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M. Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier Das Zoo House - wo nur die Sonne stärker blendet

Es gibt für alles ein erstes Mal - auch für einen Besuch im Berliner Soho House, eine Art intellektueller Swingerclub für Kreative. Unser Kolumnist Micky Beisenherz über seinen Tag im Hipstergehege.
Eine Kolumne von Micky Beisenherz

Junge, trainierte Männer in kurzen Badeshorts mit Designersonnenbrillen sitzen am Rande des Pools, nippen an ihren Drinks und statuieren bedeutungsschwanger vor sich hin. Ein Bild wie die Startseite von GayRomeo.com. Oder eine Dolce & Gabbana-Anzeige. Was streng genommen das gleiche ist. Wenn die Augustsonne den Last Call ausstrahlt, versammeln sich die Hedonisten noch einmal zum pheromonalen Sommerschlussverkauf auf der Dachterrasse. Vom Soho House. Berlin.

Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier

Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.

Eine Art Country-Club, der weltweit Dependancen hat und seinen zahlenden Mitgliedern die Möglichkeit bietet, den Fitnessclub zu nutzen, das Restaurant, die Bar, sogar ein eigenes kleines Kino gibt es. In den Räumlichkeiten lässt sich auf schicken Möbeln rumlungern, im obersten Stock über die Skyline von London, New York oder Los Angeles blicken oder - wenn man Pech hat - über die Mörtelwüste Berlin.

Das Soho House nutzt die Räumlichkeiten des ehemaligen Politbüros der SED-Oberen - die allerdings kamen sich vermutlich nie so wichtig vor wie die meisten, die hier ein- und ausgehen. Bereits die Anmeldung unten in der Lobby gerät zur Farce, als ich mich – man wird von einem Member als Gast angemeldet - irrtümlicherweise auf Deutsch vorstelle. Logisch, wir sind in Berlin-Mitte. Englisch ist hier Amtssprache. So verpflichtend wie Laktoseintoleranz. Das mit der Anmeldung durch einen Stammkunden: Ein cleverer Schachzug gegen unkontrollierte Zuwanderung durch Touristen oder Asylmissbrauch durch ... nun ja ... Claudia Effenberg zum Beispiel.

Fotografieren ist streng verboten

Bereits im Lift begegnet mir der erste Vollbart. In Shorts und Espandrillos. Er hat Stunden gebraucht, um so auszusehen, als sei ihm sein Aussehen egal. Ich hätte gern ein Bild beigelegt. Leider ist Fotografieren im kompletten Hipstergehege streng verboten. Fotos fürchten sie hier mehr als die deutsche Sprache. Man schätzt Privatheit. Vor allem die internationalen Prominenten, die hier regelmäßig mal vorbeischauen. Was man für gewöhnlich dadurch mitbekommt, dass irgendeine Society-Kolumnistin sich schnappatmend mit eben diesen Promis an eben diesem Ort bei Facebook markiert. Doch nicht nur internationale Größen schauen hier vorbei. Auch Sigmar Gabriel. Nachdem er die komplette "TV Spielfilm" durchtelefoniert hatte, ging bei Schweigers jemand dran, und so schleppte er den beliebten Ausrufezeichner in den Club, um mit ihm bei circa acht Flaschen Rosé die Gründe für die Flüchtlingsproblematik zu erörtern. Dass er gerade als Wirtschaftsminister die Waffenexporte in den arabischen Raum und Nordafrika verdoppelt hat, hat er vermutlich vergessen, seinem Kumpel zu erzählen.

Wenn beide an den Akkuzapfstationen ihre iPhones aufladen konnten, war der Nachmittag zumindest für irgendwas gut. Ja, es gibt diverse Docking Stationen hier im Barbereich, die Kabel drapiert in kleinen Vogelhäuschen, an denen man gratis sein Smartphone aufladen kann. Ohnehin gibt es hier mehr iPhones, iPods und MacBooks als in jedem Apple Store. Was klar ist: Schließlich ist das hier eine Art intellektueller Swingerclub für Kreative. Und die sitzen immer vor ihrem MacBook, Sekunden vor dem großen Durchbruch mit ihrem "Projekt".

Member wird, wer kreativ ist

Ein schöner Euphemismus für Arbeitslosigkeit ist das. Hier wird gemovet und geshaket, dass die Schwarte kracht. Member wird, wer kreativ ist, Künstler, wer dem Kulturbetrieb das nächste Ei ins Nest legt. Und nicht etwa Anwalt, Arzt oder Banker - Hamburger haben hier also nichts zu suchen. Ebenso wie diejenigen, die keine zwei Soho-Housebesetzer finden, die für ihn als Neu-Mitglied bürgen. Um überhaupt in die Vorauswahl zu gelangen. Könnte ja jeder kommen.

Ich sitze also zusammen mit meinem Kumpel Schmitti, dem Member, Türöffner, ach was, dem Mann mit der Schlüsselgewalt fürs Paradies, in Barnähe am Tisch und beobachte die hektische Nonchalance. Wir haben Notebooks vor uns aufgeklappt, um nicht aufzufallen. Ähnlich wie die Prozedur bei "The Walking Dead", wenn die Protagonisten sich mit fauligen Innereien einreiben, um von den Zombies als einer der ihren in Ruhe gelassen zu werden.

