Treffen um 21 Uhr, Centre Pompidou. Das ist alles. Nicht gerade viel Information für eine Verabredung. Wie er aussieht? Wissen wir nicht. Auf Fotos vermummt er sich immer mit einer Damenstrumpfhose. Ob er tatsächlich erscheint? Keine Ahnung. Die letzten Mails hat er nicht beantwortet, genauso wenig wie das Telefon. Nur diese eine SMS: Treffen um 21 Uhr, Centre Pompidou. Also: Warten. 30 Minuten. 50 Minuten. Für jemanden, der unerkannt bleiben will, ist der Platz am Centre Pompidou perfekt. Tagsüber knipsen sich hier die Touristen. Jetzt, da es langsam dunkler wird, kommen die anderen. Müllsammler, Obdachlose, Straßenmusiker. Und irgendwann auch er.
Zevs, so sein Künstlername, den er "Zeus" ausspricht, trägt einen schlichten Rucksack und eine vieltaschige Beutelhose. Er sieht aus wie einer von diesen HipHop- Jungs, die im Schein der Straßenlaternen ihre Kassettenrekorder aufgestellt haben. Oder wie ein Handwerker. Vor allem ist er unauffällig. Schmal, ganz in Schwarz gekleidet, mit kurz geschorenen Haaren und klaren grünen Augen. Und sehr höflich. "Bitte entschuldigen Sie die Verspätung. Es muss dunkel sein, Sie verstehen ..."
Wir verstehen nicht ganz. Zevs ist Künstler, seine Arbeiten werden in renommierten Galerien ausgestellt, bei Patricia Dorfmann in Paris oder bei de Pury & Luxembourg in Zürich. Für das Von der Heydt-Museum in Wuppertal verzierte er Wände mit dem Satz "Du darfst die Mauern deiner Stadt nicht beschmutzen", seine Bilder werden für bis zu 10.000 Euro verkauft. Unbekannt ist er nicht gerade. Warum dann so geheimnisvoll?
Es erklärt sich wenig später, beim Rundgang durch sein Atelier. Sein Atelier - das ist die Stadt, Paris bei Nacht. In einer Seitenstraße verschwindet er, kniet sich neben einen Stromkasten. Klack. Alles dunkel. "Ich musste mal kurz das Licht ausmachen", sagt Zevs, und er sagt es, als habe er tatsächlich nur auf einen Schalter gedrückt und nicht gerade die Stromleitung eines ganzen Straßenzugs gekappt. Denn nur so, ohne das Laternenlicht, könne man seine "unsichtbaren Graffiti" sehen.
"ZEVS", der Donnergott der modernen Wandmalerei
Stimmt. Da, wo eben noch schwarze Schaufenster mit schludrigen Gardinen langweilten, blinkt es plötzlich. Bläulich, fluoreszierend. Wolken, zuckende Blitze und sein Schriftzug: "ZEVS", der Donnergott der modernen Wandmalerei. Bei normalem Licht sind die Bilder nicht zu sehen, weil er mit Schwarzlichtfarbe malt. Erst die entsprechenden Lampen, die Zevs in verborgenen Winkeln seines "Ateliers" installiert hat, bringen sie zum Leuchten. An. Und wieder aus. In unregelmäßigen Abständen. Ob es dann tatsächlich dunkel genug ist, ob die Bilder sichtbar werden - das entscheidet der Zufall jede Nacht neu. Auch auf die Lebensdauer seiner Bilder hat Zevs keinen Einfluss. Manche werden nach drei Tagen entdeckt und vernichtet, andere erst nach Monaten. Wichtig ist nur: Sie waren da. Und wurden gesehen. Darum geht es.
Vor etwa 15 Jahren hat er angefangen, die Wände seiner Stadt zu bemalen. Und die Fußwege. Und Metrotunnel. Inzwischen ist Zevs Anfang 30 und fährt mehrmals die Woche aus der Banlieue ins Zentrum von Paris, den Rucksack voller Sprühdosen, Schraubenzieher und selbst geformter Metallstifte.
"Schlüssel", nennt er sie. Und tatsächlich scheinen sie ihm jede Tür zu öffnen: Ein paar Handgriffe, ein leises Schaben, und wir stehen im Treppenhaus eines schicken Altbaus Zevs legt seine Arbeitsuniform an. Aus dem unauffälligen jungen Mann wird Zevs, das nächtliche Kunstphantom im gelben Gummianzug, mit Leopardennylons über dem Kopf. Die Verwandlung von Peter Parker zu Spiderman fällt einem da ein, der Straßenkünstler als einsamer Held, der sich nachts die Stadt zu eigen macht. Aber ist die Maskerade nicht ein wenig auffällig?
"Ach, bitte, wir sind hier in Paris. Und von Weitem sehe ich aus wie einer von der Straßenwacht."Na gut. Er muss es wissen. Zevs wurde noch nie erwischt. "Street Art", "Art Urbain" oder "Kunst im öffentlichen Raum" - in jeder Großstadt kann man die Zeichen an der Wand sehen, Zeichen von Leuten wie Zevs. Geklebt, gesprüht oder gemalt, auf Stromkästen, Häuserwänden oder Straßenschildern. Mal sind es Figuren oder Schriftzüge, mal Fantasiewesen oder Tiere.
Angelina Jolie und Brad Pitt gehören zu seinen Sammlern
Ratten zum Beispiel. Sie sind das Markenzeichen des britischen Straßenkünstlers Banksy, dem bekanntesten und mittlerweile wohl auch teuersten Street-Artisten. In ganz London hocken sie, durch Schablonen an die Wände gesprüht, und knabbern an den Sehgewohnheiten der Großstädter. Vergangenen Februar verschwand eine von ihnen - samt Mauer, natürlich - und wurde im Internet zur Versteigerung angeboten.
