Interview nach Haftentlassung Boris Becker gibt sich nach dem Gefängnis geläutert. So richtig kauft man ihm das aber nicht ab

  • von Andrea Zschocher
Ex-Tennisstar Boris Becker sitzt vor dem Schriftzug "Boris Becker Sat.1 Spezial"
Ex-Tennisstar Boris Becker hat in der Sendung "Sat.1 Spezial. Boris Becker" erstmals seit Haftentlassung über seine Zeit im Gefängnis gesprochen  
© Nadine Rupp/SAT.1 / DPA
Ex-Tennisspieler Boris Becker hat Steven Gätjen nach seiner Haftentlassung und Deutschland-Rückkehr ein Interview gegeben. Darin gibt er sich geläutert. So ganz kann man ihm das aber nicht abkaufen.

Steven Gätjen traf Boris Becker zum Sat 1-Exklusivinterview in Freiheit. Wie genau diese Kombination überhaupt entstanden ist, bleibt offen, vermutlich stehen die beiden sich nahe und es war dem Ex-Tennisspieler sicher wichtig von jemandem befragt zu werden, der ihm grundsätzlich wohlgesonnen ist. Schon die Anmoderation Gätjens, es handle sich bei Boris Becker um den "berühmtesten Häftling der Welt" ließ erahnen: Hier tragen beide dick auf, immerhin muss ja Stimmung erzeugt werden für das bisher einzige Interview mit der Tennislegende nach seiner Abschiebung nach Deutschland.

"Meiner Gesundheit hat's gut getan"

Seit knapp einer Woche ist Boris Becker nun "ein freier Mann", wie er sich selbst mehrfach bezeichnete, und er wirkt verändert. Um das besser darzustellen, ließ Gätjen Becker zwei Fotos betrachten, eins zeigte ihn kurz vor dem Haftantritt, eines war ein Foto das während des Interviews aufgenommen wurde. Becker soll beantworten, was sich verändert hat. Er sei jetzt, nach dem Gefängnisaufenthalt "vielleicht etwas schlauer, etwas demütiger", und auch etwas gesünder. In den acht Monaten und sechs Tagen gab es für den ehemaligen Sportler keinen Alkohol, keine Zigaretten und zum ersten Mal ein Gefühl von Hunger. Er habe "wochenlang, monatelang, wenig gegessen", meist gab es Reis oder Kartoffeln mit Soße, am Wochenende auch mal ein Stückchen Hähnchenfleisch. "Meiner Gesundheit hats gut getan", zieht Becker auf der rein körperlichen Ebene Bilanz.

"Natürlich war ich schuldig"

Mental scheint er angeschlagen, mehrfach im Interview rang er um Fassung, bat sich einen Moment zum Sammeln aus. Das war sehr nachvollziehbar, die gesamte Situation ist auch für einen Medienprofi wie Becker nicht einfach. Und doch fiel es stellenweise schwer, ihm die Läuterung vollumfänglich abzunehmen. Denn auf die Frage, ob er schuldig war, reagierte Becker zwar mit einem "natürlich war ich schuldig", setzte dann aber nach, dass die Jury in London ihn für schuldig befunden hatte. Den Urteilsspruch der Richterin, die ihm mangelnde Reue vorwarf, sieht Boris Becker weniger kritisch, es passt ja auch nicht gut ins eigene Bild, zuzugeben, dass man sich mit den eigenen Fehlern vielleicht doch nicht so tiefgreifend auseinander gesetzt hat.

"Sie hatte keine Wahl", so der Ex-Tennisspieler, die Richterin musste seiner Auffassung nach aufgrund des Schuldspruchs der Jury eine Gefängnisstrafe anordnen, den Zusatz mit der fehlenden Reue, das sei in seinen Augen eher eine Standardfloskel gewesen. Er hätte vor Gericht alles getan, was er tun konnte, erklärte Becker um sich dann darüber zu beschweren, dass laut seiner Aussage die Hälfte der Jury aus Menschen bestand, die jünger als 30 Jahre alt waren. "Die wussten gar nicht wer Boris Becker war", erregte er sich. Sowas aber auch, möchte man einwerfen, sollte das nicht auch vollkommen unerheblich sein, wenn eine Anklage diskutiert wird? Becker lebte mit manchen seiner Aussagen vor, was viele zu glauben scheinen: Dass Promis vor Gericht mildere Strafen erwarten könnten, eben weil sie berühmt sind. Dabei sollten vor Gericht alle gleich sein. Steven Gätjens Einwurf, dass das ja der Sinn einer Jury sei, möglichst unvoreingenommen und unparteiisch an ihre Urteilsfindung heranzugehen, wollte Becker nicht gelten lassen.

