Irgendwann wird Roger Schawinski mal mit seinen Enkeln vor dem Kamin sitzen und ihnen davon erzählen, wie das damals war als Sat.1-Chef. Wie er den Riesenerfolg "Verliebt in Berlin" erfand, die "Schillerstraße" und "Genial daneben". Vielleicht erinnert er sich auch daran, dass er einmal richtig daneben lag. Damals, im Dezember 2005, stellte er Hugo Egon Balder, Jochen Busse und Dorkas Kiefer in dem Schwank "Ewig rauschen die Gelder" auf die Bühne und glaubte, Sat.1 könne Boulevardtheater im Fernsehen veranstalten. Es hat nicht geklappt, die Quoten waren mies.
Eigentlich hat man Sat.1 diesen Ausrutscher längst verziehen. Deshalb kann man nur den Kopf schütteln, wenn Schawinski nun trotzdem einen neuen Anlauf unternimmt, Sat.1 zum Schwank-Sender zu machen - wenn auch etwas unfreiwillig. Der neueste Versuch heißt "Unter den Linden", galt lange Zeit als Hoffnung für eine neue Serienkultur bei dem Berliner Sender, und entpuppt sich nun als mittelprächtige Theateraufführung, bei der man jede Sekunde Angst hat, dass die Kulissen um- oder die Schauspieler wegen der dämlichen Dialoge in Ohnmacht fallen.
Jung, hübsch, modern
"Unter den Linden" erzählt die Geschichte der feinen Berliner Familie Gravenhorst, die sich um 1900 mit der Herstellung feiner Schokolade einen Namen gemacht hat. Im Mittelpunkt stehen zwei junge Frauen: die Gravenhorst-Tochter Friederike - jung, hübsch, modern - sowie Anna, ein heimatloses Mädchen, das im Gravenhorst-Haushalt als Dienstmädchen anfängt. Was hätte man mit dieser Ausgangsposition alles erzählen können! Eine Geschichte der Jahrhundertwende zum Beispiel, die einen wie einst die Kinderserie "Nesthäkchen" in eine andere Zeit mitnimmt und die damalige Lebensweise erklärt.
Daraus ist nichts geworden. Stattdessen erinnert "Unter den Linden" auffällig an die abgesetzte ARD-Telenovela "Braut wider Willen" mit Yvonne Catterfeld, die eine Tochter aus feinem Hause gab, welche sich in einen einfachen Schneidersohn verliebt, von den Eltern aber gedrängt wird, ein reiches Ekel zu heiraten, damit wieder Geld ins ruinierte Weingut der Familie fließt. Man mag es kaum glauben, aber in "Unter den Linden" verliebt sich Friederike in einem einfachen Kutscher, während ihr Bruder von den Eltern gedrängt wird, eine reiche Unternehmerstochter zu ehelichen, damit Geld in die Gravenhorster Schokoladenfabrik fließt.
Der große Kitsch
"Braut wider Willen" wurde wegen mangelnder Zuschauerbegeisterung im Frühjahr schneller beendet als sich Programmchef Günter Struve das vermutlich gewünscht hat. Die Serie war als Telenovela angelegt, schon nach dem Vorspann war klar: Hier kommt der ganz große Kitsch! Es ist erschreckend, wie Sat.1 nun daran anknüpft und das den Zuschauern als ernst zu nehmende Serie verkaufen will.
"Unter den Linden" leidet vor allem unter seiner billigen Produktion. Die Darsteller stehen in Räumen herum, die zwar hübsch dekoriert sind, aber eben doch nach Kulissen aussehen. Außendrehs gibt es kaum, und wenn doch, ist in Zwischensequenzen meist die Fassade des Hauses der Gravenhorsts zu sehen, an der immer derselbe Jahrhundertwende-Wagen vorbeifährt und eine dicke Abgaswolke hinter sich herzieht.
Schematische Figuren
Die Charaktere sind einfach gestrickt: Mutter Gravenhorst ist kühl und berechnend, ihr Mann hingegen sanftmütig und ein bisschen naiv. Dienstmädchen Anna ist sympathisch und süß, die Zofe Ida hinterlistig und fies. Unglaublich eigentlich, dass sich eine Schauspielerin wie Nina Bott als Friederike für so was hergegeben hat. Auch von Tim Sander, der als verstoßener Sohn Alexander auftritt und nach dem Abgang von Lisa Plenske die Hauptrolle in "Verliebt in Berlin" kriegt, weiß man, dass er besser spielen kann als hier.
Viel zu tun haben die Darsteller in "Unter den Linden" ohnehin nicht. Manche versuchen mehr schlecht als recht zu berlinern: "Nich' mal in Ruhe eine roochen kann man." Als Anna, die auf der Straße gelebt hat, nach einem Selbstmordversuch ins Haus der Gravenhorsts kommt, sagt sie mit traurigen Augen: "Ich hab kein Zuhause." Kein Zuhause - aber frisch gewaschene lange blonde Haare. Wenn es dramatisch wird, sagt Friederike revolutionäre Sätze wie: "Mein Herz beugt sich keinem Diktat!" Ach wie schön. Bloß ist irgendwo der Tiefgang verloren gegangen.
Gespielte Originalität
Über die Zeit, in der die Serie spielt, erfährt man wenig. Und wenn doch, reicht es bloß für ein paar Gags: Hausdiener Carl erzählt Arthur Gravenhorst von einem gewissen Sigmund Freud und dessen Buch, in dem er Träume deute, woraufhin der Hausherr spottet: "Sie lesen vielleicht Schwarten!" Die Dienstmädchen plaudern, dass es wirklich eine große Hilfe wäre, wenn mal einer einen elektrisch betriebenen Staubsauger erfinden würde, woraufhin Anna erklärt, in Amerika gebe es so was schon. Aber die Kollegin lacht sie bloß aus: "Du glaubst auch alles, was in der Zeitung steht. Und irgendwann werden wir Frauen Hosen tragen wie die Männer, was?" Das ist ein bisschen viel der gespielten Originalität.
Ein großer Wurf ist Sat.1 mit "Unter den Linden" nicht gelungen. Kein Wunder, dass die Serie anders als erwartet nicht zur Hauptsendezeit läuft, sondern sonntags um 19.15 Uhr. Bleibt zu hoffen, dass die vom Sender für dieses Jahr ausgerufene Serienoffensive im Herbst mehr Auftrieb bekommt. Wenn es bis dahin unbedingt eine Historien-Soap geben muss, kann man eigentlich nur eines hoffen, selbst wenn man niemals gedacht hätte, sich so etwas wirklich einmal zu wünschen: Yvonne Catterfeld, komm zurück!