Sie ist derzeit eines der liebsten Fotomotive der Japaner im Centre Pompidou: Die mehrere Meter hohe Spinne aus Bronze in der Eingangshalle mit ihren knotigen Beinen. Sie steht kokett auf langen Nägeln, Lockvogel der Louise Bourgeois, die in die Retrospektive der Künstlerin im sechsten Stock führen soll. Das Enfant terrible der Kunstszene lehrt selbst Besucher das Fürchten, die das Spinnentier niedlich finden und sich an ihre Beine geschmiegt fotografieren lassen.
Wie sagt die 96-Jährige über ihre Arbeit? "Meine Skulpturen geben mir die Möglichkeit, meiner Angst einen Körper zu geben". Und sie tut das brilliant. Wer sich von der Spinne in die Ausstellung im sechsten Stock locken lässt, bekommt Witziges, Abgründiges - und Grauenerregendes zu sehen.
Die Ausstellung zeigt deutlich: Louise Bourgeois' Satz, Kunst sei die Garantie für geistige Gesundheit, ist keine Koketterie, sondern stets gelebte Erfahrung am Rand des Unerträglichen. Louise Bourgeois ist ein Enfant terrible der Kunstszene. Sie hat immer quer zu allen Kunstströmungen produziert. Hass, Gewalt, Schmerz sind in ihrem Werk allgegenwärtig. In ihrem hohen Alter hat sich das kaum beruhigt. Und ihr Schaffensdrang ist ungebrochen.
Guillotine schwebt über dem Eingang
Das Centre Pompidou hat der in Paris geborenen Amerikanerin eine Retrospektive gewidmet, die später ins Guggenheim Museum und nach Los Angeles gehen wird. Die alte Dame reist nicht mehr so weit, aber in ihrem Werk sind ihre Pariser Kindheit und Jugend sehr präsent. Am Eingang der Ausstellung wird gleich klargestellt, wie ihr Verhältnis dazu ist: Sie zeigt ein Modell des Elternhauses, umgeben von einem Käfig; über dem Eingang schwebt eine Guillotine. Willkommen im Universum der Louise Bourgeois. Die Kuratorin Marie-Laure Bernadac hat einen Parcours hingelegt, der eher harmlos beginnt, mit früheren Werken, die an Picasso oder Max Ernst erinnern. Dann wird es immer eigener, interessanter - und finsterer. Wie sie mit lakonischen Geschichten und seltsamen Zeichnungen ihre Einsamkeit nach der Auswanderung nach New York verarbeitet – da sind Lachen und Weinen noch nah beieinander.
Kunstwerke sind Ausdruck ihres Vaterhasses
Mit dem Lachen wird es aber schnell schwierig. Spätestens, wenn sie nach dem Tod ihres Vaters 1951 eine blutrote, kannibalische Tafel inszeniert. Ein Viech aus weißem Marmor poliert – eine Art Hund mit Riesentitten, Ausdruck, wie sie selbst sagt, ihres Hasses auf den Vater, der da hockt, kalt und monströs und hässlich. Der von den Hinweistafeln herangezogene Ödipuskomplex gibt für das Monster eine schwache Erklärung. Erst recht dann für die Gruselkabinette, die das ziemlich verstörende Zentrum der Ausstellung sind.
In einem klaustrophobe Anwandlungen fördernden Dunkel stehen sie: Käfige mit blutroten Gegenständen, die vage an Innereien erinnern, ein blutrotes Bett mit einer Spielzeugeisenbahn darauf, in einem Raum aus klösterlich steifen, dunklen Holzpanelen. Kein Fenster, keine Tür - man muss sich durch einen schmalen Gang quetschen, um einen Blick auf dieses erstarrte Interieur zu erhaschen. Etwas weiter steht ein Käfig aus engem Maschendraht: die Wohnung der Kindheit. Mit Folterstuhl, Lederriemen zum Festbinden an Lehnen und Beinen.
Schröpfköpfe als Muttersymbol
Eine namenlose Angst spricht aus alldem, die so manchen Besucher nervös und orientierungslos das Weite suchen lässt. Da ist der Sarkophag aus schwarzem Stein schon fast wieder beruhigend, auf dem gläserne Schröpfköpfe liegen, die Licht aus der Tiefe des Grabs ziehen - Symbol für die Mutter, die Bourgeois bis zu ihrem Tod pflegte, und nach deren Tod die 18-jährige Künstlerin einen Selbstmordversuch unternahm.
Louise Bourgeois hat ihre kontemplativen Momente. 2007 hat sie Arme und Hände auf riesiges Notenpapier gesetzt, ineinander verschränkt in Verbindung und Auseinandersetzung, Rhythmen und Harmonien bildend. Da entwickelt sich etwas. Aber die Gliedmaßen sind beunruhigend blutrot. Und irgendwann hinterlassen die Finger blutige Spuren. Am Ende stehen zwei vertikal verlaufende, überdimensionale Notenlinien, rot, von zehn blutigen Fingern hinterlassen: Spuren eines gehetzten Wilds. Ruhe? Findet sie nicht. Gibt sie nicht.