Robert Kuśmirowski Chaos mit Totenschädel

Robert Kuśmirowski ist ein großer Fälscher. Vom Hakenkreuz bis zum Eisenbahnwaggon ist nichts vor ihm sicher. In Berlin hat er sich jetzt über ein Treppenhaus hergemacht und narrt auch hier mit einer raffinierten Täuschung.

Zwei Tage und zwei Nächte hat er gerackert, gepinselt und gedübelt. Wie ein Berserker wütete Robert Kuśmirowski, 36 - nur um aus einem edel renovierten Treppenhaus in Berlin Mitte ein altes, schäbiges zu machen. Eins, in dem die Farbe an den Wänden herunter läuft und hässlich auf dem Geländer klebt. In dem die Briefkästen verschmiert sind und seltsame, leere Bilderrahmen an den Wänden hängen. Sogar außen, an der Haustür hat er heftige Tropfspuren hinterlassen, Weiß auf Schwarz. Aus Neu ist wieder Alt geworden. Warum nur macht er so was? "Ich mag Staub und alte Häuser", sagt der Künstler. In Polen, wo Kuśmirowski geboren ist und lebt, gibt es noch viele solcher Gebäude, denen man ihre Vergangenheit ansieht. In Berlin verschwinden sie nach und nach - und mit ihnen das Gespür für das, was die Stadt einmal war. Der Architekt Oswald Mathias Ungers, inzwischen nicht mehr am Leben, hatte hier, in diesem Haus, sein Berliner Büro eingerichtet. Entsprechend schick war alles, aber auch gesichts- und geschichtslos. Jetzt sieht das Treppenhaus in der Marienstraße aus, als wäre da irgendwas gründlich schief gegangen. "Man soll das Gefühl bekommen, dass gleich alles zusammenbricht", sagt Kuśmirowski. Ganz oben, auf einem kleinen Sockel, thront ein Totenschädel aus Porzellan. Erinnerung daran, dass alles sterblich ist, auch dieses Haus.

Erfundene Biografie

Robert Kuśmirowski, 36, narrt und verwirrt sein Publikum. Er fälscht und schwindelt, täuscht und manipuliert. Immer. Deshalb sollte man ihm nichts, aber auch gar nichts glauben. Auch nicht seine eigene Biografie, denn er erfindet sich selbst immer wieder neu. Mal behauptet er, ein Entdecker und Weltenbummler zu sein, mal ein Naturwissenschaftler, dann wieder ein Radrennfahrer. Angeblich fälschte er schon als Jugendlicher Fahrkarten, weil seine Familie zu arm war, die Busfahrten zu bezahlen. Ein Eisenbahnwaggon ist seine wichtigste Arbeit. Seit kurzen steht das Ding im Berliner Museum Hamburger Bahnhof: Erinnerung an die Deportationen Tausender von Menschen in Konzentrationslager wie Auschwitz oder Majdanek. Nur wer ganz genau hinsieht merkt, dass da irgendwas nicht stimmt. Dies ist gar kein echter Waggon aus Eisen und Holz, sondern eine Attrappe aus Styropor und Pappkarton. So echt sieht er aus, dass manch ein Museumsbesucher Schmieröl und Holzspäne zu riechen glaubt. Um die Verwirrung perfekt zu machen, hat Kuśmirowski auch noch eine Museums- Passage in einen Berliner S-Bahnhof verwandelt: mit grünen Kacheln und dem Namen "Hamburger Bahnhof" in altmodischer Frakturschrift. Auch das natürlich alles Attrappe, gemalt statt aus Keramik. In einem Bahnhof, der gar kein Bahnhof mehr ist, sondern ein Museum, steht nun also ein Waggon, der kein Waggon ist, sondern ein Kunstwerk. So ist Kuśmirowski.

Nichts ist hier echt

Kürzlich zeigte er im Polnischen Institut in Berlin die Überreste eines jüdischen Lebens, das im Konzentrationslager endete. Fundstücke, so scheint es. Aber auch hier ist alles gefälscht. Ein paar vergilbte Fotos - vom Flohmarkt. Ein Berg Haare - aus einem Berliner Frisiersalon. Ein paar Stücke Kernseife - beim Trödler gefunden. Ein Fetzen Stoff mit aufgesticktem Hakenkreuz - vom Künstler selbst auf der Nähmaschine gefertigt. Der Plan des Lagers Auschwitz - eigenhändig gepinselt. Nichts ist hier echt, und doch glaubt man sich in ein trauriges Leben versetzt. Und wird desillusioniert und beschämt, wenn man begreift, dass alles erfunden ist. Offenbar genügt es, ein paar geschichtsträchtige Versatzstücke zusammen zu tragen, um beim Betrachter den Erinnerungs-Reiz zu wecken und ihm Schauer über den Rücken zu jagen. Dann werden die Fälschungen genau so ergreifend und bewegend wie echte Dokumente. 2004 setzte er in die Johnen-Galerie einen Friedhof mit verwitterten Grabsteinen von erfundenen Deutschen, die in Lublin begraben wurden. In Hamburg inszenierte er die Arbeitsräume des erfundenen Mediziners Dr. Vernier: mit eingelegten Tierkörpern, Reagenzgläsern, merkwürdigen Flüssigkeiten und sogar einer Mumie. Der Operationsraum sah aus wie eine Folterkammer und ließ an den brutalen KZ-Arzt Mengele denken. Warum macht Robert Kuśmirowski das? Er will Geschichten erzählen, und dafür ist ihm jedes Mittel recht. Er wühlt in der Vergangenheit, bringt Dinge zutage und kombiniert sie neu. Heimtückisch verwischt er die Grenzen zwischen gestern und heute, zwischen Lüge und Wahrheit. "Ich bin mit Chroniken, Ausstellungen und Dokumentarfilmen über den Krieg aufgewachsen", sagt er. "Unsere kollektive Erinnerung ist so stark von den damaligen Ereignissen geprägt, dass wir nicht in der Lage sind, uns davon zu befreien." In Berlin versteht man das. Hauseigentümer und Galerist Jörg Johnen hat den Polenangestachelt zum Chaos im Treppenhaus. Und die Mieter? "Oh, die finden das in Ordnung", erzählt Johnen. In England, wo Kuśmirowski auch mal ein Haus von schick auf alt veränderte, gab es dagegen massive Proteste aus der Nachbarschaft. Die Gegend sei herabgewürdigt, die Häuser nun weniger wert, meinten die Anwohner. Sie jammerten so lange, bis Kuśmirowski ein Schild anbrachte: "Das ist Kunst." Wird in Berlin nicht nötig sein.

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