In New York findet eines der exklusivsten Kunstevents des Jahres statt und weil es auch eines der geheimsten ist, muss man sich auf eine lausige Wegbeschreibung verlassen: "Mit der U-Bahn nach Queens, den Vernon Boulevard nach Norden, bei der 44. Straße links rein und am Ufer des East River durch ein Loch im Zaun klettern. Dort muss es irgendwo sein."
Und da steht man dann vor einer Lagerhalle im Regen und fühlt sich dermaßen fehl am Platze, dass man eigentlich nur richtig sein kann: Am Ende solcher Vorstadt-Sackgassen werden Drogen übergeben, Leichen in den Fluss geworfen und Treffen wie dieses abgehalten: Matthew Barney, 39, der Superstar der amerikanischen Kunstszene, hat - und das allein ist eine kleine Sensation - den deutschen Gesamt-künstler Jonathan Meese, 37, zu einer privaten Live-Performance in sein Atelier eingeladen, nur im Beisein einiger Freunde und Sammler.
In dem riesigen Studio ist dann auch alles ein bisschen so, wie man es sich vorgestellt hat: im Zentrum ein mintgrünes Schrottauto (aus Barneys Cremaster-Filmzyklus), aus dessen Kofferraum ein riesiger Wachsphallus ragt, an der Decke Industrielampen und unter den Zu-schauern viele langbeinige Frauen in Leggins und Gummistiefeln, junge Männer mit dichten Bärten und dicken Brillengestellen, außerdem die Popsängerin Björk, Barneys Ehefrau, in einem XXL-Polarmantel, der sie noch eskimohafter erscheinen lässt als sie ohnehin aussieht.
Intellektueller Perfektionist kontra improvisierenden Glücksritter
Der Plan: Erst performt Barney, dann dessen Freund Michael Rees, schließlich Meese. Das Spannende: Der direkte Vergleich. Beide, Barney wie Meese, arbeiten seit Jahren mit konträren Methoden am gleichen Ziel, einer Art mythischem, durchästhetisiertem Paralleluniversum. Während Barney, der besessene Körperfanatiker und intellektuelle Perfektionist, seine Filme und Performances minutiös durchchoreografiert, arbeitet Meese aus dem Stegreif, bespielt glücksritterhaft wie ein Kind eine Situation, einen Ort, immer nach dem Motto: "Irgendwas wird schon passieren."
Symbolische Begattung mit Wachsphallus
Diesmal war es nicht anders. Barney muss für seine Performance viel vorgearbeitet haben: Vier Männer platzieren eine Bahre auf das Autodach, auf der bewegungslos eine ganz in Nerz gehüllte Frau liegt. Dazu trommeln maskierte Männer in paramilitärischen Uniformen. Alles sehr symbolbeladen, schwer und schön. Dann betritt Barney die Halle, ein schwarzes Netz vor dem Gesicht und einen Hund auf den Rücken geschnallt. Nach und nach weidet er das Auto aus, entnimmt ihm Zündkerzen, Batterie, Auspuff, bis sich - ganz plötzlich - rasselnd ein Tor öffnet. Hereinschreiten zwei Damen, das Gesicht verhüllt, dafür unten komplett ohne, in Begleitung eines riesigen Edel-Zuchtbullen, mit Blumen bekränzt und goldenen Hörnern, der eigentlich das Auto (die Frau) über einen Sprung auf den Wachsphallus symbolisch begatten soll.
Als er aber selbst nach dem dritten Versuch nichts und niemanden besprungen, sondern nur eine beachtliche Pfütze auf den Boden uriniert hat, bricht Barney elegant ab und schreitet gemeinsam mit Damen und Tier andächtig und unter großem Beifall nach draußen in den Regen. Dass ausgerechnet der Perfektionist gepatzt hat, stört niemanden. "It was totally Matthew", schwärmt eine Besucherin und meint: die entrückenden, traumähnlichen Bilder, die Barney auch heute wieder gelungen sind.
"Die Diktatur der Kunst"
Ganz anders Meese, der nur eine Reisetasche mit Utensilien aus Berlin mitgenommen hat, um den New Yorkern seine persönliche Vision, keuchend und rülpsend vor den Latz zu brüllen: "Die Diktatur der Kunst". Immer wieder "Die Diktatur der Kunst". Gebrüllt, gehechelt, herausgequetscht, von der Kanzel herunterdoziert. Zur Bekräftigung der Botschaft und Belustigung der Anwesenden putzt Meese sich zu-sätzlich die Zähne, kämmt sich das Haar, stülpt sich erst eine Monstermaske, dann eine Damenstrumpfhose über, tanzt, strippt und kritzelt sich ein Steinernes Kreuz auf die Brust.
Schönheit der Kunst ist nicht immer planbar
Am Ende malt er sein Motto in riesigen Lettern auf den Hallenboden, läuft mit Hitlergruß darüber hinweg und singt "Rebel Yell" von Billy Idol dazu. Bevor er nach einer guten Stunde von der Bühne abgeht und die New Yorker diesen sympathischen Sonderling aus Deutschland lautstark bejubeln, passiert etwas Schönes: Ein Schmetterling, ein Schwalbenschwanz, muss sich in die Halle geschlichen haben. Fast niemand bemerkt ihn, dabei landet er, mit den Flügeln flatternd, genau im Zentrum des Geschehens, mitten in der "Diktatur der Kunst". Wie ein Symbol oder ein Bote oder der Beweis, dass Schönheit nicht immer geplant werden muss, sondern bisweilen ganz aus Zufall entsteht.