M. Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier Bühnenstarr

Von Micky Beisenherz
Micky Beisenherz
© Illustration: Dieter Braun/stern
Unser Kolumnist kommt gerade von einer Tournee zurück. Mal war es wie Klassenfahrt, mal reiner Psychoterror.

Und dann sitzt du daheim in deinem schweren Sessel und denkst darüber nach, was das da alles gewesen ist. Ein paar Tage bin ich auf Tour gewesen, gastierte mit meiner Show in mehreren Städten und muss sagen: Das war ein irrer Ritt. Man erfährt so viel. Über die Leute in den einzelnen Städten, das Publikum, die Gäste auf der Bühne.

Und über sich selbst.

Dieser kurze Moment, bevor man vor diese Menschenmasse tritt. Der Puls erhöht sich, das Herz schlägt nicht mehr so einfach nebenbei, sondern pocht sich deutlich ins Bewusstsein hinein. Werde ich gleich vor der Menge zusammenbrechen? Wird mir nach einem Satz die Stimme versagen? Blackout? Fluchtreflex? Panikattacke? Situationen, die du nicht simulieren kannst.

Was für zwei Stunden werde ich erleben? Du hast keine Chance auf Selbsterkenntnis, ohne dich selbst der "Bedrohung" einer Livesituation auszusetzen. Die Musik erklingt, die Ansage erfolgt, Applaus, Auftritt. Der Moment der Wahrheit.

Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier

Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.

Diese freundlichen Menschen, die positive, gleichsam erwartungsvolle Crowd und das Wichtigste: Das gut gelaunte Gesicht meines Freundes und Sidekicks Loffy, der sich nicht nur um die Technik kümmert, sondern rechts an der Bar auf dem Podium das fröhliche Gesicht ist, in das ich die ganze Zeit blicke. Es macht so unglaublich viel aus für mich, da jemanden zu wissen, mit dem ich mir nicht nur die Freude auf der Bühne teile, sondern auch all das drumherum. Klassenfahrt, das ist das Gefühl, das sich durch alles hindurchzieht. Wie schade wäre es, all das nur allein zu erleben.

Und sind wir ehrlich: Es ist psychologisch eine immense Krücke, da vor den Leuten jemanden bei dir zu wissen, zu dem du im übertragenen Sinne den Ball auch mal abspielen könntest, wenn der Druck dir gerade zu viel wird. Nicht, dass es nötig wäre. Aber allein das Bewusstsein, dass du es könntest, reicht, um eine derartige Situation gar nicht erst eintreten zu lassen.

Das Reden vor Leuten bedeutet nicht dein automatisches Ende

Es sind interessante Vorgänge, die da in einem arbeiten. Dich selbst dabei zu beobachten, wie du so vor Publikum funktionierst. Ich kenne solche und solche Abende. Zweifellos gab es in der Vergangenheit Auftritte, die man nur als missraten bezeichnen kann. Die Nervosität, die Angespanntheit, die Kurzatmigkeit, mit der ich die Texte runterratterte, als könnte ich es nur mit der nötigen Sprechgeschwindigkeit möglichst schnell hinter mich bringen. Es war mitunter grausam, und das hat man auch gesehen. Wie soll ich Ihnen das beschreiben? Erinnern Sie sich an den Auftritt von Habeck bei Maischberger zum Thema Insolvenz? Genau. Das war pures Performergold gegen meine Lowlights.

Aber es hat sich etwas verändert. Zum einen erzähle ich öffentlich nur noch Dinge, die mich selbst interessieren – und das Wichtigste: Ich habe Routine. Wenn du erst einmal gelernt hast, dass das Reden vor Leuten nicht dein automatisches Ende bedeutet, wächst die Selbstsicherheit.

Das schlichte Vertrauen, dass es geht, ja mehr noch: dass es Spaß macht. Denn darum geht es im Leben doch immer. Um die beiden Antipoden: Lust und Angst. Habe ich Lust, habe ich Freude am Tun? Dominiert die Angst vor dem Versagen? Ist mein ganzes Tun geprägt von Gedanken ans Scheitern? Oder gebe ich diesem Abend die Chance, eine tolle Erinnerung zu werden?

Kleiner Pferdefuß: Du findest es nur raus, wenn du selbst rausfindest, nach draußen. Aber sehen wir es mal so: Selbst ein beschissener Auftritt taugt später noch zur guten Anekdote. Tröstlich.

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