Für jede Oper gibt es eine Traumbesetzung. Sänger, die nicht nur singen, sondern ihre Charaktere verkörpern und eine Rolle für die Nachwelt prägen. Das Traumpaar für Giacomo Puccinis Oper "La Bohème" besteht aus Luciano Pavarotti und Mirella Freni. Der italienische Tenor mit dem butterweichen Timbre und die geborene femme fragile haben sich bereits im Kindergarten kennen gelernt und in ihrer italienischen Heimat Modena miteinander im Sandkasten gesessen. Auf der Opernbühne sind sie sich später wieder begegnet. Pavarotti und Freni sind oft gemeinsam aufgetreten, aber "La Bohème" war ihre größte Show.
Puccinis Oper ist ein genial komponiertes Künstlerdrama aus dem Pariser Quatier Latin. Eine lustvoll tönende Skizze aus dem Leben der französischen Bohème, die so arm aber sexy war wie heute die Künstler im Prenzlauer Berg.
Der Dichter Rodolfo teilt sich eine spärliche Mansadenwohnung mit seinen Freunden, einem Maler, einem Musiker und einem Philosophen. Die vier haben zwar kaum Geld, aber viele Ideale. Sie wollen die Welt erobern - mindestens. Und Rodolfo fängt damit bei den Frauen an.
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Als die sittsame Mimi an seiner Tür klopft und er ihr eiskaltes Händchen zu fassen bekommt, ist es um ihn geschehen. Rodolfo lädt Mimi ein, ihn zu seinen Freunden in das Café Momuse zu begleiten. Hier wird die Vorweihnacht mit Schampus und gutem Essen gefeiert - die Rechnung wird natürlich nicht beglichen. Nach diesem furiosen Auftakt beginnt das eigentliche Drama der Oper. Es stellt sich heraus, dass Mimi sterbenskrank ist. Sie trennt sich von Rodolfo, um ihm ihr Leiden zu ersparen. Das Lotterleben hält wieder Einzug im Quartier Latin. Rodolfo und sein Maler-Freund Marcello, der seinerseits ein verkorkstes Liebesleben mit der flatterhaften Musetta führt, merken, dass ihnen etwas fehlt: die leidenschaftliche und beständige Liebe. Erst in letzter Sekunde finden Rodolfo und Mimi wieder zusammen - zu spät.
Im letzten Aufzug versetzen die Bohème-Freunde noch schnell ihr letztes Hab und Gut für Medizin, doch auch die kann die todkranke Mimi nicht mehr retten. Ihr Händchen bleibt für immer kalt. Der Vorhang fällt.
Eine gehörige Portion Schmelz
Luciano Pavarotti und Mirella Freni geben Puccinis Oper all das, was sie braucht. Und das ist vor allen Dingen eine gehörige Portion Schmelz. Schon die erste Liebeszene mit den zwei großen Vorstellungs-Arien wird bis heute von vielen Sängern imitiert. Niemand stirbt so zerbrechlich schön wie Frenis Mimi, kein Tenor leidet so schmachtend wie Pavarottis Rodolfo.
Was die "Bohème" zu einer der meistgespielten Opern macht, ist ihr unglaublich kluger und kurzweiliger Aufbau. Puccini beginnt ganz ohne Vorspiel, integriert sein Publikum sofort in die luftig leichte Lebenswelt der Künstlerfreunde und startet schnurstracks damit, Motive zu erfinden, die den Zuhörern in Erinnerung bleiben. Im gesamten letzten Akt, dem Sterbeakt, zurrt der Komponist die ausgelegten Strippen dann wieder zusammen. Er entfach einen Rausch aus klingenden Erinnerungen im Orchester, während Rodolfo und Mimi ihr kurzes aber aufregendes Leben Revue passieren lassen. Puccini bedient sich einer "Light"-Version der Wagnerschen Leitmotive und versetzt sein Publikum so in einen nostalgischen Rausch der Erinnerungen. Die musikalischen Themen der Opernhöhepunkte ziehen noch einmal an den Ohren vorbei. Eine Kompositionsmethode, die garantiert taschentuchtraurig macht.
Francesca Zambello hat in der Inszenierung für die Oper in San Francisco getan, was ein Regisseur tun sollte, wenn er ein Allstar-Ensemble zur Verfügung hat: Er lässt seinen Sängern ausreichend Raum zum spielen. Die Bühne zeigt ein realistisches Abbild des Bohème-Lebens, und das wird durch die Spiellust der Sänger zum Leben erweckt. Gut anderthalb Stunden erzählen Pavarotti und Freni eine der schönsten und tragischsten Liebesgeschichten der Oper, die endet wie alle guten Opern: im leidenschaftlichen Abschiedsduett.