TOM WAITS Der Schein-Werfer

Rauer Trinker, Penner, ewiger Melancholiker: An dem Image hat Tom Waits jahrzehntelang gebastelt. Und lebt glücklich und vergnügt daran vorbei.

Ob man das mit den Kakerlaken schon gehört habe, will er gleich zu Beginn wissen. Kakerlaken, sagt er, ohne die Antwort abzuwarten, können mehrere Tage weiterleben, wenn man ihnen den Kopf abgerissen hat. Man kennt diese Geschichte natürlich, er erzählt sie Journalisten wieder und wieder. Letztes Mal waren es nicht »mehrere Tage«, da waren es gleich Wochen.

Er mag diese Spielchen. Geschichten erzählen, die er sammelt wie andere Leute Briefmarken oder Münzen. Etwa die, dass Beethoven sich vor dem Komponieren jedes Mal einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf gegossen habe, und dann stimmt er laut die Fünfte an - »Da-Da-Da-Daaaaa« - und spielt mit den Fingern auf dem Tisch Klavier. Kaum jemand wirft so charmant Nebelkerzen wie Tom Waits. Denn natürlich hat er einfach keine Lust, über sich selbst zu reden.

Und so steht er tausendmal auf, schlurft zur Kaffeemaschine, aus der er heißes Wasser auf seinen Teebeutel laufen lässt - »grüner, ist gesund« -, kommt an den Tisch zurück, lächelt und sagt: »Wo waren wir stehen geblieben?« Mag sein, dass das Teil einer Selbstinszenierung ist, die lautet: Schau, was für ein irres Genie ich bin. Doch Waits ist nicht der Schrat, für den er vielleicht gehalten werden will. Er würde jetzt einfach lieber bei seiner Frau und seinen Kindern sein und seine Ruhe haben.

Und so sitzt er da wie die Übererfüllung des eigenen Klischees, unrasiert, mit wirrem Haar, zerbeultem schwarzem Anzug. Alles hier in diesem Flamingo Resort Hotel, zwei Autostunden nördlich von San Francisco, ist irgendwie seltsam. Von der Dame an der Rezeption, die »Nice to seeeeeyaaaaa« ruft, über die rosa Plastikflamingos an jeder Tür bis zu den knöchelhohen Plüschteppichen. Und die Rentner mit ihren bunten Gummibadekappen und wippenden Blumen dran, die im Pool direkt vor Waits' Terrassenfenster Wassergymnastik machen, sehen aus, als hätte der Dekorateur sie gleich dazu bestellt.

Sagt man jemandem, man treffe Tom Waits, kommt das: »Wie viel hat er gesoffen? Der sieht doch bestimmt super fertig aus!« Dann wird natürlich noch eine heisere Pennerstimme imitiert, extra auf Waits getrimmt. Dabei hält der sich seit mehr als 20 Jahren von Zigaretten und Alkohol fern, lebt zurückgezogen als überzeugter Familienmensch mit seiner Frau Kathleen und drei Kindern in Nordkalifornien auf einer Art Bauernhof und pflegt seine Schrullen.

Er hat es geschafft, ein Image aufzubauen, das inzwischen Lichtjahre von ihm entfernt ist: das des amerikanischen Antihelden. Poet der Gosse, ewiger Melancholiker, Kritiker der kaputten Seiten des Wunderlands Amerika. In Europa und vor allem in Deutschland scheint man das Bild des singenden, gebrochenen Penners, der die Welt durchs Whiskyglas betrachtet, besonders innig zu lieben.

Als Waits vor Jahren in Hamburg mit Robert Wilson die Stücke »Alice« und »The Black Rider« auf die Bühne brachte, lag die sonst so mäkelige Kritikerschar kollektiv auf dem Bauch. Denn lässig schafft er das kleine Kunststück, glaubwürdig zu bleiben für zwei, vielleicht schon drei Generationen und doch immer wieder neue Fans zu gewinnen. Häufig, erzählt er stolz, bekomme er Briefe »von Kids«, und immerhin ist er schon 52.

»Ich stelle mir meine Fans natürlich gern als aufregende, coole Menschen« vor, sagt er und spielt dabei mit seinem Teelöffel rum, »doch ehrlicherweise sind das ganz normale Durchschnittsleute, die ein Durchschnittsleben leben. Leute also wie ich«, sagt er und bellt ein kurzes Lachen heraus - seine Stimme, die ist so, wie man sie sich vorstellt.Zwei Alben auf einmal hat er jetzt gemacht, »Alice« und »Blood Money«. Sie knüpfen an Waits' sensationelle Platten »Swordfishtrombones«, »Frank's Wild Years« und »Rain Dogs« aus den 80ern an: rumpelnde, ächzende Lieder, irgendwo zwischen Blues, Soul und Rummelplatzmusik; immer eigen, immer vertraut.

Warum soll er sich auch ändern? Er ist doch längst einer der einflussreichsten, wichtigsten Künstler Amerikas, verehrt von Kollegen wie Bruce Springsteen, R.E.M., Elvis Costello, Keith Richards und U2. Einer, der auch Filmmusik komponiert und mit einer Oscar-Nominierung belohnt wurde für seine Arbeit zu »One from the Heart« von Francis Ford Coppola, mit dem er seit Jahren befreundet ist.

Auch als Schauspieler ist er immer wieder zu sehen, selten in einer Hauptrolle wie 1986 an der Seite des damals noch unbekannten Roberto Benigni in der Komödie »Down by Law«, meistens in Nebenrollen wie in »Short Cuts« von Robert Altman oder Coppolas »Dracula«.

Auf Tournee wird er erst mal nicht kommen, »das ist mir alles viel zu anstrengend, außerdem ertrag ich's nicht, länger als zwei Wochen von zu Hause weg zu sein«. Dann erzählt er doch noch von seiner Frau Kathleen, mit der er seit mehr als 20 Jahren gemeinsam an neuen Stücken arbeitet, von seinen Kindern, 19, 17 und neun Jahre alt, ertappt sich aber rechtzeitig, grinst und sagt: »Aber das mit den Kakerlaken, das haut mich immer wieder um.«

Oliver Link

Die Alben »Alice« und Blood Money» sind am 6. Mai erschienen

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