Auswanderermuseum Ballinstadt Die Hamburger Puppenkiste

  • von Britta Hesener
Voller Hoffnungen und Träume traten Millionen von Menschen zwischen 1850 und 1934 von Hamburg aus ihre Schiffsreise nach Amerika an. Ihren Geschichten widmet sich die jetzt eröffnete Auswandererwelt Hamburg. Die neue Ausstellung bietet vor allem eins: viel Spaß und wenig Information.

Die Dame mit dem langen, schwarzen Kleid und der Haube auf dem Kopf sieht fast ein wenig unheimlich aus. Reglos sitzt sie auf einer Bank. Auf ihren Knien liegt eine abgewetzte, braune Ledertasche, daneben ein orangefarbenes Büchlein. Sie sei Jüdin aus Russland, sagt sie. Zar Alexander sei ermordet worden. Die Russen hätten Juden dafür verantwortlich gemacht. Sie habe Russland verlassen müssen und sei jetzt auf dem Weg nach Amerika.
Die Dame in schwarz ist eine der Protagonisten der neu eröffneten Auswandererwelt Hamburg, der Ballinstadt. Ihr Körper ist aus Holz, ihre Stimme kommt von Band, ihr Gesicht ist konturenlos. Sie sitzt am Anfang der Ausstellung in Haus Nr. 2 und erzählt jedem, der an ihr vorbeigeht, ihre Geschichte.

Ballinstadt

Adresse:

Veddeler Bogen 2
20539 Hamburg
Tel.: 040/3197916-0

Eintrittspreis:

Erwachsene: 9,80 Euro
Ermäßigt: 8,50 Euro
Kinder (4 - 12 Jahre): 6,50 Euro
Gruppen ab zehn Personen: 8,00 Euro
Familienkarte (2 Erw., 2 Kinder): 22,00 Euro

Öffnungszeiten:

Montag bis Sonntag, 10 – 18 Uhr (17 Uhr letzter Einlass)

Hafen der Träume

Nachdem in Bremerhaven im August 2005 bereits das "Deutsche Auswandererhaus" eröffnet wurde, hat auch Hamburg jetzt sein eigenes Auswanderermuseum bekommen. Unter der Überschrift "Port of Dreams" widmet sich die Ausstellung den über fünf Millionen Menschen, die zwischen 1850 und 1934 ihre Heimat verließen, um sich von Hamburg aus auf den weiten Weg ins Land der Träume, nach Amerika zu machen. Dort, glaubten sie, warte ein neues, besseres Leben auf sie.

Albert Ballin, der damalige Direktor der Reederei Hapag, hatte von 1901 bis 1907 im Hamburger Stadtteil Veddel Unterkünfte für die Auswanderer errichten lassen: die Auswandererstadt. Damals umfasste sie 30 Einzelgebäude, darunter Schlafsäle, eine Krankenstation, eine Kirche und eine Synagoge. Jetzt wurden dort, auf historischem Boden, vier der längst abgerissenen Gebäude originalgetreu wiederaufgebaut. Herzstück der Ausstellung ist das Haus Nr. 2. In ihm wird die ganze Geschichte der Auswanderer erzählt - vom Aufbruch in ihrer Heimat über ihren Aufenthalt im Hamburger Elbhafen bis zu ihrer Ankunft in der Neuen Welt. Wobei erzählen wörtlich zu verstehen ist. Überall sitzen, stehen, liegen hölzerne Auswanderer und erzählen von ihrem Schicksal. Infotainment in Reinkultur also. Keine schlechte Idee. Sehr unterhaltsam - im wahrsten Sinne des Wortes. Doch in diesem speziellen Fall gilt wohl eine alte Weisheit: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint, denn die auf Bewegungsmelder reagierenden Tonband-Stimmen der Holzpuppen steigern sich bei regem Besucherandrang zu einem nervtötend Klangbrei.

