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Lady Gaga - Interview "Menschen müssen gaga sein"

Sie ist die derzeit erfolgreichste Künstlerin im Pop: In der neuen Ausgabe von "Neon" spricht Lady Gaga über einsame Nächte mit Freddie Mercury, Männer als Spielzeuge und Lügen, die zur Wahrheit werden.

Lady Gaga ...

Sie dürfen gerne Gaga zu mir sagen.

Woher haben Sie diesen schönen Namen überhaupt?

Von "Radio Gaga" von Queen, natürlich. Ich liebe Freddie Mercury. Er hat Theater und Pop miteinander versöhnt - schauen Sie sich nur seine Bühnenshows an, das waren riesige Opern! Als ich mich vor meinem ersten Plattenvertrag bei Theatern in New York um Auftritte bewarb, mit meiner Musik und meinen Kostümen, hieß es immer, ich sei zu oberflächlich, zu wenig ernsthaft. Die Plattenfirmen hingegen fanden meine Auftritte zu theatralisch – ich passte wirklich nirgendwohin. Wenn ich dann traurig und einsam zu Hause herumsaß, hat mir Freddie Kraft gegeben. Ich hörte seine Musik - und dachte: Der hat es schließlich auch geschafft.

"Pokerface" und "Just Dance" hielten sich über Monate auf Platz eins der Singlecharts. Ihre Tour war weltweit ein umjubelter Erfolg. Lady Gaga traurig und einsam - unter diesen Vorzeichen ist das ein nur schwer vorstellbares Bild.

Und doch gab es diese Zeit. Vor vier Jahren bin ich von der Kunsthochschule geflogen, die meine Eltern für mich bezahlt hatten; mein Vater sprach danach kein Wort mit mir, er hat mich auch finan ziell nicht mehr unterstützt. Also zog ich in dieses beschissene kleine Apartment in Manhattan, in die Lower East Side, wo es gar nicht schön oder etwa glanzvoll ist.

Sie sollen sich dann immer etwas Kokain bei einem Lieferservice bestellt und high Kostüme geschneidert haben.

Wo haben Sie das denn her? Na ja, auf jeden Fall habe ich mir damals ständig die Haare gemacht und alle möglichen Outfits ausprobiert. Wenn ich dann perfekt aussah, deprimierte mich das oft, und ich begann von vorn. Die Zeit war wirklich schlimm. Die Sachen von damals trage ich übrigens heute noch.

In der Talkshow von Ellen DeGeneres sah man Sie kürzlich mit einer orbitartigen Metallhaube auf dem Kopf, bei Ihren Shows explodiert funkensprühend Ihr BH, wenn Sie nicht gerade in einem durchsichtigen Blasenkleid über die Bühne schweben. All diese futuristischen Schockkostüme stammen aus jener Zeit?

Vielleicht. Aber nur für Menschen, die ohne Mut und Fantasie durchs Leben gehen, ist mein Stil ein Schock. Ich finde ihn einfach interessant. Ich finde es gut, dass ich nicht so aussehe wie alle anderen Popsängerinnen. Vielleicht verändert sich dadurch sogar ein wenig, was die Leute sexy finden und was nicht; ich jedenfalls fühle mich in meiner Garderobe wie eine begehrenswerte, machtvolle Frau.

In einer australischen Kirche traten Sie Zeitungsberichten zufolge auf einem Zebramotorroller auf, in einem Overall, bedruckt mit Zeitungsartikeln über den Tod von Lady Di. Ist das nicht eine wirklich stark verschlüsselte sexuelle Fantasie?

Auf jeden Fall gebe ich den Männern, die mich begehren, und den Frauen, denen ich ein Vorbild bin, Rätsel auf. Und das ist gut so.

Lady Gaga plaudert aus dem Nähkästchen

Das Interview stammt aus der aktuellen Ausgabe von "Neon", die ab Montag, 17. August, im Handel erhältlich ist. Mehr Infos unter www.neon.de

Warum eigentlich?

Ruhm bedeutet nicht, dass einen jeder kennt - sondern, dass einen jeder kennen lernen möchte. Das ist ein himmelweiter Unterschied. Und zu Letzterem tragen Rätsel bei. Außerdem: Wenn amerikanische Verbindungsstudenten, die jungen Frauen diktieren wollen, wie sie aussehen sollen und was sexy ist und was nicht, Angst vor mir haben, finde ich das eher gut als schlimm.

Sind Sie Feministin?

Überhaupt nicht! Um für das Recht einzutreten, dass man anziehen darf, was man will, dass man sich mitteilen darf, kommunizieren, auch wenn es nicht in eine Männerfantasie passt, muss man doch keine Feministin sein! Ich bin jedenfalls keine, ich liebe Männer, ich könnte sie alle ficken, an jedem verdammten Tag. Aber das geht leider nicht, weil ich ja gaga bin.

Weil Sie gaga sind?

Weil ich berühmt bin und daran arbeite, es in den nächsten 25 Jahren auch zu bleiben, fehlt mir dazu ein bisschen die Zeit. Außerdem sind nicht alle Männer hübsch - aber fast alle sind erschreckend eindimensional. Meine Freunde sind jedenfalls immer fürchterlich erschrocken, wenn ich mal einen Dreier mit einer Frau wollte, sogar dann, wenn sie sehr berühmt und sehr gut aussehend war. Es hat sie eingeschüchtert. Dabei interessiert mich an Frauen nur der Körper, ich war noch nie in eine verliebt. Die Anziehungskraft ist rein physischer Natur.

Sie sind bisexuell?

