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Mickey Rourke "Der Krieg ist vorbei"

Er war einer der größten Schauspieler seiner Generation, die ungeduschte Antithese zu den klinischen Achtzigern. Dann stürzte er ab und verlor alles. Nun feiert Mickey Rourke ein Comeback, an das nicht mal er selbst geglaubt hat.

Mit einer Stunde Verspätung schlurft Mickey Rourke in die Bar eines Londoner Hotels, lässt sich vorsichtig in einen Sessel sinken und schiebt die Sonnenbrille auf die Stirn. Er trägt einen Nadelstreifenanzug mit Einstecktuch, sein Händedruck ist schlaff, die Augen blicken glasig.

Mr. Rourke, Sie sehen mitgenommen aus.

Ja, wir hatten einige Partys in den vergangenen Tagen. Ich bin wieder im Geschäft und finde es großartig.

Früher hatten Sie für Hollywood nur Verachtung übrig. Sie sagten, es gehe nur ums Geld, nicht um die Kunst. Was ist heute anders?

Sehen Sie, ich habe in den letzten Tagen 94 Interviews gegeben. Jetzt sitze ich schon wieder hier. Damals hätte ich Sie rausgeschmissen. Und wenn nicht, hätte ich Bullshit geredet. "Schöne Titten, Baby", alles Mögliche. Ich hätte bloß nicht vernünftig und professionell mit Ihnen reden können. Aber nun war ich so lange aus dem Geschäft, jetzt weiß ich es zu schätzen.

Ihr Verhältnis zu Hollywood hat sich entspannt?

Ja. Früher wollte ich mich dieser Industrie um keinen Preis anpassen, ich dachte, ich sei ein so begnadeter Schauspieler, dass ich stärker sei als das System. Heute weiß ich, es ist Teil des beschissenen Spiels: Wer arbeiten will, muss mitspielen. Der Krieg ist vorbei. Der neue Mickey lehnt sich zurück und sagt: Okay, was wollt ihr haben?

Damals waren Sie ein Kotzbrocken: Sie haben Rollen abgelehnt, nur weil Ihnen der Mantel des Regisseurs nicht gepasst hat, mit anderen Schauspielern haben Sie gar nicht erst geredet, in Ihrer Freizeit haben Sie sich in Bars geprügelt ...

Ja, und ich bin durch Beverly Hills gelaufen mit zehn Hell's Angels um mich rum. Wissen Sie, es war einfach zu viel Wut in mir. Es ging mir wunderbar, aber ich war nicht dankbar - weder für mein Geld und meine Karriere, noch für meine Gesundheit und meine wunderschöne Frau. Es tat weh, Mickey Rourke zu sein. Ich bin wütend aufgewacht und wütend ins Bett gegangen.

Wo kam all die Wut her?

Ich habe lange gebraucht, das zu kapieren. Eigentlich habe ich mich geschämt. Irgendwann habe ich in den Spiegel gesehen und erkannt: Das da ist der Scheißbastard, nicht die anderen, die ich gehasst habe. Ich beschuldige niemanden mehr außer mich selbst. Vielleicht noch diejenigen, die mich vor langer Zeit zu dem gemacht haben, der ich bin.

Sie sind in einem Ghetto in Miami aufgewachsen. Ihr Stiefvater hat sie geschlagen.

Es sind schlimme Dinge passiert, die man sich nicht vorstellen will. Dinge, die du auch nicht mit Ruhm und Geld kompensieren kannst. Als ich klein war Aber ich will nicht darüber reden. Wenn du als Kind verletzt wirst, wirst du es nie wieder los. Es ist ein Teil von dir, es ist, als säßest du lebenslang im Gefängnis.

Wie sind Sie damit fertig geworden?

Ich musste lange mit meinem Therapeuten reden, seit neun Jahren bin ich bei ihm. Er hat gesagt: Wenn du alle Menschen so behandelst, als wären sie der Mann, der dich verletzt hat, dann verlierst du, und er gewinnt. Das will ich jetzt verhindern. Mein Stiefvater hat so viel in meinem Leben zerstört, ich will dagegen kämpfen, dass er mir den Rest auch noch zerstört. Er soll mich nicht länger kontrollieren.

In den Achtzigern kauften Sie sich einen goldenen Rolls-Royce, einen Nachtclub und eine Villa in Beverly Hills, in der Sie so lange gefeiert haben, bis alle Nachbarn ausgezogen waren. Haben Sie sich betäubt?

Vielleicht. Verloren war ich, verwirrt. Ein beschissener Idiot. Umgeben von anderen roboterhaften, beschissenen Idioten, Jasagern, die immer hinter mir hergekrochen sind und eigentlich nur mein Geld wollten.

