Erfolgreiche Reality-Shows bedienen ein ziemlich einfaches Muster: Sie bringen die Zuschauer auf die Palme – und sind dramaturgisch so gut gemacht, dass man dennoch nicht wegschauen kann. Wer das verinnerlicht hat, darf feststellen: Netflix strahlt mit "Selling Sunset" eines der besten Reality-Formate der vergangenen Jahre aus.
Im Kern ist die Handlung von "Selling Sunset" simpel gestrickt: Die Zuschauer blicken hinter die Kulissen der "Oppenheim Group", eine der wichtigsten Immobilienfirmen von Los Angeles. Jason und Brett Oppenheim, eineiige Zwillinge, sind die Chefs und Gründer – und werden unterstützt von Frauen. Ausschließlich von Frauen. Zumindest im TV. Denn in der Realität haben die Oppenheims durchaus auch männliche Makler angestellt, die aber offensichtlich nicht in das Konzept der Show passten. Und genau dort beginnt das Problem.

Mag sein, dass die Zuschauer zu träumen beginnen, wenn sie sehen, welch imposante Villen die Luxus-Makler in den Hügeln Hollywoods verkaufen. Häuser, die in der Spitze bis zu 75 Millionen US-Dollar kosten. Doch so eindrucksvoll die Pools, die Ausblicke und die Einrichtungen auch sind, vor den Bildschirm lockt die Zuschauer etwas anderes: der Zickenkrieg der Frauen, die immer von sich behaupten, "beste Freundinnen" und "wie eine Familie" zu sein, das Gefeixe, die persönlichen Dramen, die Hinterhältigkeiten und Frotzeleien. Von, das muss man zugeben, selbstbewussten, starken und auch erfolgreichen Frauen, die am Ende aber auch ein Klischee bedienen müssen: Sie müssen gut aussehen. Wenn man der Meinung ist, dass Frauen gut aussehen, wenn sie viel Botox im Gesicht und viel Silikon in den Brüsten haben. Während ihre Chefs natürlich Männer sind. Und die allermeisten zahlenden Kunden auch. Welches Frauenbild das vermittelt? Nun ja, vielleicht einfach das, was leider zu diesem Stadtteil an der amerikanischen Westküste passt. Welcome to Hollywood!
"Selling Sunset": Immer mehr Zuschauer, immer mehr Aufmerksamkeit
Für Chrishell Stause, Heather Rae Young, Christine Quinn, Maya Vander, Mary Fitzgerald, Amanza Smith und Davina Potratz geht der Plan dennoch auf: Die perfekt inszenierte Show hat in der Zwischenzeit einen regelrechten Hype ausgelöst, in den USA und auch in Großbritannien sind die Damen mit ihren (auch privaten) Oberflächlichkeiten fester Bestandteil der Boulevardpresse, parallel steigen die Zuschauerzahlen von Staffel zu Staffel. Geld, Sex, Zickenkrieg. Die Macher von "Selling Sunset" wissen mindestens so gut wie die Maklerinnen, wie man ein Produkt verkauft.
Gleichzeitig haben sie eine Show erschaffen, die auch als Gegenentwurf zu ähnlichen Formaten verstanden werden kann: Es werden keine minderbemittelten Menschen vorgeführt, es werden keine Proleten durch den Dreck gezogen, es gibt keinen Einblick in die Abgründe unserer Gesellschaft. Stattdessen sieht man ausschließlich Menschen, denen es verdammt gut geht – zumindest bis zu dem Moment, in dem die privaten Dramen beginnen. Denn die lassen sich, die Realität lässt grüßen, auch nicht mit den horrenden Summen lösen, die die Maklerinnen einstreichen, wenn sie eine Luxusimmobilie erfolgreich vermittelt haben.

Falsches Lächeln, echte Menschen – und ein vermeintlich traumhaftes Leben
Wie viel vom falschen Lächeln der Diven echt ist, das wissen nur die Produzenten. Natürlich ist die Serie gescriptet, natürlich wissen alle Beteiligten, dass überall Kameras stehen, doch Fakt ist auch, dass alle handelnden Personen in der Realität existieren. Um den Wahrheitsgehalt geht es bei "Selling Sunset" ohnehin nicht. Es geht darum, die Zuschauer mitzunehmen in eine Welt, von der die allermeisten Menschen nur träumen können, wenn sie denn davon träumen möchten. Um ihnen dann vor Augen zu führen, dass der Blick in die wunderschöne, falsche Welt von Hollywood ganz schön hässlich ist.