In erster Linie glaube ich an die Feier der männlichen Sexualität. Ich glaube aber, dass auch Frauen eine eigene Sexualität haben und sich ihrer bedienen sollten - dass sie sich Männern so bemächtigen sollten, wie die Männer es mit Frauen tun. Frauen sollten eine selbstbewusste, freie, aus sich selbst heraus kommende Sexualität verfolgen, in der Männer wie Spielzeuge sind. So was finde ich gut. Ansonsten erkenne ich die Verdienste der Frauenbewegung aber durchaus an.

"Der soziale Körper und vor allem der nackte Körper", schrieben Sie in einer Ihrer Arbeiten an der Tisch School of the Arts in New York, "ist zwangsläufig eine sexuelle Sache." Was meinen Sie damit überhaupt?

Dass wir alle unsere Wunden zur Schau stellen, die Schadensprofile, die das Leben in unseren Seelen und unseren Körpern hinterlassen hat - ob wir wollen oder nicht.

Das ist nicht unbedingt eine Antwort auf meine Frage. Worauf wir uns aber bestimmt einigen können, ist, dass Sie es in Bezug auf Michel de Montaigne schrieben, einen französischen Philosophen, der die Form des Essays erfunden hat. Nicht gerade eine naheliegende Beschäftigung für eine New Yorker Upperclass-Studentin.

Erst mögen Sie meine Kostüme nicht, dann befremdet Sie meine Sexualität - und jetzt wollen Sie mich auch noch als verzogene Göre verkaufen? Warum interviewen Sie mich überhaupt, wenn Sie mich nicht leiden können?

Lady Gaga...

... kam als Stefanie Germanotta vor 23 Jahren auf den Planeten Erde. Sie tanzte in Bars und schrieb Songs für Britney Spears und die Pussycat Dolls, bevor sie von ihrem Debüt "The Fame" (Universal) allein im Internet zwanzig Millionen legale Downloads absetzen konnte.

Entschuldigen Sie, ich wollte nicht unhöflich sein, ich würde mich gerne mit Ihnen über Montaigne unterhalten.

Gut, ich werde das Interview fortsetzen. Ich weiß nicht, ob ich mich richtig erinnere, aber in den Essays von Montaigne gibt es ein Mädchen, das ständig Fragen stellt. Irgendwann kommt dieses Mädchen auf die Idee, dass man die Welt anhalten oder sie verändern kann, wenn alle Menschen an die gleiche Stelle gehen oder die Luft anhalten. Als diese Art Mädchen möchte ich in Erinnerung behalten werden: Als jemand, der die Welt verändern wollte. Und der sie vielleicht sogar verändert hat.

In was für eine Richtung?

Die Menschen sollen in der Illusion leben, dass sie gaga sein können, wenn sie es nur wollen, dass schräg sein nicht schlimm ist, sondern gut - egal, ob sie ein stoisches deutsches achtjähriges Mädchen sind oder eine fettleibige Dragqueen aus La Crosse. So etwas in der Art hat eben auch Montaigne gesagt: Menschen sollen freundliche Felsen sein, die dem Meer aus Langeweile trotzen, der Gleichförmigkeit - und dem, was die Gewöhnlichen real nennen.

Um stattdessen was genau zu tun?

Sie sollen sich selbst belügen, jeden Tag aufs Neue sollen sie sagen: "Mein Traum kann Wahrheit werden!" Irgendwann wird aus der Lüge dann Realität, ganz automatisch. Bei mir hat es jedenfalls funktioniert, ich lebe und atme gaga, ich mache keinen Unterschied, ob ich auf der Bühne bin oder mich mit jemandem unterhalte, etwa jetzt, in diesem Augenblick. Mein Leben ist ein Auftritt, der nie zu Ende geht. Jeder Moment ist mit allen anderen Momenten verbunden, und alle werden gaga sein. Jeder kann das tun. Jeder ist frei, sich zu erfinden.

Wenn Sie sich so viele Gedanken über Freiheit, Selbstfindung und Kunst machen - warum handeln dann eigentlich nicht auch Ihre Songs davon?

Warum hat Piet Mondrian quadratische Flächen gemalt? Weil er von der Schönheit einfacher Dinge besessen war! Warum hat Andy Warhol Tomatendosen gemalt? Weil ihn die Vereinigung von Trash und bildender Kunst faszinierte! Aus diesen Gründen ist meineMusik einfach und für alle zu genießen. Ich bin aber viel mehr als meine Songs: Lady Gaga, das sind meine Bühnenshows, das werden die Künstler sein, die ich berühmt mache ...

Zeilen wie "I wanna take a ride on your disco stick" scheinen trotzdem nicht ganz zu einer belesenen Frau wie Ihnen zu passen.

Warum denn nicht? In "Pokerface" geht es um eine Frau, die einen Mann trifft, aber eigentlich lieber mit einer anderen Frau schlafen würde. "Just Dance" thematisiert die totale Selbstvernichtung in einem Club. Das Lied spiegelt die Zerrissenheit meiner Seele, denn wie die meisten Künstler trage ich einen Aufruhr, einen Sturm in mir herum. Man muss die Dinge, an denen man täglich zu scheitern droht, wirklich gut kennen. Erst dann kann man sie zu etwas Schöpferischem werden lassen. Diese spezifische Dunkelheit in unseren Herzen ist aber für uns Künstler ein Geschenk, sie definiert, wer wir sind, und sie erlaubt es uns erst, überhaupt zu sprechen.

Woher kommt diese spezifische Dunkelheit?

Von den Göttern. Ich bin nämlich ein Tier. Ein Gaga-Tier. Und dieses Tier hatte drei Nummer-eins-Hits in Amerika, es hat schon jetzt Geschichte geschrieben. Und wird es weiterhin tun.

Das Interview stammt aus der neuen Ausgabe von "Neon", die ab Montag, 17. August im Handel erhältlich ist. Mehr Infos unter www.neon.de

Interview: Ingo Mocek

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