Herr Seebeck, Mangas sind auf dem Vormarsch, haben sie den deutschen Markt bereits erobert?
Jürgen Seebeck: Nach den Verkaufszahlen haben japanische Comics den Durchbruch längst erreicht. Der Siegeszug fing mit Akira an, das lief Anfang der 90er schon sehr gut. Dann passierte lange Zeit wenig. Das Genre dümpelte vor sich hin, bis die Mega-Granate Dragon Ball einschlug.
Brachte der Erfolg im TV den Durchbruch für die Hefte?
Nein, Dragon Ball verkaufte sich lange vor dem Seriestart im Fernsehen wie geschnitten Brot. Dieses Erfolgs-Modell machte die Verlage dann sehr veröffentlichungsfreudig. Heute besteht die Hälfte aller Neuerscheinungen aus japanischen Titeln. Mit Auflagen, die sich wirtschaftlich rechnen. Vieles aus dem Westen ist dagegen eher ein Abschreibungsobjekt für den Verlag.
Kann ein Zeichner vom Manga leben?
In Japan, ja. Bei einem japanischen Verlag erhält man Seitenhonorare. Bei erfolgreichen Serien reicht das dafür aus, dass der Zeichner seine Assistenten bezahlen kann, denn ohne Hilfe ist das wöchentliche Pensum nicht zu schaffen. Dann bleibt für den Zeichner von den Seitenhonoraren der Magazine zwar »zero – nichts«. Aber jemand, der sieben Assistenten beschäftigen muss, um mit seiner Arbeit fertig zu werden, ist so gut im Geschäft, dass er von seinen Buchveröffentlichungen leben kann. Wenn Bücher in Hundertausender wenn nicht Millionen Auflagen verkauft werden, ist man auf Seitenhonorare nicht angewiesen.
So erfolgreich sind nicht alle japanischen Zeichner.
Nein, aber selbst Zeichner, die am Anfang ihrer Karriere stehen, verhungern nicht. Japanische Verlage haben einen sehr langen Atem. Wenn eine Redaktion einen Funken Potential sieht, der durchbrechen könnte, dann füttert sie jemand auch zehn Jahre lang durch.
Also fließen Milch und Honig im Manga-Wunderland Japan?
Trotz des Erfolgs bleibt das Geschäft mörderisch. Wenn ein Zeichner einen Fuß in der Tür hat, dann muss er nonstop am Ball blieben, Freizeit findet nicht mehr statt. Viele Kollegen haben Serien, deren Ende nicht absehbar ist, das läuft fünf bis acht Jahre am Stück. Manchmal, bis der Zeichner buchstäblich nicht mehr kann. Beispiel: Dragon Ball. Das war ursprünglich auf sieben Bücher geplant, dann haben sich die Leser so in die Story verliebt, dass der Zeichner noch 35 Bände weitermachen musste. Da gibt es natürlich auch Hänger im Prozess, irgendwann kann auch der disziplinierteste Zeichner es dann nicht mehr sehen.
Eine Ausstellung in den Deichtorhallen, bedeutet Ihnen die Anerkennung durch den Kunstbetrieb etwas?
Die Anerkennungsfrage »Ist das Schund - ist das gesund?« interessiert ja seit zehn Jahren wirklich niemand mehr. Ich fand das immer uninteressant. Mir war eher die Folgediskussion unangenehm, als der Comic zeitweilig zur Hochkultur hochgejubelt wurde. Das bekommt der Sache nicht. Comic ist Alltagskunst, Gebrauchskunst. Ein Comic will unterhalten - durchaus mit anspruchsvollen Mitteln, auch gesellschaftskritisch, aber in erster Linie muss der Comic unterhalten. Es gibt nichts Verfehlteres als Comics oder Mangas ohne Leser.
Gibt es Mangas nur für Kids?
Ordentliche, japanische Geschichten für erwachsene Leser muss man hier noch mit der Lupe suchen, das wird erst in Zukunft besser. Die Genre Vielfalt in Europa ist generell beschränkter, auch die Zielgruppen sind hier kleiner. In Japan dominieren die Abenteuer Geschichten für Kids nicht den Markt. Dort geht es mit Mangas für Vorschulkinder fast ohne Text los. Und dann gibt es Comics, die sich an Männer um die 40 richten, in denen die Helden Abteilungsleiter sind. Mit Problemen, in denen sich der Leser selbst wiederfindet.
Ihr Lesetipp für den erwachsenen Leser?
Ich würde zuerst die Dragon Ball Taschenbücher empfehlen. Die ersten sieben sind immens gut. Man liest sie in einem Rutsch durch. Für erwachsene Leser gibt es sonst nicht so viel. Sehr schön, wenn auch nur in einer englischen Ausgabe erhältlich, ist »Silent Service« von Kaiji Kawaguchi. Die Handlung dreht sich um ein friedensbringendes Super-U Boot mitten im kalten Krieg. Das Ziel des Besatzung: den Weltfrieden zu retten. Die Unberechenbarkeit der neuen Superwaffe zwingt die Supermächte zur Vernunft. Das ist doch nett. Japan ist dabei natürlich immer der Nabel der Weltgeschichte. Im Verlauf der Geschichte bröckelte der Story der kalte Krieg weg und man sieht sehr schön, wie sich die Geschichte der veränderten Weltlage anpasst. Das wird es auf Deutsch leider nie geben, weil es viel, viel zu lang ist, aber auch sehr, sehr gut.
In Deutschland erscheint dafür »Vagabond« von Inoue Takehiko. Das ist eine Umsetzung des Lebens von Miyamoto Musashi, eines berühmten Schwertkämpfers aus der Edo-Zeit. »Vagabond« entspricht übrigens grafisch überhaupt nicht dem Kulleraugen-Klischee. Es ist hyperrealistisch gezeichnet.