Hape Kerkelings "Kein Pardon" als Musical Es lebe hoch, das deutsche Fernsehen

Von Anne Meyer, Düsseldorf
"Kein Pardon" handelt vom Fernsehen und vom Ruhrgebiet, zwei Phänomenen also, mit denen es bergab geht. Am Samstag bringt das Düsseldorfer Capitol-Theater Hape Kerkelings Film auf die Bühne. stern.de war bei der Vorpremiere dabei.

Ein bisschen Wehmut stellt sich beim Zuschauer ein, wenn der kleine Peter im bedruckten Schlafanzug vorm Fernseher sitzt und Flipper guckt. Oder wenn Familie Schlönzke abends die Schnittchen auf dem Wohnzimmertisch bereitstellt und sich um den Fernseher versammelt, weil gleich ihre Lieblingsshow beginnt. Diese Szenen aus Hape Kerkelings Film "Kein Pardon", einer Satire auf die Medienwelt aus dem Jahre 1993, spielen sich nun originalgetreu auch auf der Bühne des Düsseldorfer Capitol-Theaters ab. Dort wird am Samstag das gleichnamige Musical uraufgeführt.

Diese nostalgischen Gefühle sind wohl auch beabsichtigt: Das Bühnenportal erinnert an einen Röhrenfernseher aus den sechziger Jahren und bildet damit auch den Rahmen des Stückes. Es geht also ums Fernsehen, und zwar in einer Zeit, als die Privatfernsehen noch nicht viel mehr als ein skandalöses Gerücht war und die Strahlkraft einer TV-Show noch regelmäßig die gesamte Familie aufs Wohnzimmersofa fesselte.

Die ganze Palette des Pott-Proletariats

Dass das Fernsehen jedoch auch in guten alten Zeiten schon eine menschenverachtende Lügenmaschinerie sein konnte, davon erzählt "Kein Pardon" auf sehr witzige Weise. Peter Schlönzke, im Film verkörpert von Hape Kerkeling selbst, im Musical gespielt von Enrico de Pieri, der Kerkeling tatsächlich ein wenig ähnlich sieht, will zum Fernsehen. Er wächst in Bottrop bei seiner Mutter und den Großeltern auf, die einen Schnittchen-Service betreiben. Sein großes Idol ist Heinz Wäscher, Moderator der Sendung "Witzigkeit kennt keine Grenzen". Als Peters Mutter ihn zu einem Talentwettbewerb anmeldet, scheitert er zwar, ergattert aber einen Job als Kabelhilfe. Bei den Proben zur Show erkennt er, dass Heinz Wäscher auf groteske Weise unfähig ist, seine Mitmenschen tyrannisiert und sich vom Regisseur Honig ums Maul schmieren lässt. Als Peter bald selbst zum Fernsehstar wird, übernimmt er jedoch alle Allüren seines Vorgängers und lässt seine Familie bald im Stich.

Diese Story bleibt im Musical weitgehend unverändert. Allerdings wird hier noch ein weiterer Protagonist herausgearbeitet, der im Film unausgesprochen bleibt: das Ruhrgebiet. Die Geschichte verströme einen herrlichen Ruhrpott-Charme, hat der Komiker Thomas Herrmanns im Vorfeld gesagt. Er hat das Musical-Drehbuch geschrieben; und von ihm stammt auch die Idee, den Film auf die Bühne zu bringen. Dass der Ruhrpott-Slang für Lacher sorgt, hat sich in Comedy-Kreisen ja schon länger herumgesprochen. Aus seinem neu entdeckten Hauptdarsteller versucht Hermanns nun aber, auch noch das letzte herauszukitzeln. Manchmal gelingt es auch, etwa wenn Peter und seine Freundin Ulla vor der gekachelten und mit Spitzengardinen geschmückten 60er-Jahre-Fassade eines Bottroper Mietshauses stehen, die die gesamte Bühnenfront einnimmt, und den "Klingelsturm-Song" singen. Oder wenn im Lied "Bottrop Beach" die ganze Palette des Pott-Proletariats samt Schalke-Fans und rotzigen Blondinen unter der Trockenhaube aufgefahren wird.

Dirk Bach gibt den Schenk/Wäscher

Es gehört zwar zum Wesen des Musicals, Motive zu wiederholen und immer noch eins draufzusetzen, aber wenn Opa Schlönzke nach all der heimatseligen Ruhrpott-Romantik obendrein das multikulturelle Miteinander im Revier besingt und kopftuchtragende Frauen ein Kinderwagenballett tanzen, wird der "Ruhrpott-Charme" doch langsam überstrapaziert.

Für die Musik ist Achim Hagemann verantwortlich, der durch Kerkelings Sketch "Hurz" bekannt ist und der die geniale pseudo-polnische Blaskapelle mit dem Programm "Der Popolski Show" erfunden hat. Ähnliche geistvolle musikalische Einlagen gibt es im Musical jedoch nicht. Die Lieder beschränken sich auf einen Mix von eingängigen, musicaltypischen Balladen, Rock- und Popsongs sowie die Hape-Kerkeling-Nummern "Witzigkeit kennt keine Grenzen", "Das ganze Leben ist ein Quiz" und Uschi Blums Schlagerhit "Lieb mich."

Das Vorpremierenpublikum ist dennoch begeistert und huldigt dem Ensemble mit stehenden Ovationen. Die Story scheint den Besuchern immer noch geläufig zu sein: Sie erkennen die Running Gags wie Assistentin Karin ("Käffchen?") oder die Bollerwagen-Geschichte von Oma Schlönzke sofort wieder, die auch im Musical funktionieren. Am lustigsten sind die Tanzeinlagen von Dirk Bach, der als hessisch babbelnder Heinz Wäscher mindestens ebenso gut ist wie Heinz Schenk, der Wäscher im Film verkörpert hatte. Witzig ist auch "Käffchen"-Karin, die im Musical eine eigene Talkshow bekommt (im Privatfernsehen) und mit weit aufgerissenen Augen und ihrem Standardsatz "Das ist menschlich, das ist Fernsehen!" an die schlimmsten Anfänge der Talkshows in den neunziger Jahren erinnert.

Die Faszination des kleinen Peter, der den ganzen Tag vorm Fernseher sitzt und ihn als seinen besten Kumpel besingt, als "menschlich und diskret", kann die U20-Generation vermutlich nur bedingt nachvollziehen. Das Internet hat dem Fernsehen längst den Rang abgelaufen. Und wenn das gesamte Ensemble am Ende singt: "Es lebe hoch, das deutsche Fernsehen!", dann ist das nicht nur witzig, sondern auch tragikomisch.

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