Michael Bublé "Ich möchte der vierte Beastie Boy sein!"

Sein Markenzeichen: Massenkompatibler Swing-Pop mit einer Prise Selbstironie. Michael Bublé ist Nummer 1 in den USA. stern.de sprach mit dem Entertainer, der nun auch in Europa sein neues Album "Crazy Love" promotet.

Herr Bublé...
Bevor wir mit diesem Interview anfangen, muss ich Ihnen etwas sagen: Das ist das schlechteste Album, das ich jemals gemacht habe.

Wirklich?
Es ist schrecklich, es ist Mist. Die Leute sollten es nicht kaufen.

Sie hassen es?
Es ist schrecklich. Ich hasse es, und ich hasse es, darüber zu reden.

Damit stehen Sie ziemlich allein. Ihr Album "Crazy Love" ist in den USA, Kanada und Australien von 0 auf 1 gegangen, Sie waren in der "Oprah Winfrey"-Show...
Ich wollte das nur sagen, um die Erwartungshaltung ein wenig zu brechen.

Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass er Sie und Ihre Musik hasst - wie Sie es grad selbst getan haben?
In New York habe ich sogar mal ein Interview gegeben, wo das passiert ist. Der Kerl hat sich hingesetzt und gesagt: "Zuallererst: Ich mag Ihre Lieder nicht."

Was haben Sie gesagt?
Ich habe gesagt, dass Kritiker für mich wie Eunuchen in einem Freudenhaus sind - völlig sinnlos. Es ist leicht etwas runterzumachen, aber es ist schwer, etwas zu erschaffen. Ganz ehrlich: Ich kümmere mich da nicht drum.

Ehrlich?
Naja, wenn jemand musikalisch ist und selbst schon ein bisschen Erfolg hatte, werde ich mich hinsetzen und es lesen. Aber andere ...

Sie hören sonst auf niemanden?
Nein, ich höre sogar auf jeden, da bin ich völlig wahllos. Wäre die Platte nicht schon fertig, würde ich auch Sie fragen, was Sie denken. Solange es nicht Ihr Job ist, irgendwas in den Dreck zu ziehen, kann ich wirklich viel lernen. Wenn Sie sagen "Ich mag dieses Lied, aber von diesem Klassiker hättest Du besser die Finger gelassen", werde ich darauf hören.

Aber Berufskritiker sind durch die Bank sinnlos?
Nein, mir fällt gerade auf, dass ich das doch ein wenig zurücknehmen muss: Ich habe schon Rezensionen von Live-Shows gesehen, die mich sehr weitergebracht haben. Da kann ich dann auch wirklich noch was verändern, wenn mir jemand sagt "An der Stelle will er zu viel, und hier war die Beleuchtung Mist." Das ist konstruktiv. Und man sollte echt nicht denken, dass man alles richtig macht. Manchmal setzt man es richtig in den Sand. Aber das Schlimme an vielen Plattekritiken ist: Die Leute kritisieren nicht meine Musik, sondern mein Image.

Wie sieht das aus?
Es gibt Vorurteile gegen diese Art von Musik. Ich trage Anzüge, ich singe Liebeslieder, manche sagen, es sei Fahrstuhlmusik, weich, Easy Listening. Da sage ich immer: Es ist leicht, dieser Musik zuzuhören, aber es ist keine Fahrstuhlmusik, und sie ist nicht weich, sondern sehr rein und klar. Frank Sinatra hat diese Musik gesungen, und er war kein Weichei. Der hätte denen die Zähne ausgeschlagen, wenn sie so etwas über ihn gesagt hätten.

Vielleicht verängstigen Sie Leute mit der Perfektion und Glätte Ihres Sounds.
Ach Gott, das weiß ich nicht. Was ich weiß: Es ist leicht, zu hassen. Und die Kategorie "Easy Listening" ist einfach keine Kritik meiner Kunst, sondern die Kritik einer Rezeptionshaltung. Wenn jemand meine Musik so nennt, rufe ich ihn an und sage: "Fuck you!"

Ich dachte, es sei Ihnen egal?
Das ist schwer zu erklären: Ich habe kein Problem damit, eine ehrliche Kritik zu lesen. Ich mag es aber nicht, wenn sie mich als Analogie dafür benutzen, was schlecht ist. Ich mache Pop-Musik, ich schreibe Hits. Wenn mir dann immer Leute sagen, ich sei nur ein billiger Sinatra-Verschnitt, der nett singen kann, werde ich wild.

Das Video zu Ihrer neusten Single "Haven't met you yet" ist in der Tat "nett": Sie gehen in einen Supermarkt und lernen dort eine Schönheit kennen, am Ende tanzen alle auf dem Parkplatz. Blenden Sie die weltweite Krise völlig aus?
Der ganze Song ist von meiner derzeitigen Freundin inspiriert - sie ist die blonde Frau aus dem Video. Insofern ist er zunächst einmal ehrlich. Ich hatte aber tatsächlich noch diese andere Idee: Weltweit sind die Leute gerade schlecht drauf, verängstigt, bedroht und depressiv. Und es sieht auch nicht aus, als ob sich das so schnell ändern würde. Da habe ich mir gedacht: Kann ich den Leuten etwas Hoffnung geben?

