Wettbewerb für Handyfilme Kunst mit Schmutzschleudern

Von Johannes Gernert
Livekonzerte, Schulhofschlägereien oder verwackelte Urlaubserinnerungen - seit Handys auch Kameras haben, wird alles gefilmt, was vor die Linse kommt. Das Mobilfilmfestival will jetzt wieder beweisen, dass mit Taschentelefonen auch Interessantes entstehen kann.

Man kann mit einem Handy ganz schön übles Zeug produzieren. Mit dem Label "Happy Slapping" beispielsweise werden mittlerweile Filmchen bezeichnet, auf denen sich Teenager gegenseitig verprügeln. Die Clips tauschen Schüler heutzutage angeblich wie frühere Generationen Panini-Bildchen. Ähnlich beliebt sind die Erzeugnisse aus der Rotlichtabteilung, die auf einschlägigen Internetseiten kursieren. Da werden die Kommunikationsgeräte fremden Frauen unter den Rock und der eigenen Freundin zwischen die Beine gehalten. Nicht unter der Gürtellinie, aber doch im Bereich des Geschmacklosen, bewegen sich jene zweiminütigen Konzertmitschnittschnipsel, die klingen, als hätte jemand den Ton durch den Fleischwolf gedreht. Das Handy im 21. Jahrhundert: eine einzige Schmutzschleuder.

Hochwertiges mit niedriger Auflösung

Dass sich mit den winzigen Kameras hinterm Hörer trotz niedriger Auflösung auch deutlich Hochwertigeres herstellen lässt, das versucht Isabelle Azoulay in diesen Tagen wieder zu zeigen. "Mit dem Handy kann man intelligente Filme machen", sagt die Autorin. Um das zu beweisen, hat sie das Mobilefilmfestival von Frankreich nach Deutschland gebracht. Im zweiten Jahr nun schon konkurrieren dabei Telefonfilmer um die Hauptpreise. Insgesamt sind 3000 Euro zu gewinnen. Im Gegensatz zu den Wettbewerben, mit denen sich Handyhersteller in den vergangenen Jahren gerne geschmückt haben, ist Azoulays Festival vergleichsweise unabhängig. Es gibt mehrere Sponsoren. 2008 zählt nicht einmal eine Taschentelefonfirma dazu.

Blödeleien für YouTube

Teilnehmen ist relativ einfach. Die Regeln: ein Handy, ein Clip, eine Minute. Die Beiträge werden auf die Festivalseite geladen. Azoulay wählt 50 Filmchen aus, über die dann eine recht prominente Jury entscheidet. Darin sitzen etwa der Produzent Oliver Berben und die Schauspielerin Anna Maria Mühe. Ursprünglich hatte die Organisatorin gedacht, sie würde einfach alle Einreichungen auf der Seite lassen. Dann entschied sie sich allerdings: "Wir sind keine Schrottplattform." Manches lehnt sie jetzt ab. Sie will sich eben nicht nur von Schulhofschlägereien und Pornographischem distanzieren. Auch die Blödeleien würde sie gerne den etablierten, großen Videoportalen wie YouTube überlassen. Die Chancen, dass das klappt, stehen ihrer Ansicht nach gar nicht schlecht: "Es gibt eine Szene von sehr interessierten Leuten, wo man von Slapstick und Skurrilem wegkommt." Besonders gut gefällt ihr derzeit ein Film, der "Hommage" heißt und eine ebensolche für einen verstorbenen Stummfilmpianisten ist.

Auch die Gewinner des vergangenen Jahres haben gezeigt, dass der Anspruch sich nicht proportional zur Pixelzahl verhalten muss. In einem kleinen Krimi mit dem Titel "Rauchen kann tödlich sein" kombiniert ein Handyfilmemacher den wackligen, grobkörnigen Dokumentarstil mit Videospielelementen. Die Handlung ist simpel: Eine Mutter schickt die Tochter zum Rauchen vor die Tür. Da nähert sich der Mörder. Innerhalb weniger Sekunden baut sich tatsächlich eine Art Instant-Spannung auf, die sich am Ende mit einem Schrei entlädt.

Für die originellste Idee ist 2007 ein Clip ausgezeichnet worden, der eigentlich nur davon handelt, dass ein Mann und eine Frau alleine oder zu zweit in eine Dusche steigen und den Vorhang zuziehen. Immer wieder. Absurdes Kino mit einer Chaplinesken Slapstick-Optik. Im derzeitigen Wettbewerb gibt es natürlich auch Leute, die sich einfach die Kamera vor das grimassierende Gesicht halten und seltsame Sätze als Freitagsphilosophie verkaufen: "Wenn du gestresst bist vom Leben, warte nicht aufs nächste Beben." Ein klassischer Fall von YouTube-Bananalität.

Traum von der europaweiten Vernetzung

Azoulay hofft, dass ihr Festival, das derzeit in Frankreich und Deutschland existiert, langfristig in weitere Länder expandiert. Sie führt Gespräche mit Isländern, Marokkanern und Türken. Ihr Traum wäre eine europaweite Vernetzung. Damit könnte sich eine ganz eigene Filmsprache entwickeln, sagt sie. Sie sieht darin eine neue Art von Kreativität. Ein Gegenpol zum Schmuddelimage. Pädagogisch allerdings will sie nicht wirken. Das tun bereits andere. Das Institut für Medienpädagogik in München etwa veranstaltet seit einigen Jahren das Festival Ohrenblick. Zurzeit ziehen die Mitarbeiter wieder durch vorwiegend bayerische Schulen und klären übers Handy auf. "Es geht um Gewalt, Persönlichkeitsrechte, Kosten, Strahlung", sagt Kati Struckmeyer, die solche Workshops gibt. Mit welchem Material macht man sich strafbar? Die Schüler seien da manchmal recht arglos. Weil die reine Theorie aber ein bisschen langweilig wäre, wird das Ganze mit dem Handyfilmfestival verbunden.

Tabuisierung, findet Struckmeyer, würde ohnehin nichts bringen. Für die Selbstdarstellung in Bildern und Filmchen sei das mobile Telefon den Teenagern extrem wichtig. Also könne man den Drang zur Kurzclipproduktion auch positiv nutzen. Die Ästhetik der Filme, die dabei entstehen, erinnert sie oft an Musikvideos. Schnell, wacklig, schrill, laut. Aber immer: frei von Sex und Gewalt. Die Münchner sind nicht die einzigen, die die Kleinstkameras zu Bildungszwecken einsetzen. In Berlin gab es im vergangenen Jahr ähnliche Workshops - mit dem Schauspieler Oktay Özdemir. Der hatte zuvor als Migrantenungeheuer einige Rollen im großformatigen "Happy Slapping"-Bereich gespielt, dachte während der Arbeit mit den Schülern aber vor allem laut darüber nach, wie es wäre, seinen kleinen Sohn mit dem Handy zu filmen. Er wünschte sich, nicht immer nur der Bösewicht zu sein.

Diesen Wunsch haben Isabelle Azoulay und andere Festivalveranstalter dem Teilzeit-Schmuddelkind Handy schon erfüllt. Seit dem 20. März kann das Publikum auf www.mobilefilmfestival.com über 50 ausgewählte Filme abstimmen. Die Preisverleihung findet dann am 10. April in Berlin statt.

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