Für Günter Behnisch war jeder neue Bau, jedes Haus und jede Sportstätte ein Geständnis. Der Wahl-Stuttgarter - für viele die Speerspitze der deutschen Architekten der Moderne - hat in seiner langen Karriere am Reißbrett stets seine gesellschaftliche und politische Einstellung veröffentlicht. Ob beim schwebenden Dach über dem Münchner Olympia-Stadion oder im früheren Plenarsaal des Bonner Bundestages - der streitbare Architekt verwirklichte seine Ideen über die Freiheit der Dinge mit dem Bauplan. Am Montag ist er im Alter von 88 Jahren in seinem Haus in Stuttgart gestorben, wo ihn seine Frau in den vergangenen Jahren gepflegt hatte.
Es ging ihm immer darum, sich und seinen Kunden Spielräume zu eröffnen, Zwänge abzubauen, Normen infrage zu stellen und Hierarchien aufzulösen. Seine Skepsis gegen autoritäre Systeme und hierarchische Mächte wurzelte in der eigenen Biografie: Als einer der jüngsten Marineoffiziere und wenigen Überlebenden hatte er die klaustrophobische Enge eines U-Boots hautnah miterleben müssen. Er durchlitt die Folgen des Machtmissbrauchs der Nationalsozialisten auch als Kriegsgefangener in England, bevor er 1947 ins zerbombte Deutschland zurückkehrte.
Seitdem waren für Behnisch geschlossene Systeme verpönt, auf lastende Schwere und übertrieben lange Achsen verzichtete der gebürtige Dresdner ebenso wie auf extreme Symmetrie. Der Berliner Reichstag war für ihn lange ein "Monster", ein Ausbund "wilhelminischer Machtarchitektur".
Dem "Bauen für die Demokratie" hatte sich Behnisch verschrieben, mit dem Begriff selbst ging er dagegen vorsichtig um. "Ich mag die Bezeichnung nicht besonders. Das Wort kann leicht ins Lächerliche gezogen werden", sagte Behnisch einmal. Sein Leben sei vielmehr von Demokratie durchdrungen.
Offen und schnörkellos musste für Behnisch alles sein. Wände hielt er meist für verzichtbar, seine Architektur aus Beton, Holz und Stahlblech, aus Gitterträgern, Dachsparren und Klimarohren sollte durchschaubar sein und vielfältig. Die Architektur sollte dem Menschen dienen, der Mensch sollte in der Architektur leben, nicht von ihr beherrscht werden. Kompromisse lehnte Behnisch immer ab: "Ich will nicht mehr ins Mittelmäßige hineingezogen werden."
1972 wurde Behnisch auf einen Schlag auch international bekannt. Mit einer Landschaft vom Reißbrett, dem Münchner Olympiagelände von 1972, einem kühnen Aufruf gegen verbissene Wettkampfrituale in Form von Kuppen, Hügeln und Mulden. Das viel diskutierte Dach aus Glas sollte ein Zeichen setzen für ein demokratisches Deutschland, das den Geist der Nationalsozialisten überstrahlen sollte. Glas dominiert auch das im räumlichen Gleichgewicht schwebende Hysolar Institutsgebäude Stuttgart aus dem Jahr 1987 und den Bonner Plenarsaal von 1992.
Behnisch hatte es nach dem Krieg nach Stuttgart gezogen, er studierte dort an der Technischen Hochschule, war Mitarbeiter im Architektenbüro von Rolf Gutbrod und gründete Anfang der 50er Jahre mit zwei Mitarbeitern sein eigenes Büro. Der Stadt blieb er bis zu seinem Tod treu. Nicht zufällig hatte der liberale Baumeister seine Heimat im deutschen Südwesten gefunden: Behnisch und sein partnerschaftlich organisiertes Stuttgarter Büro benötigten die freien Landschaften, die Obstbaumwiesen und Schafweiden, Weinberge und kleinen Dörfer in der Stuttgarter Umgebung, um ihre Architektur zu organisieren.
Behnisch kannte zumindest nach eigener Aussage weder die Zahl seiner Auszeichnungen noch die Zahl errungener Architekturpreise - darunter wiederholt der Deutsche Architekturpreis. "Die Preise sind wichtig für meine Mitarbeiter, die sich jahrelang mit einem Projekt beschäftigen und für die Eigentümer, nicht für mich", sagte er einmal Es sei schön, als Architekt einiges mitbestimmen zu können.