Heute Morgen bin ich in der U-Bahn so vielen apathischen Menschen begegnet, dass ich zuerst dachte, die Zombie-Apokalypse sei ausgebrochen. Mit leerem Blick zogen die Gestalten an mir vorüber, verzweifelt darum bemüht, ihre blutunterlaufenen Augen aufzuhalten. So sehen sie also aus, dachte ich, die Überlebenden der Oscar-Nacht. Diejenigen, die durchgehalten haben. Die Verrückten.
Ich habe lieber geschlafen. Und nach dem Aufstehen kurz mein Smartphone gecheckt: "12 Years a Slave" bester Film. Pizzadienst im Dolby Theatre. Travoltas peinlicher Versprecher. Fünf Stunden Show eingedampft auf fünf Minuten Lebenszeit. Mehr Oscar braucht kein Mensch.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich liebe Filme. Als die verloren geglaubten Szenen von Fritz Langs "Metropolis" wieder aufgetaucht sind, habe ich vor Freude fast geweint. Als Harold Ramis vor wenigen Tagen starb, durfte unser komplettes Haus den "Ghostbusters"-Titelsong mithören. Fünfmal hintereinander. Die Nacht durchmachen, um die "Herr der Ringe"-Trilogie am Stück zu schauen - ein Traum!
Fünf Stunden gepflegte Langeweile
Aber das ganze Brimborium, das Hollywood um dieses goldene nackte Männlein veranstaltet, geht mir tierisch auf den Keks. Schon seit Wochen liest man in den Kulturseiten dieser Republik nichts anderes mehr. Oscar, Oscar, überall... Wird Leo wieder leer ausgehen? Wird Jennifer Lawrence auf dem roten Teppich stolpern? Wird Benedict Cumberbatch schwarze oder geringelte Socken tragen? I don't care.
Das alles wäre ja noch zu ertragen, wäre die Zeremonie selbst nicht so unglaublich langweilig. In jeder Folge "Big Bang Theory" zünden mehr Gags als in einer durchschnittlichen Oscar-Nacht – und das in 20 Minuten. Stattdessen müssen wir uns fünf Stunden lang durch unlustige Vorstellungsclips, Lobhudeleien und superuninteressante Nischenkategorien quälen, bis es endlich ans Eingemachte geht. Was Menschen dazu treibt, freiwillig aufzubleiben, um diesem aufgeblähten Schaulaufen beizuwohnen, bei dem alle alles so wahnsinnig toll und aufregend und totally awesome finden, will mir nicht in den Kopf.
Würde man das Lob, das in einer einzigen Oscar-Nacht vergossen wird, in Krüge füllen - man könnte die Sahara damit begrünen. Und mit der durchschnittliche Menge an Schleim, der während der Veranstaltung abgesondert wird, könnte man locker eine Spur von hier bis zur Venus legen. Dann doch lieber Lanz mit "Wetten, dass..?". Der schleimt zwar auch, macht aber wenigstens pünktlich Schluss.
Oscar-Kandidat aus dem Baukasten
Echte Überraschungen sucht man während der Mutter aller Galen leider vergebens. Dafür, dass es sich beim Oscar um den wichtigsten Filmpreis dieser Welt handelt, blickt die Academy zu selten über den Tellerrand: Die Chance, auf der Nominiertenliste einen unbekannten Namen, einen echten filmischen Geheimtipp zu finden, laufen gegen Null. Stattdessen drücken sich Jahr um Jahr die üblichen Verdächtigen die Klinke in der Hand. Oscar-Verleihung, das heißt: Wir schauen Hollywood dabei zu, wie es sich selbst feiert – und manchmal gönnerhaft ein paar Krümel für den Rest der Filmwelt da draußen fallen lässt.
Dummerweise wirkt sich diese seltsame Anziehungskraft der Oscars auch auf die Filmproduktion insgesamt aus: Weil ein Academy Award das perfekte Marketinginstrument ist, um die Verkaufszahlen eines Film zu pushen, entstehen immer mehr Werke, die von vornherein auf Oscar getrimmt sind: Man rühre ein wenig (US-)Geschichte zusammen, mische die Leidensgeschichte einer Minderheit hinzu, nehme eine Handvoll Patriotismus und verpacke das ganze in ein Biopic. Fertig ist der Oscar-Garant. Und wer den Preis als bester Darsteller gewinnen will, spielt am besten bei Woody Allen mit.
Warum nicht einmal Mumm beweisen und eine kleine Indie-Produktion wie "Frances Ha" zum besten Film nominieren? Verdient gehabt hätte es die Schwarzweißproduktion von Noah Baumbach allemal. Doch zu unbequem, zu sperrig, zu abgedreht darf ein Oscar-Anwärter nicht sein. Die Academy goutiert Gesellschaftskritik nur in gewissen Dosen. Nein, lieber Oscar. In diesem Leben werden wir keine Freunde mehr.