Interaktiv ja, informativ nein

"Hallo ich bin Heinz", tönt etwa eine helle Kinderstimme von rechts. Ein paar Schritte von der schwarzen Dame entfernt erzählt ein kleiner Junge mit einer Schirmmütze auf dem Kopf seine Geschichte. Er komme aus Essen und sei zehn Jahre alt, sagt er und klingt dabei wie ein Musterschüler aus der vierten Klasse. Seine Eltern würden hart arbeiten in den Fabriken des Ruhrgebiets. Deswegen wolle sein Vater nach Amerika auswandern. Und schon fängt gegenüber der nächste Holzauswanderer an, vor sich hin zu brabbeln. Um ihn verstehen zu können, muss man herüber gehen und ganz genau hinhören. "Meine Heimat ist Polen", sagt er dann. Sein Schicksalsjahr sei das Jahr 1904 gewesen, als der Krieg zwischen Russland und Japan ausbrach. Aus Angst, für Russland in den Krieg ziehen zu müssen, sei er nach Amerika geflüchtet.

Und so wird erzählt und erzählt und erzählt. Wenn es nicht die Holzkameraden sind, dann sind es die in antik anmutenden Bilderrahmen flimmernden Videos oder eines der Telefone, die wahllos in den Ausstellungsräumen herumstehen. Der mutige, noch nicht reizüberflutete Besucher greift zum Hörer der antiken Fernsprecher und hört munteres Geplapper unter Verwandten: "Liebe Schwester, mir geht's gut." Oder: "Liebe Schwiegermutter, ich bin gut angekommen." Wahnsinnig interaktiv, aber leider wenig informativ.

Zeitreise per Knopfdruck

Doch damit hat die Ausstellung ihren interaktiven Anspruch noch immer nicht ausgereizt. Wer sich am Eingang eine Spielkarte geben lässt, kann zum virtuellen Auswanderer werden. Die Karte dient als Startknopf für eine der zahlreichen interaktiven Bildschirmspiele. Dort können sich Besucher eine eigene Auswandereridentität zulegen. Mann oder Frau, Kind oder Erwachsener, Zeitpunkt der Auswanderung, Reiseziel - all das lässt sich mit ampelfarbenen Knöpfen bestimmen. Rot für männlich, grün für Erwachsen. Und so drückt sich der Besucher munter durch die Ausstellung.
Renate und Manfred Bökemann aus dem Schwarzwald gefällt's. Herr Bökemann, grauhaarig, mit Brille, hat sich als Auswandere das virtuelle Reisejahr 1905 ausgesucht. Gerade hat er in der zweiten Klasse des Bildschirm-Dampfers zwei junge Damen kennen gelernt. Seine Frau findet´s lustig. Überhaupt ist sie begeistert von der Ausstellung: "Die Spiele find ich toll, man kriegt ein gutes Gefühl dafür, wie das war mit dem Auswandern." Ihr Mann ist nicht ganz so überzeugt. Er wird jedes Mal unruhig, wenn er auf dem Bildschirm den nächsten Schritt in seinem Auswandererleben machen möchte und sich hinter ihm ungeduldig die nächsten Besucher drängen.

Für ungeduldige Menschen ist die Ausstellung wahrlich nichts. Für Informationssuchende erst recht nicht. Eines der wenigen informativen Highlights findet sich in Haus Nr. 1. Dort können Besucher per Computer die original Passagierlisten von 1850 bis 1934 durchforsten. Ansonsten ist die Ballinstadt vor allem eine Erlebniswelt. Das muss nicht schlecht sein. Wer sich Historie lieber erspielt als erliest, ist hier gut aufgehoben, der freut sich am Ende auch auf ein Wiedersehen mit Heinz aus Essen und der Dame in Schwarz. Im letzten Raum von Haus Nr. 2 haben sie ihren finalen Auftritt und plappern wieder munter drauf los. Sie erzählen von ihrer Überfahrt, davon was im New Yorker Hafen auf sie wartete und wie sie Fuß gefasst haben in der Neuen Welt. Sie erzählen und erzählen und erzählen…

Endlich Fakten

Stille, endlich Stille. In Haus Nr. 3 ist alles anders. Hier haben die Ausstellungsmacher einen Schlafsaal der historischen Ballinstadt nachgebaut. Keine Holzpuppen also, keine Tonbandstimmen, keine Spielstationen, nur karge weiße Wände. In der Mitte des Raumes stehen, wie die Zinnsoldaten in Reih und Glied, schnörkellose Metallbetten, neben ihnen geöffnete Koffer. Das Innenleben der sperrigen Ledertaschen bietet das, was in Haus Nr. 2 ein rares Gut war: Informationstafeln. Auf ihnen finden sich Daten, Fakten, Zahlen. Endlich!

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