Fankultur Wie ich Marilyn Manson lieben lernte

Von Charlotte Kieslich
Von der Presse als Schockrocker tituliert, von Millionen Müttern gefürchtet, von Kirche und Politik verachtet - obwohl alle Welt ihn zu hassen scheint, erreicht Marilyn Manson die Massen. Aber warum? Ein Fan berichtet.

Was die meisten Menschen als erstes in Brian Warner alias Marilyn Manson sehen, ist ein Geisteskranker, der mit satanischen Ritualen liebäugelt: pechschwarze Haare, weißes Gesicht, schockierendes Make-up und extravagante Kleidung. Mir ging es nicht anders. Nachdem die Spice Girls sich aufgelöst hatten, hörte ich Britney Spears, merkte aber schnell, dass dem Pop die Subtanz fehlt. Mit 13 Jahren sah ich Manson das erste Mal im Fernsehen in seinem Video-Clip zu "Tainted Love" und musste mir eingestehen, dass ich die Musik gut fand. Der Mensch - sofern es sich um einen handelte - war mir suspekt. Aber er hatte mein Interesse geweckt.

"Your world is an ashtray!"

Zwischen Manson und den Teenie-Stars liegen Welten. Seine Songtexte sind sprachliche Meisterwerke, die genau jenes gnadenlose Maß an Kritik enthalten, das die Welt braucht und verdient. You cut off all of your fingers and trade them in for dollar bills/ "Ihr schneidet euch die Finger ab und verhökert sie für Dollars". Mit solchen harten Zeilen ist Manson zwar nicht der Erste, auch Künstler wie Alice Cooper, Kiss oder AC/DC haben ihre Zeitgenossen geschockt. Aber Manson ist eben kein Künstler von gestern, sondern ein Provokateur unserer Tage. Seine bevorzugte Zielscheibe ist die die amerikanische Gesellschaft in all ihrer Scheinheiligkeit, die Politik und die Kirche. Multiply your death, divide it by sex, add up the violence and what do you get? (...) We are all just stars on your burning flags"/ "Multipliziert euren Tod, dividiert ihn durch Sex, addiert dazu die Gewalt und was bekommt man? (...) Wir sind alle nur Sterne auf eurer brennenden Flagge". Manson mokiert sich über den "American Dream", die heile Welt der Kleinbürger - und über die Tatsache, dass sie daran glauben ohne nachzudenken. Anti-Amerikanismus pur.

Charlotte Kieslich

... , 17, ist Schülerpraktikantin bei stern.de. Seit 2002 beschäftigt sie sich mit Marilyn Manson - und besucht, im "klassischen" Look, seine Konzerte.

"Ich hätte ihnen zugehört"

Der Streit mit "Uncle Sam" ließ nicht lange auf sich warten. 1999 machten die US-Medien ihn zum Sündenbock der Amokläufe von Columbine. Daraufhin brachte er 2000 sein bis dato aggressivstes Album "Holywood" auf den Markt und rechnete mit der amerikanischen Gesellschaft und ihrer Affinität zu Waffen ab. This is evolution: Monkey, Man, then the gun/ "Das ist Evolution: Affe, Mensch, dann das Gewehr". Michael Moore fragte ihn dann anlässlich seiner Dokumentation "Bowling for Columbine", was er den jungen Amokläufern geraten hätte. Seine reflektierte Antwort veränderte sein Bild innerhalb der Presse: "Gar nichts. Ich hätte ihnen zugehört, denn das ist das, was keiner getan hat." - Danke!

Inzwischen hatte ich seine Autobiographie "The long hard road out of hell" gelesen, die mich, ebenso wie die Songtexte, durch ihr sprachliches Feingefühl beeindruckte. Aber der letzte Kick, der mich in den Manson-Wahn stieß, kam, als ich ihn live auf der Bühne erlebte: 2003 Mal während seiner "Grotesque and Burlesque"-Tour. Obwohl das dazugehörige Album leider schon zu den kommerzielleren Titeln gehört, waren seine Auftritte jenseits meiner Vorstellungskraft: Manson steht auf einem riesigen Podium, hat Mickey-Maus-Ohren auf dem Kopf und singt seinen berühmten "Fight Song". Gigantisch.

MM-Fans an jeder Ecke

Nun ist Manson zum Massenprodukt geworden. Die "Bravo" schreibt über ihn, an jeder Ecke gibt es "MM-Fans", obwohl ein bloßes Mithüpfen nicht reicht, um das Phänomen als Ganzes zu begreifen. I'm a million different things, not one you know/ "Ich bin eine Million verschiedener Dinge, nicht eins davon kennst du". Manson verkörpert ein Lebensgefühl, das Kritik und Gleichgültigkeit, Selbstbewusstsein, aber auch Verzweiflung ausdrückt. Es richtet sich gegen den gesellschaftlichen Mainstream, mit dem sich Manson - wie seine Fans - nicht identifizieren können. Es spiegelt, was passiert, wenn man nicht akzeptiert wird, anders aussieht und vor allem anders denkt. Wie war das noch mit dem Mainstream und der Toleranz? Cause you were from a perfect world, a world that threw me away/ "Denn ihr wart von einer perfekten Welt, einer Welt, die mich wegschmiss". Und er hilft den Weggeschmissenen, sich ihrerseits abzugrenzen, sei es von der Schule, vom Durchschnittsmenschen oder Kulturen wie dem Hip Hop. Der US-Hip Hop wirbt für ein Leben, das einer endlosen Party gleicht: viele halbnackte Frauen, viel Schmuck, viel Alkohol, viel "bling bling", dafür wenig Reflexion und Aussage. Nichts für mich.

Schade, dass Manson und seine Musik so populär geworden sind. Er braucht nicht einmal mehr Skandale, um in die Schlagzeilen zu kommen. Die Presse berichtet ohnehin, sei es über seine Kunstausstellung vom September 2004 oder seine Hochzeit mit der Stripperin Dita von Teese im Dezember 2005. Hat er, der Geld und Kommerz immer verachtet hat, nicht seine eigenen Ideale verraten?

Ja. Aber mich fasziniert ohnehin eher der alte Manson, Alben wie "Portait of an American Family" oder "Antichrist Superstar", mit seinem Protest gegen nicht reflektiertes Ja-Sagen und die Scheinheiligkeit der westlichen Gesellschaft. You threw your money in the pissing well, you do just what they tell you / "Ihr werft euer Geld ins Pissoire, ihr macht nur das, was man euch sagt". Diese Zeilen sitzen. Und sie machen aus dem "Zombie" das, was er für mich bleiben wird: Ein wandelndes Kunstwerk, das sich nicht nur in Musik äußert, sondern in einem Lebensgefühl - auf intelligente Weise.

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