CHEMICAL BROTHERS Die Könige des »Big Beat«

Die Chemical Brothers sind zurück und liefern mit ihrem neuen Album »Come With Us« wieder eine unglaublich facettenreiche Zusammenstellung feinster elektronischer Musik ab.

Es gab eine Zeit – Mitte der 90er – da galt »Big Beat« als die angesagteste Stilrichtung elektronischer Musik. Markenzeichen: Eine rasante Mixtur aus HipHop-Breaks und –Samples, Rock-Riffs und einem Bass, wie er tiefer und schwerer kaum klingen kann – »Big« eben. Dance-Größen wie etwa Prodigy und Fatboy Slim wurden unter dem »Big-Beat«-Label geführt und scratchten, sampleten und dröhnten von einem Erfolg zum nächsten. Sogar die als Dance-feindlich verschrieenen USA ließen sich von der Welle anstecken und kauften die »Big-Beat«-Vertreter mehrfach in die Single- und Album-Top-Ten. Doch so schnell sie gekommen war, ebbte die Welle auch wieder ab. Prodigy geben seit Jahren keinen Mucks mehr von sich, und Fatboy Slim konnte mit seinem letzten Album nur noch mäßigen Erfolg feiern.

Facettenreich

Doch die ungekrönten Könige des »Big Beat« wollen einfach nicht in der Versenkung verschwinden: Die Chemical Brothers zeigten mit ihrer letzten umwerfend facettenreichen Langrille »Surrender« erneut ihre enorme Entwicklungsfähigkeit und stiegen mit dem Erfolg des Albums endgültig in den Rang von Dance-Superstars auf. Danach galten die Brüder im Geiste für über 18 Monate als verschollen. Jetzt sind sie wieder ans Licht der Öffentlichkeit getreten und haben auch gleich ein neues Album mitgebracht. »Come With US« lautet der Titel und man folgt dieser Aufforderung zum Eintritt in die Klangwelt der beiden Briten gerne, stieg doch jedes ihrer Alben in den Rang eines kleinen musikalischen Meilensteins auf.

Angefangen haben Ed Simons und Tom Rowlands 1991 als DJ-Team in Manchester. Ein passender Name wollte den beiden Geschichtsstudenten nicht einfallen, also bedienten sie sich bei den von ihnen für die Produktion des Beastie-Boys-Albums »Paul?s Boutique« hochgeschätztem Producer-Team »Dust Brothers«. Als große Fans von Acid-, Rock- und HipHop-Größen konnten sich die Manchester Dust Brothers nie für eine bestimmte Plattenauswahl ihrer Lieblinge entscheiden. So kamen sie schließlich dazu, die verschiedenen Stile einfach übereinander zu mischen. Mit diesem damals noch gewagten Schritt gewannen ihre DJ-Sessions schon bald einen fast legendären Ruf. Die Rechtsabteilung der amerikanischen Dust Brothers blieb natürlich nicht lange stumm, so dass die beiden Klang-Künstler bereits ihr erstes Album als Chemical Brothers veröffentlichten. Der Titel lautete passender Weise »Exit Planet Dust«. Die Scheibe verkaufte sich weltweit über eine Million mal und inspirierte eine ganze DJ-Generation zum fröhlichen Nachahmen.

Hits und Stargäste

Mit dem 97er-Nachfolgewerk »Dig Your Own Hole« schafften Ed und Tom dann schon mit zwei Auskopplungen den Sprung auf Platz Eins der britischen Single-Charts. »Setting Sun« und »Block Rockin? Beats« zeigten eine weitere typische Facette der Brüder: das Einspielen des Gesangs vieler ihrer ehemaligen Musik-Helden – hier Indie-Rocker Noel Gallagher und US-Rapper Schooly D. Auf »Surrender« folgten noch Bobby Gillespie von Primal Scream und Bernard Sumner von »New Order«. Außerdem eroberten sie mit dem Techno-Kracher »Hey Boy Hey Girl« endgültig die Tanzflächen nahezu aller Clubs. Es folgte eine mehr als erfolgreiche Welt-Tournee bevor die Chemical Brothers sich Zeit für ihr neues Album nahmen.

Schon mit dem gleichnamigen Einstiegs-Track von »Come With Us« fühlen sich Chemical-Fans gleich wieder heimisch. Die treibenden Beats erinnern stark an »Block Rockin? Beats«, aber ein spannungsgeladener Streicher-Sample verleiht dem Track eine ganz eigene Dramatik, die wohl kaum ein Tanzbein in Ruhe verharren lässt. Auch »It Began In Afrika« entfaltet diese charakteristische Herzschlag-Beschleunigung der »Chemical Brothers«. An Buschtrommeln erinnernde Drum-Schläge verdichten sich nach und nach zu einem klanglichen Höhepunkt aus schrillsten Elektro-Sirenen, Dub-Gezwitscher und monotonem Gesang. Absoluten Hör-Genuss bietet auch »Hoops« mit seinem entspannten Hin-und-Her-Driften zwischen lieblichem Gesang, einer sanften Akustik-Gitarre und emotionslosem House-Gewummer.

Klangteppich

Insgesamt bietet »Come With Us« wieder den für die »Chemical Brothers« typischen dichten, fast übergangslosen Klangteppich, der das Album sanft zwischen Einzelsongs und Gesamtkonzept pendeln lässt. Und einmal mehr erweitert das Duo sein stilistisches Spektrum, das eine Gesamteinordnung wohl kaum noch zulässt. Ob Funk-Elemente bei »Galaxy Bounce« oder an »Indian Vibes« erinnernde Audio-Zitate bei »My Elastic Edge«, alles wird gekonnt integriert. Kleine Schönheitsfehler stechen dennoch ins Auge. »The State We?re In« driftet als »Trip-Hop«-Versuch schon fast in die süßeste »Dream-Dance«-Ecke ab und das sonst so eingängige Gejammer von Stargast Richard Ashcroft wirkt im langweiligen Abschluss-Track »The Test« ein wenig verschenkt. Dennoch ein empfehlenswertes Album zweier Virtuosen ihres Fachs. »Come With Us« steht ab 28. Januar in den Plattenregalen. Wer nicht warten will kann auf der Homepage der Brüder bereit vorab in alle Tracks reinhören.

Philip Stirm

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