Und?
Das kann ich mit diesem Video, das wirklich süß und positiv und witzig ist.

Humor und "Witz" sind bei Ihnen große Themen - kommt das überall gleich gut an?
Das ist von Land zu Land unterschiedlich. Und wenn wir über Vorurteile reden, fühle ich mich gerade mit den Deutschen sehr verbunden: Alle sagen, Ihr hättet keinen Humor. Dabei habt Ihr den sehr wohl, einen sehr trockenen, sehr sympathisch. Und dafür können die mich jetzt anschreien: Aber Schweizer und Schweden sind da schlechter. Gerade die Schweden sind für mich manchmal echt hart.

Wir müssen noch ein bisschen über Ihr musikalisches Erbe sprechen ...
Entschuldigung.

Kein Problem. Sie haben mal gesagt, Sie wollten die Klassiker singen, ihnen eine eigene Note geben und dabei nicht schizophren wirken ...
Ich werde in letzter Zeit total schizophren - und das Schöne ist, dass das Publikum mir das erlaubt. Es erlaubt mir, Standards zu singen, wie jetzt auf dem neuen Album "Cry me a river" oder "Georgia on my mind". Zur selben Zeit schreibe ich Pop-Songs und habe Erfolg damit. Die Wahrheit ist: Ich bekämpfe die Kategorisierung. Ich mag es nicht, wenn sie mich einen Imitator nennen, denn das bin ich nicht. Bevor sie mich kategorisieren, sollen sie mich lieber schizophren nennen.

Warum schreiben Sie nicht mehr eigene Songs? Auf dem neuen Album sind es bloß zwei.
Ich will und werde mehr eigene Songs machen, aber niemals ein ganzes Album lang. Sie sprechen mit einem Typen, dessen drei größte Idole Elvis Presley, Frank Sinatra und Michael Jackson sind. Ich möchte der vierte Beastie Boy sein. Ich kämpfe mit der Tatsache, dass ich 1975 geboren wurde und ein Kind der 80er bin.

Muss man daran nicht zerbrechen?
Ich habe mich mit mir selber immer besser arrangiert. Ich fühle mich auf der Bühne sehr wohl, lege meine Unsicherheit ab. Hoffentlich, ohne ein Arschloch zu werden. Es gibt einen Unterschied zwischen Selbstvertrauen und Geltungssucht. Je mehr die Mädchen schreien, desto mehr lache ich über mich selbst.

Liegt es daran, dass Sie schon immer eine Rampensau waren?
Ich mache das, was ich mache, seitdem ich 16 bin und habe Schritt für Schritt damit umgehen gelernt. Das war kein plötzlicher Hype.

Sie haben gesagt, Sie seien "gestärkt und größer" aus Ihrer Trennung von Emily Blunt ("Der Teufel trägt Prada") herausgegangen. Geht bei Ihnen immer alles gut aus?
Nein, eine Weile ging es sogar immer tiefer und tiefer und tiefer. Aber es war ein Katalysator für mich, um als Person und Künstler zu wachsen. Ich habe mich selbst betrachtet und gedacht: Du kannst es machen wie immer und sagen "Ich bin jung, ich kann das zur Seite schieben und mich später darum kümmern. Ich habe noch so viele Jahre". Aber ich bin 34, ich musste etwas ändern in meiner Haltung zu mir selbst. Und ich habe jetzt mehr Selbstrespekt, mehr Würde, ich mag mich mehr, wie ich bin. Und deshalb ist es für mich positiv.

Ist alles irgendwie positiv, auch ein Tag voller Interviews?
Ich mag das hier. Können Sie sich das vorstellen? Ich wollte selbst Journalist werden, als es für mich nicht lief. Ich mag Leute, ich mag es, mich zu unterhalten, und ich liebe mein Leben. Ich sage die Wahrheit - und deshalb fühle ich mich so wohl.

Haben Sie Angst, die Menschen zu langweilen, wenn Sie zu glücklich sind?
Nein, denn es gibt immer etwas, worüber man sich aufregen kann.

Zum Beispiel Kritiker?
Zum Beispiel Kritiker.

Michael Bublé, 34

... verkaufte von seinem letzten Studioalbum "Call me irresponsible" weltweit über zehn Millionen Kopien und erhielt einen Grammy für das "Best Traditional Pop Vocal Album". Nun promotet er sein neues Album "Crazy Love" in Europa. Rückenwind aus den Vereinigten Staaten hat Bublé bereits: Dort stieg das Album in der vergangenen Woche von 0 auf 1 in die Charts ein.

Johannes Schneider

PRODUKTE & TIPPS