Das deutsche Fernsehen ist um eine neue Nachrichtensendung reicher: Am Montagabend feierte "RTL direkt" um 22.15 Uhr sein Debüt - eigentlich der Sendeplatz der "Tagesthemen", die aufgrund eines Brennpunktes zur Lage in Afghanistan 16 Minuten später begannen. Ingo Zamperoni begrüßte die Zuschauer also erst, als Jan Hofer die Abschiedsworte sprach.
So entfiel das direkte Quotenduell - doch dafür konnten sich interessierte Zuschauer beide Sendungen nacheinander anschauen - was durchaus interessant war. Denn die Unterschiede im Konzept traten deutlich zutage, zumal beide Formate Kanzlerkandidaten im Gespräch hatten.
RTL hatte bereits vergangene Woche die Grünen-Chefin Annalena Baerbock als Premierengast angekündigt - und zu diesem Anlass mehrere Einspielfilme vorbereitet. Am Beispiel einer fünfköpfigen Familie in Niedersachsen wollte man herausfinden, welche Auswirkungen die Pläne der Grünen auf den Geldbeutel normaler Bürger haben.
Annalena Baerbock im Plausch mit Jan Hofer
Im Gespräch konnte Baerbock sämtliche an sie gestellten Fragen beantworten - ohne mit bohrenden Nachfragen behelligt zu werden. Der Ton war locker und entspannt. Das Tagesthema Afghanistan arbeitete Moderator Jan Hofer souverän in die Sendung ein und wollte von seinem Studiogast wissen, wie eine Kanzlerin Baerbock in dieser Krise entscheiden würde.
Einen deutlich schärferen Ton schlug dagegen Ingo Zamperoni an, der den CDU-Chef Armin Laschet gleich zu Beginn seines Interviews ordentlich anrempelte: "Habe ich das richtig verstanden? Da klammern sich Menschen an startende Flugzeuge, und Ihre größte Sorge ist, dass sich 2015 wiederholt?" - so eröffnete er das Gespräch mit dem Kanzlerkandidaten der Union.
"RTL direkt" trägt dagegen Züge einer Talkshow, Baerbock wurde zeitweise im Sitzen gefragt - dazu wurden auch Zuschauerfragen mit einbezogen. Dass es zum Start noch ein wenig ruckelte - insbesondere die im Hintergrund ständig wechselnden Nachrichtenfotos sorgten für Irritation -, war bei einem neuen Format zu erwarten. Immerhin war der Ausstieg durchaus originell: Der Kabarettist Abdelkarim forderte in einem satirischen Beitrag von den drei Kanzlerkandidaten mehr Mut ein.
Die "Tagesthemen" gewannen zum Start gegen "RTL direkt"
Das Zuschauerinteresse hielt sich stark in Grenzen: Nur 1,87 Millionen Menschen verfolgten die Premiere des neuen Formats. In der werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen waren es 0,49 Millionen, was einem Marktanteil von 10,1 Prozent entspricht. Dabei übernahm "RTL direkt" ein großes Publikum: die unmittelbar davor laufende Kuppelshow "Bauer sucht Frau International" hatten sich noch 2,57 Millionen Zuschauer angeschaut. Zum Auftakt verlor die neue Sendung also 700.000 Menschen.
Die können um 22.15 Uhr nicht zu den "Tagesthemen" gewechselt haben. Was die Vermutung nahelegt, dass viele RTL-Zuschauer zu dieser Uhrzeit gar nicht an Nachrichten interessiert waren. Für die Privatsender könnte das zum Problem werden. Jedenfalls gewannen die "Tagesthemen" den Vergleich mit 2,06 Millionen Zuschauer am Montagabend knapp.
"RTL direkt" bleibt der Trost, dass das Debüt zwar einige Qualitäten hat aufblitzen lassen, insgesamt jedoch noch viel Luft nach oben blieb. An diesem Abend blieben vor allem die frisch getönten Haare von Jan Hofer im Gedächtnis.