Ist es schwierig, ein Filmstar zu sein, ohne zum Arschloch zu werden?

Ja. Die Leute behandeln dich auf einmal anders. Es war bizarr. 15 Jahre vorher, als ich keinen einzigen Dollar besaß, hat mich niemand im Restaurant eingeladen. Und wenn du es dir auf einmal leisten kannst, sagen sie: "No money, please." Die, die dir wie einem Hund in den Arsch getreten haben, küssen ihn dir auf einmal. Damit konnte ich nicht umgehen.

Sie haben Dustin Hoffman nicht zurückgerufen, der Ihnen die Rolle von Tom Cruise in "Rain Man" angeboten hat, Sie konnten sich noch nicht mal den Namen Ihres Agenten merken. Wurden Sie größenwahnsinnig?

Ich wurde arrogant. Ich dachte, ich verdiene das alles, weil ich so unglaublich gut bin. Und irgendwann wurde ich müde, Filme zu machen, es langweilte mich.

Sie drehten Filme wie "Harley Davidson and the Marlboro Man" mit Don Johnson und haben das Drehbuch zu "Pulp Fiction" noch nicht mal gelesen.

Ich bereue verdammt viel, glauben Sie mir. Aber ich habe mich mit dem Erfolg nicht wohlgefühlt. Ich dachte: Das kann nicht ich sein. Ich fühlte mich wohler auf der Straße, da komme ich her. Ich hasse sie, aber sie ist ein Teil von mir.

Sie waren befreundet mit dem inzwischen ermordeten Rapper Tupac Shakur, dem Mafia-Boss John Gotti und Sonny Barger, dem Chef der Hell's Angels.

Ich fühle mich wohl mit Leuten, die auch von der Straße kommen. Nehmen Sie Robert hier (Rourke deutet auf einen Begleiter, der aussieht wie ein mexikanischer Drogendealer). Ich kenne ihn seit 15 Jahren. Bevor er mein Fahrer wurde, war er Bankräuber (Rourke ballert mit einer imaginären Pistole in die Luft), acht Jahre hat er gesessen. Ich mag ihn.

Sie begannen Anfang der Neunziger eine Karriere als Profiboxer. Sie waren Mitte 30 ...

... und ich hab gegen Typen gekämpft, die zehn Jahre jünger waren als ich. Aber ich dachte, Fuck, bevor ich nur noch angeln kann, will ich noch boxen. Dieser Traum hat mich seit meiner Jugend verfolgt.

Ist Boxen so ähnlich wie Schauspielern?

Beides hat mit denselben Dingen zu tun: mit Instinkt, Körpersprache, Konzentration. Du musst die Dinge fokussieren, und du brauchst Disziplin. Als Boxer habe ich wie ein Tier trainiert, ich hatte verdammten Schiss!

Am Ende hatten Sie eine fünfmal gebrochene Nase, einen zerschmetterten Wangenknochen und ein angegriffenes Nervensystem. Sie lebten von 200 Dollar in der Woche in einem Apartment, so groß wie ein Schuhkarton.

Ja, ich war ganz unten. Ich musste meine Motorräder verkaufen, um die Miete zahlen zu können. Das hat mich umgebracht, glauben Sie mir. Vor elf Jahren hatte ich zehn Motorräder, heute habe ich nur noch eins.

Wann ist Ihnen klar geworden, dass Sie einen Therapeuten brauchen?

Es musste erst der schwärzeste Punkt meines Lebens kommen. Vor neun Jahren habe ich in meinem Haus in Los Angeles gesessen. Es regnete, blitzte, donnerte. Das Haus gehörte der Bank, ich hatte alles verkauft, alles verloren: meine Freunde, meine Motorräder, meine Ehre. Und dann wollte meine Frau mich verlassen. Sie hat zu mir gesagt: "Wenn ich bei dir bleibe, fange ich wieder mit den Drogen an. Du bringst mich um, du bist nicht beständig." Beständig: Das Wort musste ich erst mal nachschlagen. Heute weiß ich, dass sie Recht hatte. Ich habe wie ein Kind geweint, gefleht: Bitte geh nicht.

In der Presse war zu lesen, dass Sie sich den kleinen Finger abgeschnitten hätten.

Ja, um sie am Gehen zu hindern. Ich habe geblutet wie ein Schwein. Aber sehen Sie, er ist wieder angenäht worden (Rourke zeigt seine linke Hand mit der Narbe).