Das erste gestohlene Graffito der Welt stellte die Öffentlichkeit vor ganz neue Fragen: Ist das nun Kunstraub oder Sachbeschädigung? Und wem gehört so eine gesprühte Ratte überhaupt? Banksy? Oder der Stadt, die ja die Mauern, also die "Leinwände", bereitstellt? Die Auktion musste abgebrochen werden - die Gebote lagen bei über 30.000 Euro. Wenn man genug Geld hat, ist Banksy auch legal und ohne Gemäuer zu haben: 150.000 Euro wurden im Februar für sein Leinwand-Graffito "Bombing Middle England" gezahlt, bisher der Rekordpreis für einen Street-Art-Künstler.
Angelina Jolie und Brad Pitt gehören zu seinen Sammlern, doch seine wahre Identität gibt auch Banksy nicht preis. Vor einigen Jahren,als sich weder der etablierte Kunstbetrieb noch das Feuilleton für Street Art interessierten, war das noch anders. Der völlige Rückzug kam erst mit dem Ruhm. Abgesehen von seinem Agenten und einigen Vertrauten gibt er sich niemandem zu erkennen.
"Wer ist Banksy?", fragten daraufhin die Medien überall, von der BBC über die "FAZ" und "Art" bis zum "New Yorker". Banksy gibt nur eine Antwort: In der Zukunft gehe es darum, für 15 Minuten anonym zu sein, erklärte er auf seiner Homepage - die Umkehrung des berühmten Andy-Warhol-Diktums von der Viertelstunde Ruhm für jedermann. In Zeiten von Handykameras und Videoüberwachung ist Unsichtbarkeit der wahre Luxus.
Es war da, darum geht es
Vor allem müssen sich Künstler wie Banksy oder Zevs bemühen, unerkannt zu bleiben, weil ihre Arbeit illegal ist. Innerhalb einer Galerie mag es Kunst sein. Außerhalb ist es Sachbeschädigung und Schmiererei. Ein Spiel mit Wahrnehmung und Beurteilung, ein Spiel mit der Kunst und ihrem Wert: Was auf der Straße umsonst und frei zugänglich ist, wird teuer, wenn man es besitzen will. Was bei Auktionen viel Geld einbringt, muss an der Wand gegenüber einem Eimer weißer Farbe weichen.
Zevs nennt seine Kunst "attaques visuelles", visuelle Angriffe. Sein Ziel: unsere Wahrnehmung und die Allgegenwart der Werbung. Um sichtbar zu machen, dass sie da ist, verändert er sie. Neben den Gleisen der Pariser Vorortzüge verpasst er ewig lächelnden Werbeschönheiten Einschusslöcher aus roter Farbe mitten auf die Stirn.In Berlin "kidnappte" er vor fünf Jahren das Model einer Espressofirma: Mit Leiter und Teppichmesser bewaffnet schnitt er sie aus dem über zehn Meter hohen Plakat aus, rollte sie zusammen und drohte mit Exekution: Tod durch Schreddermaschine.
Gegen die Dominanz der Plakate
Seine aktuellen Lieblingsopfer sind Firmenlogos. Das McDonald's-"M" oder die verschlungenen Cs von Coco Chanel werden unter seinen Farbdüsen zu begossenen Pudeln. "Sie verlieren ihre Kraft", erklärt er. Ein militanter Gegner der Werbung sei er aber nicht. Er wisse sehr wohl, dass Metrobillets und vieles andere teurer wäre, wenn die Stadt keine Werbeflächen bereitstellte. Aber die Dominanz der Plakate habe so sehr zugenommen, dass man ihrer Macht etwas entgegensetzen müsse. "Die Werbeindustrie kidnappt unsere Aufmerksamkeit und ersetzt sie durch Kaufwünsche. Dafür zahlt sie uns keinen Cent. Also kidnappe ich ihre Symbole - und gebe etwas von der geklauten Aufmerksamkeit zurück."
Die subversive Ironie, aber auch die künstlerische Qualität der Arbeiten haben Street Art längst für den Kunstmarkt interessant gemacht - und weder Künstler noch Galeristen sehen darin einen Widerspruch. Bei de Pury & Luxembourg spricht man von "urbaner Kunst", die sich durch neue Techniken und Stile als eigenständige Kunstform auszeichne und von Sammlern hervorragend angenommen werde. "Das ist global verankert", sagt Rik Reinking, Kurator, Sammler und Mittelsmann für nahezu alles, was in Deutschland unter dem Namen Street Art gezeigt wird. "Diese Kunst kommt direkt aus den Metropolen und nicht von der Kunsthochschule."
"Graffiti gibt es seit den 70er Jahren, Wandmalereien schon seit der Steinzeit", sagt Zevs. "Es ist nicht neu, auf Wände zu malen. Aber der Raum, die Stadt, ist immer wieder neu. Darauf zu reagieren ist für mich die Kunst." Auch wenn er von seinen legalen Arbeiten leben könnte, möchte er weiter Zeichen setzen, in Paris, seinem Atelier, sagt er. Dann hebelt er an einer Bushaltestelle ein Werbeplakat aus dem Leuchtkasten, wirft es in den Müll und sprüht einen Regenbogen auf die leere Fläche. Spätestens morgen wird eine Reinigungsfirma es wegwischen. Aber es war da. Und darum geht es.