Bio-Festival: A Summer's Tale Ist das noch Rock’n’Roll?

Von Oliver Creutz
Demeter-Musik in der Heide: So war das familienfreundliche Musikfestival „A Summer’s Tale“ in der Lüneburger Heide.

Was für eine Schlange! Die Menschen haben sich eingereiht vor einer Bude, deren Ausgabe noch mit Brettern verschlossen ist, auf denen steht: "Geöffnet ab 16 Uhr". Hier wird Lachs-Döner verkauft, "Deutschlands erster", wie die Eigenwerbung verkündet. Es ist 15.45 Uhr am Samstagnachmittag, von der großen Bühne aus schallt die Musik über die Wiesen – oder besser: drückt sich der synthetische Bass der Hamburger Elektro-Popper "Hundreds" über die Felder einer Pferdeturnier-Anlage in der Lüneburger Heide. Deswegen tragen sehr viele Besucher große grell-gelbe Kopfhörer – Lärmschutz für Kinder, denn es sind sehr viele Kleine unterwegs auf dem Festival "A Summer’s Tale", das zum ersten Mal stattfand, von Mittwoch bis Samstag, und das eine neue Art von Open Air begründen möchte.

Ein komplett biologisch abbaubares Festival, gemacht für Menschen, die gern an Foodtrucks essen, zum Beispiel eben Lachs-Döner oder Demeter-Bratwurst, die sich kreativ ausdrücken wollen an Mal-Wänden, die lieber Pale Ale als Pils trinken (wozu zu sagen ist, dass Getränke aus Plastikbechern alle gleich schlecht schmecken). Und die Männer sollten unbedingt willens sein, im Sitzen zu pinkeln auf den Plumpsklos, deren Sickergruben mit Holzspänen gefüllt sind ("Scheiße geil" nennt die Firma ihre Erfindung). Die Musik, die dazu spielt, stammt aus der Präsenzbibliothek des gehobenes Geschmacks: Patti Smith, Calexico, Tori Amos, Roisin Murphy.

Bei "A Summer’s Tale" handelt es sich um den Versuch, den Sommerspaß des Open Air-Festivals für die Stände wiederholen, die dem Rumgeschmuddel und diffusen Gedröhne unter freiem Himmel eigentlich entwachsen sind. Eine adulte Veranstaltung, die sich auch darin ausdrückt, dass der Musiker und Autor Jochen Distelmeyer, der aus seinem Roman "Otis" vorliest, die Zuhörer grinsend mit "Sie" anspricht. Gleiches tut später Sophie Hunger, als sie sich dafür entschuldigt, im Überschwang ein loses Teil von der Bühne ins Auditorium getreten zu haben. "Hoffentlich haben Sie sich nicht verletzt." Hey, Leute, ist das doch Rock’n’Roll?

Bio-Festival für Hipster?

Und so hatte es auch etwas von Straßenfest im gentrifizierten Stadtviertel, als die großartigen Schotten von Belle and Sebastian gegen Ende ihres Auftritts am Donnerstag Teile des Publikums auf die Bühne bat, um gemeinsam zu tanzen. Aus den Hipstern wurden da schnell Hippies. Stuart Murdoch empfahl den Besuchern außerdem, die Sommerhitze zu nutzen, um sich fortzupflanzen. Das würde er auch tun, wäre er noch jung.

Dazu aber wäre eine Portion Zügellosigkeit vonnöten, und genau die fehlt dem Festival. Doch nicht vor den Kindern! Auch die Musik ist eher sittsam und stark feminin. Es ging um Ausdruck, nicht um Ausbruch. Zu Damien Rice, der auf vielfältige Weise seine Stimme und seine Gitarre verfremdete und in die Nacht hinausschickte, ließ sich gedankenverloren kuscheln. Oder auch prima schlafen, was einige Besucher auf der gemütlichen Sandfläche vor der Bühne vorzogen. Bei Tori Amos machte man es sich auf den Picknick-Decken bequem, schaute den Wolken beim Vorüberziehen zu, während die Rothaarige auf der Bühne ihre Versionen von "Smells like teen spirit" und "Tiny dancer" in die beseelte Welt sendete (mal schreiend, mal summend, stets voll virtuos).

Nur selten wurde es körperlich: Als am Samstag die Band Songhoy Blues, vier Jungs aus Mali, ihren Afro-Rock spielte, zeigte sich, dass der Satz „Free Your Mind and Your Ass Will Follow“ der Band Funkadelic noch Gültigkeit besitzt. Die Afrikaner blickten in ein komplett kaukasisches Publikum, das sich für eine knappe Stunde wie entfesselt fühlen durfte von den Sommelier-Seminaren und Yoga-Kursen des Festivals.

Am Ende des "Summer's Tale", als man sein müdes Kind über die vorbildlich unvermüllten Wege Richtung Auto trug, fühlte man sich wie nach einem langen, sorgfältig komponierten Menü: voll von köstlichen Eindrücken, in zart-froher Stimmung, aber irgendwie hungrig auf ein blutiges Steak.

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