Ihre Ehe mit dem Model Carré Otis hat für viele Schlagzeilen gesorgt. Sie haben sich immer wieder getrennt, Otis hat Sie wegen Körperverletzung angezeigt. Lieben Sie sie immer noch?

Natürlich. Ich habe seit neun Jahren keine neue Beziehung. Nur eine Menge Mädchen. Meine Hunde, sieben Chihuahuas, sind meine Ersatzfamilie, für zehn Millionen Dollar würde ich nicht einen einzigen von ihnen verkaufen. Sie geben mir Halt. Ich habe sie mir angeschafft, als meine Frau mich verlassen hat. Ich wollte sie nicht durch eine andere ersetzen.

Und Sie beschlossen, sich zu ändern?

Ja. Ich hatte ein aufgedunsenes Gesicht, lange Haare, einen aufgepumpten Körper und dachte: Jesus Christ, was ist aus dir geworden! Ich sah im Spiegel ein Monster. Ich sah Marv.

Marv ist Ihre Rolle in dem Gewalt-Epos "Sin City", ein Schläger, der Amok läuft, nachdem seine Freundin ermordet wurde. Identifizieren Sie sich mit ihm?

Ja, natürlich. Ich wünschte, es wäre anders. Marv ist außer Kontrolle. Wenn man ihn schief von der Seite anguckt, dreht er durch. So war ich auch.

Sie haben häufig Figuren gespielt, die sich selbst zerstören.

Davon fühle ich mich wohl angezogen. Ich habe Erfahrung auf dem Gebiet (lacht). Und solche Rollen sind oft auch die komplexeren, spannenderen. Aber wer weiß - jetzt, wo ich mich geändert habe -, vielleicht spiele ich da ja auch mal was anderes. Ich will bloß keine langweiligen Arschlöcher spielen.

Sind Sie denn ein Langweiler geworden?

Der alte Mickey würde den neuen Mickey zum Kotzen finden! Er geht ein-, zweimal die Woche in die Kirche, ist viel alleine zu Hause. Er steht um 6.30 Uhr auf und geht ins Fitnessstudio, dann frühstückt er, macht seinen Yoga-Kurs. Danach beschäftigt er sich mit seinen Hunden, geht wieder ins Fitnessstudio, isst zu Abend und geht um zehn Uhr schlafen.

Klingt verdammt langweilig.

Das ist es. Deshalb lebe ich in L. A., der langweiligsten Stadt der Welt. Ich hasse es, aber in London oder New York würde ich die Kontrolle verlieren.

Man hört, Ihr neuer Lebenswandel habe viel mit Ihrem Agenten David Unger zu tun.

Ja. Er hat mich gerettet. Als ich am Boden lag, hat ihn der liebe Gott geschickt.

Der liebe Gott?

Ich bin sehr gläubig. Als mein jüngerer Bruder krank war, habe ich viel für ihn gebetet. Er starb vor fünf Monaten. Jetzt ist er eine Etage über mir und richtet es schon einmal ein für mich. Er hielt mich für verrückt. Kurz vor seinem Tod hat er gesagt: Ich hätte nicht geglaubt, dass du es schaffst.

Und dass Sie es geschafft haben, verdanken Sie allein David Unger?

Ja. Zehn Jahre lang hatte sich keiner getraut, mit mir zu arbeiten, alle haben gesagt, der kommt nicht wieder, der ist fertig. Aber David rief mich eines Tages an und sagte: "Ich bring dich zurück." Seine einzige Bedingung war, dass ich auf ihn hören muss.

Das haben Sie getan?

Ja. Ich nehme die Rollen an, die er mir empfiehlt, ich stemme weniger Gewichte, ich gebe nette Interviews. Ich halte mich fern von Jungs, die mir nicht gut tun. In den Jahren zuvor, als ich selber den Bus gesteuert habe, hab ich ihn in die Scheiße gefahren. Also lasse ich David jetzt den Scheißbus fahren.

Sie haben seitdem vor allem mit jungen Regisseuren gearbeitet.

Ja, sie sind großartig! Typen wie Robert Rodriguez, der Regisseur von "Sin City", oder Tony Scott, mit dem ich nun "Domino" gedreht habe. Sie hatten keine Angst vor mir, keine Vorurteile. Sie dachten, ich wäre einfach ein guter Schauspieler.

Haben Sie eigentlich selbst an Ihr Comeback geglaubt?

Nein. Und ich kann es immer noch nicht glauben. Aber ich sage Ihnen was: Ich will jetzt hier bleiben. Ich kämpfe dafür. Ich weiß, wie leicht ich die Kontrolle verliere.

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Interview: Anita Blasberg print

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