Das erste große TV-Interview nach seiner Freilassung aus dem Gefängnis war mit Spannung erwartet worden. Über allem schwebte die Frage: Hat Boris Becker etwas aus seinem Debakel gelernt? Würde er aus der Haftzeit geläutert hervorgehen? Darüber herrscht am Tag nach der Ausstrahlung große Uneinigkeit.
Zumindest stern.de-Autorin Andrea Zschocher "fiel es stellenweise schwer, ihm die Läuterung vollumfänglich abzunehmen". Weiter heißt es in dem Text: "Den Urteilsspruch der Richterin, die ihm mangelnde Reue vorwarf, sieht Boris Becker weniger kritisch, es passt ja auch nicht gut ins eigene Bild, zuzugeben, dass man sich mit den eigenen Fehlern vielleicht doch nicht so tiefgreifend auseinander gesetzt hat."
Boris Becker: "Allenfalls dankbar"
Das sieht Tanja May ganz ähnlich: "Seine Worte berühren mich nicht nachhaltig, wirken teilweise oberflächlich und natürlich sind auch andere an seinem Drama Schuld", schreibt die stellvertretende Chefredakteurin der "Bild". "Ich finde nicht, dass Becker geläutert oder demütig ist. Allenfalls dankbar, dass er diesen Wahnsinn überlebt hat. Dass ihm seine Lilian und seine drei großen Kinder beistanden und sich jetzt auf mehr gemeinsame Zeit mit ihm freuen."
Auch Holger Gertz ist von Boris Beckers Auftritt nicht restlos überzeugt: "Becker also, so lief früher die Karriere, so läuft auch jetzt dieses Gespräch, lässt natürlich nicht wirklich etwas raus", schreibt er auf "sueddeutsche.de". "Er ist Sportler, er hat gelernt, dass man sein Inneres besser nie großflächig zur Ansicht freigibt, Topathleten funktionieren da wie Comedians, zu viel von der Privatperson darf nicht raus." Becker rede zwar über die Angst, sich im Knast nach der Seife zu bücken, "aber weil jeder die eigene Geschichte so erzählt, dass man am besten damit klarkommt, ist er am Ende immer der, der die Situation - und sogar das eigene Weinen - nach Sekunden wieder im Griff hat".
Zellen, kleiner als manche Besenkammer: So sieht das Gefängnis aus, in dem Boris Becker zeitweise einsaß

Doch nicht alle sehen den dreifachen Wimbledon-Sieger so kritisch. "Nicht nur zur Weihnachtszeit würde ich mir einen wohlwollenderen Blick gerade auf die gefallenen deutschen Helden wünschen. Das gilt auch, aber nicht nur für Boris Becker", schreibt Markus Feldenkirchen auf "Spiegel-Online", der hofft, der Ex-Tennisprofi möge rasch wieder aufstehen: "Aber seit ich Boris gestern in diesem offenen und emotionalen Interview gesehen habe, so menschlich, so reflektiert, bin ich da guter Dinge."
Wer mit seiner Interpretation recht hat, werden die nächsten Monate und Jahre zeigen. Zu wünschen wäre es Boris Becker jedenfalls, wenn er die richtigen Lehren aus seinem bisherigen Scheitern gezogen hat.