Der Dezember macht es gut. Mit seinen kurzen Tagen. Das Wetter ist zumeist so hässlich und grau, dass tagsüber fast jede Stadt aussieht wie wir im Neonschein von Umkleidekabinen. Da trifft es sich gut, dass das wenige Tageslicht schon gegen 15 Uhr weg ist. Gnädige Dunkelheit und Weihnachtsbeleuchtung mit floriansilbereisernem Kitsch machen sogar Gütersloh zur Badewanne für die Seele.
Im einsetzenden Nachtschlaf blinzle ich gerne durch das Schlafzimmerfenster auf die bernsteinfarbene Beleuchtung der Nachbarwohnung im dritten Stock. Es wärmt mich. Die Dekoration in meiner Stammkneipe und der LED-Baum bei uns im Wohnbereich sind die kleinen Freuden der Vorweihnachtszeit, an deren Ende auf Erwachsene für gewöhnlich nichts Spektakuläres mehr wartet. Im besten Falle kriegt man etwas Praktisches geschenkt, und das ist ja nun wirklich das Allerletzte. Und seine Ruhe wünscht man sich nur so lange, bis man sie tatsächlich hat.
Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier
Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.
Wohl denen, die Kinder um sich haben. Nicht nur, dass wir ihnen für gewöhnlich emotional so verbunden sind, dass wir uns aufrichtig für sie freuen können. Ein wärmender Co-Enthusiasmus. Sie haben auch eine breite Palette an Wünschen. Anders als bei den eigenen Eltern zum Beispiel. Die wünschen sich eigentlich nix. Da greift man in seiner Ideenarmut für Papa am Ende zu Angela Merkels Autobiografie, weil die Schlange vor dem Spirituosengeschäft für Dubai-Obstbrand zu lang war.
Der erste Vorbote ist der 6. Dezember. Allein für all das, was meine Tochter aufgezählt hat, was ihr der Nikolaus gebracht hat, hätte ich mir einen halben Tag frei nehmen müssen. "Kann der Weihnachtsmann nicht das ganze Jahr kommen?"
Die schönsten Momente waren für mich selbst einst jene Sonntagmorgen, an denen ich alleine im Wohnzimmer vor dem Fernseher hockte und die Reklame schaute. All die sensationellen Spots mit den neuen He-Man-Figuren, mit Carrerabahnen oder Lego-Technic-Sets, für deren Aufbau ich natürlich zu dumm und zu ungeduldig war. In meinem Schlafanzug lag ich auf dem Boden und kreiste in Werbeheftchen und Katalogen ferngesteuerte Autos oder Roboter ein, damit das Christkind später nicht völlig orientierungslos durch den Supermarkt irren muss.
Es war eine herrliche Zeit. Die an Heiligabend ihr jähes Ende fand, wenn im ferngesteuerten Auto unter dem Baum keine Batterien enthalten waren und es um die Uhrzeit auf dem Dorf auch keine mehr zu kaufen gab. Auf so einen Umstand hätten die Eltern auch mal vorbereitet sein können. Zumindest meine Mutter. Unser Papa war an Heiligabend genauso überrascht von unseren Geschenken wie wir. Danke für nichts, Christkind.
Weihnachten am Bierwagen
Christkind, Weihnachtsmann – wer ist in dem Kompetenzgerangel eigentlich für was zuständig? In meinem Heimatdorf gab es einen kleinen Weihnachtsmarkt. Vier, fünf Hütten maximal. Einen Glühweinstand, eine Würstchenbude, Honigwachskerzen, ein kleines Glücksrad. Man war schnell durch bzw. schnell am Bierwagen bei der alten Kirche, an dem Schützenkönige, Bauern und die Dorfjugend sich für die anstehenden Feiertage sedierten. An der Kirchenmauer befestigt war ein altes Münztelefon mit Wählscheibe. Damit konnten wir Kinder den Weihnachtsmann anrufen und ihm unsere Wünsche mitteilen. Zumindest bis wir anfingen, geschlechtsreif zu werden und mit dem Elan pubertierender Schimpansen begannen, den Weihnachtsmann mit frisch erlernten Begriffen zu überziehen.
"Na, mein Kleiner, und was wünscht du dir zu Weihnachten?" – "Busen!" (aufgelegt) Hihihi. Ja, Busen, genau.
Lange habe ich mich dafür geschämt, einen wackeren Ehrenamtler so verarscht zu haben. Mittlerweile bin ich davon überzeugt, der Weihnachtsmann war auch nur einer von den Typen mit einer Standleitung am Bierwagen gegenüber.

Es gibt ein schönes Foto von mir, da muss ich so sechs gewesen sein. Wir waren bei Verwandten, und mein Onkel spielte für meinen Cousin Tömmes und mich den Nikolaus. 1983 hatte der noch das goldene Buch als Sündenregister dabei, um daraus vorzulesen. Durch die Augenschlitze einer Maske. Die überdies vom Hautton so dunkel geriet, dass Thommy Gottschalk sie jederzeit nutzen könnte, um auf einer Kostümparty in Beverly Hills den Jimi Hendrix zu geben.
Zur Linken des angsteinflößenden Bischofs lag ein großer Sack, aus dessen oberem Ende ein Paar Kinderschuhe herausragte. Ein deutlicher Hinweis darauf, wo der Abend für die enden würde, bei denen die Bilanz allzu negativ ausfiel. Der Auftritt verfehlte seine Wirkung nicht: Auf dem alten Foto sieht man das vor Terror erstarrte Gesicht von Tömmes, während ich wiederum amüsiert neben ihm sitze und vergnügt mit den Beinchen strampele. Angeblich soll ich sogar mit frechen Zwischenfragen die Show torpediert haben: "Onkel Michael, warum sprichst du denn mit einer soooo tiefen Stimme?" Die Schuhe hatten ihn verraten.
Weihnachtsmann in Flip-Flops
Ähnlich erging es meinem Kumpel Onur, der letztes Jahr an der Haustür meiner Eltern für meine Tochter rührend und einfühlsam den Weihnachtsmann spielte. Das Mädchen schaute sich das alles an und gab sich entsprechend demütig, nur um am nächsten Tag zu erzählen, dass sie dem Vortrag eher nicht so getraut habe, weil: Der richtige Nikolaus kommt eher selten mit Socken in Flip-Flops.

Für meine Tochter ist nicht nur an Weihnachten alles eine Nummer größer als in der Provinz. Das Heimatdorf ist nicht Henrichenburg, sondern Hamburg. Die Reklameoffensive kommt nicht nur im Fernsehen, sondern auch über YouTube, TikTok und Instagram. Lediglich die Wünsche selbst sind immer noch von beruhigender Harmlosigkeit.
Und der Weihnachtsmann ist nicht nur telefonisch erreichbar, sondern live und in Farbe zu bestaunen. Im Haus gegenüber lebt ein Mann mit schlohweißem Haar und Bart. Für meine Tochter und die Nachbarskinder unter uns wohnt der Weihnachtsmann also nicht am Nordpol, sondern in derselben Straße und geht zum Rauchen auf den Balkon. Im Sommer auch in Unterhose.
Ob das wirklich so schön ist, dass der Weihnachtsmann das ganze Jahr kommt? Ich weiß nicht.