekannt, mit Fassbinder wollte er nicht drehen - da spielte er lieber Theater. Die Rolle des raubeinigen Ruhrpottbullen Schimanski machte Götz George zum Lieblingskommissar aller Deutschen. Am 23. Juli wird der Charakterdarsteller George 70 Jahre alt. Wir gratulieren!

Lieber Götz George,

Sie sind keiner, den man so einfach duzt. Das unterscheidet Sie von vielen Ihrer Schauspielerkollegen, die mit dem Dolch im Ärmel Brüderschaft trinken und die Fotografen zu sich ins Wohnzimmer holen. So etwas käme Ihnen nie in den Sinn. Eher schicken Sie schon mal Ihre Anwälte los, wenn sich der Ring um Ihr Haus auf Sardinien enger zieht.

Wie damals, 1996, als sich die Boulevardpresse an Ihrem schweren Badeunfall - pardon - ergötzte oder, ein Jahr später, an der Trennung von Ihrer langjährigen Lebensgefährtin Gabi Pauler. Auch Ihre Herzoperation vor einem Jahr hielten Sie lange geheim. Als Reinhold Beckmann in seiner Sendung nicht aufhörte zu bohren, konterten Sie irgendwann genervt: "Es musste ja nicht der Motor ausgebaut, sondern nur ein Wasserschlauch ausgetauscht werden." Sie liebten es schon immer plastisch - und immer auf Distanz.

Fast 60 Jahre Schauspielerei haben ihre Spuren hinterlassen. Nicht im Gesicht und in der Statur, die sind erstaunlich jungenhaft geblieben. Selbst den Galan können Sie noch spielen, ohne sich ganz der Lächerlichkeit preiszugeben. Eskapaden und Exzesse, die auf Kosten der Gesundheit gingen, suchte man bei Ihnen stets vergebens. Aber die Kränkungen haben Sie dünnhäutiger werden lassen.

Alles Schrott von Kleinkrämerseelen und Quotenmaklern

Für Popularität gibt es hierzulande Prügel - kaum einer hat das so stark am eigenen Leib erlebt und so oft beklagt wie Sie. Die Arbeit sei heutzutage ein einziges "Überlebenstraining", sagten Sie einmal. Wenn es um die Qualität des Fernsehens geht, sind Sie ganz und gar Kulturpessimist: Alles Schrott von Kleinkrämerseelen und Quotenmaklern, bis auf wenige Ausnahmen. In denen spielen Sie dann meistens selber mit.

Als Sie 2007 den Deutschen Fernsehpreis für Ihr Lebenswerk erhielten und sich die versammelte Mischpoke der großen und kleinen Sternchen von ihren Plätzen erhob, kämpften Sie dann allerdings doch mit den Tränen. Waren Sie gerührt von der plötzlichen Liebesbekundung? Oder doch mehr gerührt von Ihrer eigenen Rührung? Egal, mit dem ersten Satz Ihrer Dankesrede kehrten Sie gleich wieder zur Erde zurück: "Ich habe so wahnsinnig Durst und Hunger, wir müssen zum Ende kommen". So richtig trauten Sie dem Braten nicht, es sei denn, er wartete in Form von Filetscheiben am VIP-Büffet.

Mit Ihrer Rolle des Duisburger "Tatort"-Kommissars Horst Schimanski haben Sie Fernsehgeschichte geschrieben. Einen wie "Schimmi", der flucht und säuft und gleich mit der Tür ins Haus fällt, hatte es bis dahin noch nicht gegeben. Ein Kritiker schrieb damals über Sie: "Er hat den sensiblen Vitalismus mit dem Bärencharme drauf und eine unterschwellig erotische Gewalttätigkeit - ganz der Papa!"

"Ganz der Papa!"

Andere hätten den Vergleich als Zumutung empfunden, Sie nicht. Sie haben nie einen Hehl aus ihrer tiefen Verehrung für Ihren Vater Heinrich George gemacht. Noch heute haben Sie in jedem Rollenbuch einen Artikel über ihn bei sich. Papas Kino - das waren noch andere Zeiten. Da war Größe noch groß, da wurde Kunst gemacht vor der Kamera. Wäre der Vater nicht 1946 in einem sowjetischen Internierungslager an einem Herzinfarkt gestorben, hätte er bestimmt irgendwann auch die Rolle eines "Tatort"-Kommissars angeboten bekommen, sagen Sie. Und er hätte geantwortet: "Ich scheiß‘ euch vor den Koffer, das hat doch mit dem Beruf nichts zu tun."

"Papas Kino" wurde Ihnen aber auch zum Verhängnis, als die Revoluzzer des Jungen Deutschen Films Ende der 60er Jahre auf die Barrikaden gingen. Für die waren Sie nichts mehr als der junge, alte Held aus den vielen Karl May-Verfilmungen. Rainer Werner Fassbinder soll bei der Besetzung des Franz Biberkopf für seinen Film "Berlin Alexanderplatz" zumindest an Sie gedacht haben. Sie trafen ihn an einem Flipperautomaten in Berlin und wechselten ein paar dürre Worte mit ihm. Das war nicht Ihre Welt, Sie spielten stattdessen lieber für einige Zeit Theater.

Eine preußische Eiche lässt sich nicht so leicht verpflanzen

Vielleicht hätten Sie gleich ins Ausland gehen sollen, wie Romy Schneider, mit der Sie 1953 zusammen in "Wenn der weiße Flieder wieder blüht" spielten. Es blieb bei kurzen Ausflügen, in "Ostwind" etwa von Jean-Luc Godard. Eine preußische Eiche wie Sie ließ sich nicht so ohne weiteres verpflanzen, auch damit hielten Sie es ganz wie Ihr Vater. 1995 kam er dann trotzdem, der große internationale Erfolg. Für die Rolle des Serienmörders Fritz Haarmann in Romuald Karmakars Kammerspiel "Der Totmacher" erhielten Sie in Venedig einen Löwen als bester Schauspieler. Und was machten Sie? Sie fingen kurze Zeit später wieder an als "Schimmi" zu ermitteln.

Man muss nicht 70 werden, um als "old-fashioned" zu gelten. Sie waren es immer auf Ihre Art. In Ihrem protestantischen Arbeitsethos, der auf absolute Disziplin setzt, in Ihrem intensiven, körperlichen Spiel, das komplett in der Figur aufgeht. Bei den Dreharbeiten zu "Der Novembermann", einem Ihrer jüngeren Filme, trugen Sie den ganzen Tag dunkel getönte Kontaktlinsen, um der Wahrnehmung eines Blinden so nahe wie möglich zu kommen. Manche Kollegen hätten sich mit dem Besuch eines Blindenheims zufrieden gegeben, Sie nicht.

Wie feiert so einer wie Sie seinen 70. Geburtstag? Wahrscheinlich im kleinen Kreis auf Sardinien oder bei einem Glas Sekt am Set. Wahre Größe braucht keinen großen Bahnhof. Wir wünschen alles Gute!

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