Auf bislang fünf Alben seit dem Debüt »Tigermilk« aus dem Jahr 1996 haben Belle & Sebastian sich um die Weiterentwicklung geheimnisvoller Popmusik verdient gemacht: Songs zu zart zum Anfassen, melancholische Filigranarbeit auf anhaltend hohem Niveau. Lieder über Schulmädchen, Busse und die vielen Verästelungen der Liebe. Vorgetragen mit einer Stimme, die nur ihren eigenen Kopftönen zu lauschen scheint. In diesem Monat haben die Schotten ihr neues Album »Storytelling« veröffentlicht.
Kritiker schreiben seit Jahren eine Eloge nach der anderen auf dieses leise Singen, Fans verliebten sich. Ein Fall von gerechter Verehrung, der die sensiblen Sieben aus dem schottischen Glasgow gerne mit Entzug und Flucht begegnen.
Sänger, Haupt-Songwriter und Belle & Sebastian-Erfinder Stuart Murdoch verweigert sich konsequent den Medien, es existiert kaum ein Band-Foto, das alle Akteure auf einmal zeigt. Auf den Album-Covern sind Freunde, Ex-Lover, isländische Musikerinnen oder aktuell Chinesen-Mädchen zu sehen, von denen Drummer Richard Colburn auch nichts weiß (»da müsste man Stuart fragen«). Was ja nicht geht, weil die Band sich in Interview-Rotation übt.
Colburn, der diesmal an der Reihe ist, nimmt?s mit Humor. »Die anderen sind gerade Shoppen. Naja, ich mache schon den Großteil der Interviews, die meisten in der Band mögen das nicht sehr.«
Für ihr neues Album »Storytelling« absolvierten Belle & Sebastian einen Betriebsausflug nach Amerika. Zuerst war da dieser Brief von US-Regisseur Todd Solondz (»Happiness«). »Er schrieb uns, dass er ein großer Fan der Band sei und fragte, ob wir Songs zu seinem neuen Film beisteuern wollten. Wir wussten nur nicht, ob er bereits existierende Songs meinte, oder neue Aufnahmen haben wollte«, erzählt Colburn.
Solondz hatte an einen kompletten Soundtrack gedacht, das Videoband mit der Rohfassung von »Storytelling« war schon unterwegs nach Glasgow. In »Storytelling« (u.a. mit John Goodman und Franka Potente) geht es um einen antriebsarmen US-Boy, der zum begehrten Objekt eines Dokumentarfilmers wird und aus seiner viereckigen TV-Welt hinaustritt in das richtige Leben, das nicht weniger makaber ist, als die Soaps und Serien, die er nonstop konsumiert.
»In der Vergangenheit haben wir die Stücke immer schon fast fertig ins Studio gebracht. Diesmal gab es nur ein paar Ideen. Aber es hat Spaß gemacht, fast aus dem Nichts anzufangen. Jeder war in den Aufnahmeprozess involviert.«
»Storytelling« ist das Dokument einer etwas anderen Band geworden: Belle & Sebastian als Seifenopercombo, von einem eigenwilligen Amerikaner mal eben aus dem Hut gezaubert. »Gerade für die kürzeren Stücke wollte Todd eine Art Musik, wie man sie aus «Roseanne» oder «Cheers» kennt. Die Sachen sollten extrem catchy sein. Das war ein neuer, interessanter Blickwinkel für uns.«
Am Ende wurden nur ein paar Tracks, ein paar Minuten für den Soundtrack verwendet. »Das war schon frustrierend«, sagt Colburn. »Wir dachten, jetzt haben wir so viele gute Sachen gemacht und dann werden nur ganz wenige davon gebraucht. Das Gute daran war: Wir konnten aus dem Songmaterial ein eigenes Album machen. Wir hatten fast 50 Stücke, manche sehr kurz, es war wie ein Puzzlespiel, die einzelnen Teile zu einem Ganzen zusammenzufügen. Ein Teil der Songs ist inspiriert von Stücken, die wir für «Storytelling» aufnahmen, die aber nicht verwendet wurden.«
Nicht in den Film geschafft hat es die auffälligste Komposition auf dem Album: »Wandering Alone«, ein hispanisierender Pop-Schlager mit Pizzicato-Streichern, frisch angeschlagener Gitarre und einem romantischen Gruß an die süße Senorita.
»Als wir das erste Mal probten, sang Stuart so leise, dass ich auch ganz leise Schlagzeug spielen musste«, erzählt Richard Colburn. »Wenn wir laut geworden wären, hättest du von Stuart nichts mehr gehört. Was Belle & Sebastian ausmacht ist, dass man den Song hört und Arrangements immer mit dem Gesang sympathisieren. Wir haben in kleinen Räumen geübt und immer darauf geachtet.«
Das Gros der neuen Stücke besitzt aber gar keinen Gesang. »Fuck This Shit« vom neuen Album verwirrte das Publikum als Eröffnungsstück bei der Belle & Sebastian-Show in Brüssel nachhaltig: eine vertrödelte Mundharmonika, eine akustische Gitarre, Sixties-Muzak für gehobene Ansprüche. Das soll?s gewesen sein? »Ja, es hat was von den Sixties«, sagt Colburn. »In anderen Stücken passieren auch viele Dinge mit Streichern und Keyboards. Hoffentlich gehen wir das nächste Mal in eine komplett andere Richtung.«
Frank Sawatzki, AP