Tatsächlich arbeiten wir. Lediglich unterbrochen von ein paar Bieren, ein paar Gläsern Weißwein - und dem ständigen Blick auf all die anderen, die hier sind: Ein Typ, der aussieht wie ein Narco aus einem Don-Winslow-Roman, ganz in Schwarz mit Moustache, macht sich Notizen. Vermutlich die Reihenfolge derer, die er mit der Uzi in seinem Gitarrenkoffer nachher im "Grill Royal" ummetert. Soeben kommt Noel Gallagher um die Ecke. Zumindest jemand, der ihm entfernt ähnlich sieht. Dann Ringo Starr. Es macht Spaß, sich vorzustellen, dass es die echten sind. Und nicht etwa Abziehbilder. Davon gibt es hier reichlich. Man badet wahlweise im Pool. Oder im Klischee.

Wer unter 27 ist, bezahlt weniger

Die Arbeitslosenquote hier oben ist gerade höher als in Duisburg-Marxloh, und die wenigen, die hier tatsächlich geschäftlich sind, versenken dank ihrer roségetränkten Rübe gerade hunderttausende Euro. Wo wir gerade über Geld sprechen: Ist man unter 27, kostet die Mitgliedschaft weniger. Auch so eine Art Club 27 - allerdings ohne die kulturelle Bedeutung seiner Member. 27. Das ist gelebte Gerontophobie.

Die Qualität meiner Arbeit wird mit zunehmender Sonneneinstrahlung und flankierendem Bier auch nicht besser. Dafür aber die Stimmung. Jetzt, da die Szenehengste zum Royal Rumble blasen. Sie haben wirklich alle ihr Poloshirt ausgezogen. Lacoste-Intoleranz. An mir vorbei streift ein junger, dürrer Kerl, der aussieht wie einer, der in "Homeland" den Terrorfürsten gespielt hat. Auf seinem rechten Brustmuskel prangt ein Löwenkopf. Was vermutlich für Durchsetzungsstärke steht. Wahrscheinlich aber auch nur für zu viel Tagesfreizeit, sich diesen Schwachsinn tatsächlich tätowieren zu lassen. Es sind wirklich sehr viele Tätowierte hier. Vielleicht ist das hier so eine Art Messe.

Eine junge Frau nimmt ein paar Tische weiter Platz. Ein Model. Sie muss Model sein. Ich meine, sie ist jung, schlank, attraktiv - und hier! Über ihr MacBook ragt ein dermaßen großer Hut, dass Schmitti und ich versucht sind, hinzugehen und sie zu fragen, ob hier gerade Los Wochos sind, oder warum sie einen Sombrero trägt.

Der Alkohol zeigt zweifellos Wirkung.

Um stylischer zu whatsappen, tragen die Mädels hier ein weißes T-Shirt und diese karottige Boyfriend-Jeans, deren Bund so weit oben sitzt. Das ist kess, frech und trendy gemeint - erinnert aber unweigerlich an Begrüßungsgeld und Leute, die freudig auf Trabbidächer hauen.

Da hinten am Tisch: Ein Mann, der aussieht wie Florian Langenscheidt. Er ist erbärmlich gut gelaunt. Muss wohl der echte sein.

Es herrscht Herrenüberschuss

Auffälliger Herrenüberschuss. Die unvermeidlichen aufgespritzten Frauen, die daran interessiert sind, sich in Wohlstand hinein zu schlafen, wissen wohl, dass hier nix zu holen ist - dann lieber im Vapiano oder irgendeiner Burgerbraterei denjenigen auflauern, die Mittagspause von einer echten Arbeit haben.

Unser Tagewerk ist mittlerweile vollends zum Erliegen gekommen. Das Bier. Überdies gibt es echt viel zu gucken. Jemand hält sich zum Telefonieren ein iPad ans Ohr. Es sieht sehr dumm aus. Möglicherweise ist er aber auch the incredible shrinking man und weiß es noch nicht.

Dem Pool - einer Poserbowle mit ganzen Früchten - entsteigt ein Typ und geht Richtung Bar. Mich amüsiert der Gedanke, dass den meisten hier ein Pauschalurlaub auf Mallorca ein Graus wäre - letztendlich aber zahlen sie monatlich viel Geld, um an einem Ort zu sein, wo Typen in Badeplinte mit Bier an der Theke sitzen.

An Arbeit denkt jetzt wirklich niemand mehr. Der ganze Laden ist eine einzige Prokrastinationsfabrik, ein Disneyland für Scheinriesen, alles hier brüllt "Look at me!".

Soho klingt nicht von ungefähr wie Zoo.

Schicke Scharlatanerie für all jene, die mal wieder lifesteil gehen wollen und sich aufmachen, die Sonne im Blenden zu schlagen.

Kurz und gut: Es ist herrlich. Ich will da schnell wieder hin.

Gibt es zwei, die für mich bürgen wollen?

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