Keine Ahnung, was Sie sich so für 2023 vorgenommen haben, aber: Beste Absichten sind wie alles, was mit Vorsatz geschieht – hinten kommt selten etwas Positives bei raus.
Reden wir lieber über Gewissheiten. Zum Beispiel den Umstand, dass die Tage bereits wieder länger werden. Merkt man gerade noch nicht so, wenn es um acht noch so finster ist wie die Seele ostwestfälischer Schweinebarone. Und doch wird es besser. Es hellt sich auf.
Sehnsüchtig erwarte ich jetzt schon den Geruch von Gras. Womit ich nicht entfesselte Kiffer meine, die Lauterbach von der Kette gelassen hat, sondern so richtige Wiese. Das satte Grün, mit dem ich so viel Leichtigkeit verbinde.
Als Jugendlicher träumte ich von einem Aufsitzmäher
Wobei, halt: Waren es nicht genau diese rund 500 Quadratmeter, die mich als 13-Jährigen jeden Samstag gequält haben? Woche für Woche habe ich diese elenden Halme gemäht. Dieses öde Spurhalten, dieses stupide Hin und Her und zuallerschlimmst: das Schleppen dieses Auffangbeutels zum Komposthaufen, unter dessen oberster Schicht es so seltsam heiß und gärend war.
Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier
Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.
Nicht einmal Geld gab es dafür, weil meine Eltern der geradezu irren Ansicht waren, dass man als Teil einer Gemeinschaft Dinge auch mal unentgeltlich machen kann. Verrückt, ich weiß.
Was habe ich geträumt von diesen Aufsitzmähern, mit denen Platzwarte majestätisch über die Halme kreisen. Auf der anderen Seite war da unser Nachbar, der noch seinen mechanischen Urzeitmäher mühsam vor sich herschob, um danach aufwendig den Rasen zusammenzurechen. Für so was zahlen empfindungsgeschädigte Top-Manager heutzutage viel Geld.
Rieche ich heute frisch gemähten Rasen, beamt mich der Duft zurück in die Zeit, in der das Leben noch frei und vertragslos war. Dieser Geruch bedeutet Aufbruch und Spiel. In all den Verpflichtungen und Dienstlichkeiten ist es eine frisch geschnittene Wiese, die an mein kindliches Ich appelliert. Nur wenige Düfte machen mich happier als dieser.
Er ist so zeitlos. Ob du mit sieben mit Ball unterm Arm von einer gemähten Wiese kommst oder mit 47, es spielt keine Rolle. Auf den Halmen, die die Welt bedeuten, sind alle gleich, egal, ob sie daheim Fischgrätparkett haben oder Laminat.
Wilde Wiesen gab es so reichlich wie heute Rewe-City-Filialen
Kein Besuch in meinem Elternhaus, der nicht darin endet, dass mein Bruder und ich mit seinen Söhnen im Garten flanken und Flugkopfbälle trainieren, während die Rhododendren meiner Mama immer noch genauso bedroht sind wie damals.
Meine Kindheit war geprägt von mehr oder minder gepflegten Grünflächen. Wilde Wiesen gab es so reichlich wie heute Rewe-City-Filialen. Abenteuerzonen, durchbrochen lediglich von Bäumen oder ein paar schweren Steinen, unter denen sich ganze Mikrokosmen befanden. Im hinteren Teil des Gartens hatte mein Opa Apfel-, Pflaumen- und Kirschbäume, gigantische Urzeitriesen, an deren Fuß ich meine Playmobilwelten aufbaute.
Der heimische Garten als Osterwiese. Hummeln, von irgendwo oben der Sound eines Sportflugzeuges und drei Häuser weiter ein Nachbar, der zum ersten Mal im Jahr den Rasen mäht.
Ein Job, den bei meinen Eltern längst ein Mähroboter namens Franz übernommen hat. Ein Name, den sich der Roboter erarbeitet hat, weil er so einsam seine Kreise über den Platz zieht wie damals Franz Beckenbauer nach dem Gewinn der WM in der Sommernacht von Rom.
Das ist doch auch viel poetischer als, sagen wir mal, "Trimm Wiese".