Die meisten Schauspielerinnen in Hollywood - und übrigens auch die meisten Schauspieler - haben mehr Busen als Keira Knightley, aber niemand bekommt so oft Gelegenheit, ihn für ein Millionenpublikum herzurichten. Statt sie, was naheläge, höflich zu ignorieren, werden die Brüste der 22-jährigen Britin mit schöner Regelmäßigkeit gestützt, gequetscht und hochgeschoben, mit Spitzen und Brokat gerahmt und mühsam zu jenem Quellen animiert, das bei Britney überm Hosenbund so easy aussieht und im vorliegenden Falle einem ausgetüftelten Spezialeffekt gleichkommt.
Ihre größten Kassenerfolge und ihre erste Oscar-Nominierung erspielte sich Keira Knightley quasi im Wonderbra - wobei der Reiz dieser jungen Schauspielerin weniger im Konvexen ihres Dekolletés liegt als im Konkaven ihrer exquisiten Gesichtszüge. Keiner kann aristokratisch so gut wie sie: Unter ihren Wangenknochen senken sich jene erstrebenswerten Schatten, für die Marlene Dietrich sich einst Backenzähne ziehen ließ; ein leichter Unterbiss höhlt weiterhin die Wangen, sodass die Lippen sich schließen wie in beständigem, noblem Verdruss.
Und wären die Prinzessinnen aus dem englischen Königshaus Beauties, trügen sie alle Schnuten wie Keira Knightley, stolz und zickig und adelig hoch zehn. "Fuck", sagt Keira Knightley. Es ist eines ihrer Lieblingswörter, sie trägt es immer bei sich und kann es dezent fallen lassen, als wär's beim Tee im Buckingham- Palast, und damit herausplatzen wie nach drei Guinness. Soeben wählte sie die Kneipen-Variante. "Ich weiß auch nicht, weshalb ich immer wieder Aristokratinnen spiele. Mein Vater stammt aus dem Londoner East End, bitte schön, meine Vorfahren sind praktisch Bauern."
Und dann lacht sie, als käme sie gerade vom Melken, ihre braunen Augen werden ganz klein und ihre Zähne ganz groß. Von einer Sekunde auf die andere kann diese Frau aussehen wie eine Glamour-Göttin und dann wieder wie ein prolliges Londoner Gör, das vom Hollywooderfolg so weit entfernt ist wie Camilla von der Thronfolge. Das ist nicht das Handicap der Keira Knightley. Es ist das Geheimnis ihres Erfolgs. Als der britische Regisseur Joe Wright 2005 den Jane-Austen-Klassiker "Stolz und Vorurteil" neu verfilmte, erkannte er in dem Jungstar genau die richtige Mischung aus fast altmodischer, eleganter Schönheit und etwas unübersehbar Modernem; eine Direktheit, die eine 200 Jahre alte Romanze mit einem Wimpernschlag in die Jetztzeit befördern konnte.
Sie ist gespalten, was ihre so rasch gewachsene Berühmtheit angeht
Keira galt damals bereits als das neue "It-Girl": Der erste Teil der Abenteuer-Trilogie "Fluch der Karibik" hatte sich zum weltumspannenden Megahit entwickelt, und die Seefahrerbraut zeigte kurz darauf im Historienspektakel "King Arthur" eine so erfrischende Noblesse, dass selbst zynischste Filmkritiker die Brünette mit dem netten Akzent nicht in die Starlet-Schublade packen wollten - süß und sexy und die Nächste bitte, vielen Dank. Ihre Rolle in "Stolz und Vorurteil" brachte Keira 2006 eine Oscar-Nominierung. Da war sie 20 Jahre alt und fand Hollywood zum Fürchten. Nach der Verleihung stand sie auf einer der berühmten After-Show-Partys und stürzte ein Glas Champagner nach dem nächsten herunter, um das aufgeregte Geblubber um sich herum zu dämpfen; Gerede über wichtige Projekte und wichtige Menschen und Karriere und Erfolg und Ich, Ich, Ich. Nicht, dass ihr die Branche fremd wäre: Ihr Vater Will tritt in London auf Bühnen und im Fernsehen auf, ihre Mutter Sharman ist Theaterautorin. Von Kindheit an spielte Keira kleine Rollen, mit sechs nahm sie ein Agent unter Vertrag. Auch ihr Bruder Caleb, ein Filmkomponist, ist vom Fach, so dreht sich in der Familie alles ums Verkleiden und Verbeugen und Als-ob. Und dennoch bewahrt Keira sich einen gesunden Abstand zum Geschäft, wählt Filmangebote nicht nach Erfolgsaussicht aus, sondern "ob es sich richtig für mich anfühlt".
So wie die Rolle der britischen Upperclass-Zicke Cecilia, wieder so eine Noble mit verdrießlichem Mund, deren Leben zerstört wird durch eine falsche Beschuldigung ihrer kleinen Schwester. "Abbitte", die Verfilmung des Romans von Ian McEwan, gilt in den USA als ein Oscar-Favorit, nominiert wird im Januar. Mitte Dezember wurde Keira für einen Golden Globe vorgeschlagen; das geht ja schon mal gut los. Sie habe soooo viel Glück, sagt sie neuerdings in fast jedem Interview - weil sie fast immer dasselbe gefragt wird. Wie fühlt man sich als Aufsteigerin, als Star des Jahres? Sie wehrt ab. Sagt, sie sei auch nicht interessanter als andere Leute, habe ihre Hochs und Tiefs wie alle. Sie ist gespalten, was ihre so rasch gewachsene Berühmtheit angeht. Einerseits mache sie "leidenschaftlich gern" Filme. Andererseits würde sie gern mal wieder ausgehen, ohne von Paparazzi oder Fans mit Handy-Kamera beim Essen geknipst zu werden. Seit den Dreharbeiten von "Stolz und Vorurteil" ist sie mit dem Kollegen Rupert Friend liiert. Mit viel Geschick schafft sie es, den Klatschspalten fernzubleiben. Geschick und ein bisschen aristokratische Zickigkeit; sie näselt, bei dem Thema fühle sie sich "unwohl".
Man möchte ihr dringend einen Schokoriegel zustecken
Anfang des Jahres hat sie die britische Tageszeitung "Daily Mail" verklagt, weil dort behauptet wurde, sie sei magersüchtig. Nun ist sie - selbst auf den roten Teppichen des notorisch unterernährten Hollywood - ein aufsehenerregend dünnes Mädchen. Wie einst bei der Garbo - die sich vor der Kamera bewegte wie ein plumpes schwedisches Ross - liegt der Zauber Keira Knightleys vollständig in diesem atemberaubend schönen Gesicht. Ihre Körpersprache ist ungelenk, das Knochige schmerzhaft; in "Abbitte" möchte man ihr dringend einen Schokoriegel zustecken. Barsch erklärt sie, in ihrer Familie habe es zwei Fälle von Anorexie gegeben, sie nehme das Problem durchaus ernst - und lasse deshalb nicht fälschlich die Behauptung auf sich sitzen. Die Zeitung zahlte 3000 Pfund Schadensersatz. Dünn hin oder her, im neuen Film "The Duchess" muss das Fleisch wieder quellen. Als Georgiana Spencer, Herzogin von Devonshire, Vorfahrin von Lady Di und eine Art "It-Girl" des 18. Jahrhunderts, trägt Keira Rokoko-Roben und tiefes Dekolleté. Eine Rolle, ganz auf sie zugeschnitten. Denn das Konvexe, wie man weiß, lässt sich machen. Aber das Konkave, das kann keine besser als sie.