"Brutaler geht’s kaum"

Stattdessen sprach er lieber darüber, wie hart die Zeit des Wartens auf die Urteilsverkündung für ihn gewesen sei. Es war klar, er würde sich sicherheitshalber im Vorfeld von seiner Freundin und den Kindern verabschieden müssen, dafür wäre im Falle eines Schuldspruches und einer Gefängnisstrafe keine Zeit mehr. "Brutaler geht’s kaum", fasste Becker dieses Zeit zusammen und erklärte, er habe seiner Partnerin Lilian de Carvalho Monteiro eine Trennung vorgeschlagen. Ohne jeden Zweifel ist es hart sich für 30 Monate von seinen Liebsten zu trennen und in Haft zu gehen. Das möchte niemand. Die Gefängnisse in Großbritannien sind ganz sicher keine schönen Orte. Natürlich sollten Schicksale nicht mit einander verglichen werden, aber wenn es um den subjektiven Eindruck von Brutalität geht, dann haben die Frauen und Männer die im Iran gefoltert und ermordet werden, weil sie ihre Stimme erheben und für ihre Freiheit kämpfen, sehr viel mehr zu erleiden und auszuhalten. Und manchmal kann solch ein Perspektivwechsel auch helfen, das eigene Schicksal demütigender anzunehmen.

Lilian de Carvalho Monteiro ist bis heute an Boris Beckers Seite, sie übernahm für ihn die Korrespondenz vom Gefängnis aus und war, laut eigener Aussage, eine große Stütze. Ebenso wie seine Kinder, viele Weggefährten und Fans. Er habe viele Briefe bekommen, unter anderem auch von Michael Stich, und möchte diese über Weihnachten alle beantworten. Im Gefängnis war dies teilweise nicht möglich, das Porto und die Briefumschläge hätte zu viel Kapital benötigt. Denn wöchentlich standen dem Ex-Tennisstar 15 Britische Pfund zur Verfügung. Sieben Pfund sparte er fürs Telefonieren, acht gab er für Lebensmittel und Drogerieartikel aus. Erst nach drei Monaten, so Becker, habe er internationale Anrufe zu seinen Kindern und seiner Mutter tätigen können. Er hatte sich darüber laut eigener Aussage beim deutschen Botschafter beschwert als dieser ihn im Gefängnis besuchte. Dann wieder erzählte er von einem Priester, der bereits nach wenigen Wochen ein Telefonat mit seiner 87-jährigen Mutter organisiert hatte. Es sind Kleinigkeiten wie diese, über die man im Interview immer wieder stolpert und die zeigen: So ein ganz normaler Häftling, wie Becker sich selbst darstellt, war er vielleicht doch nicht.

"Es war ja auch im Interesse des Gefängnis, dass mir nichts passiert"

Steven Gätjen wollte mehrfach wissen, ob Boris Becker im Gefängnis aufgrund seines Namens und seiner Berühmtheit Vorzüge erhalten hätte. Becker scheint sich dieser nicht bewusst zu sein. Die Einzelzelle hätte er, laut eigener Aussage, erhalten, weil er ein High-Risk-Insasse gewesen sei, weil die Gefahr bestand, er könne erpresst werden. Die Listener, so nannte der Ex-Tennisspieler die drei Männer die ihn im Gefängnis Wandsworth vor Übergriffen schützen, hätten sein Leben gerettet. Und sie taten das mit der Zustimmung der Gefängnisleitung. "Es war ja auch im Interesse des Gefängnis, dass mir nichts passiert", so Becker. Natürlich ist eine Haftanstalt eine Haftanstalt und die wird auch für einen Promi nicht luxuriös aufbereitet. Becker beschrieb seine kleine Zelle als sehr dreckig, es gab eine Toilette, ein Bett, Tisch und Stuhl und einen kleinen Fernseher. Ein kleines Lüftungsrohr habe ihm im Sommer Frischluft verschafft, "im Winter war es sehr kalt". Der Winter im Gefängnis war für den Ex-Tennisstar zum Glück recht kurz, er wurde ja bereits nach acht Monaten aus der Haft wieder entlassen.

Woran sich Becker in der Zeit nicht gewöhnen konnte: "Im Gefängnis bist du niemand. Du bist nur eine Nummer. Meine war A2923EV." Angeblich hätten andere ihn auch nur mit dieser Nummer angesprochen, für seine Bekannten im Gefängnis schien er laut eigener Aussage dann aber doch Boris zu sein. Dass er selbst nur eine Nummer war und eben nicht mehr Boris Becker, Tennislegende, das scheint ihn sehr mitgenommen zu haben. Und es ist vermutlich auch schwer für jemanden der das Rampenlicht gewöhnt ist, plötzlich nicht mehr im Mittelpunkt zu stehen, sondern im Gegensatz dazu darauf bedacht sein zu müssen, möglichst wenig aufzufallen. Dieser Shift kann nicht leicht gewesen sein, Becker berichtete davon nur sehr knapp.

"Die ganze Welt bricht auf einmal zusammen"

Der ehemalige Wimbeldon-Gewinner gab zu, sich im Vorfeld viele Gefängnisfilme angeschaut zu haben. Seine größte Sorge, neben einer Doppelzelle, war die vor der Dusche und dem möglichen Bücken nach einem Stück Seife. Die Gefängnisduschen seien allerdings so konzipiert, dass jeder allein duschen konnte. Allerdings hatte Becker in beiden Haftanstalten Zusammentreffen mit Häftlingen, die ihn bedrohten und die seiner Aussage nach lebensbedrohlich waren. In Wandsworth schützen ihn die Listener, in Huntercombe seine Mithäftlinge, die er in der Situation dazu rief. Die Aufpasser und Wärter wären in solchen Situationen oft keine Hilfe, die Insassen würden sich selbst um solche Angelegenheiten kümmern.

Nach dem ersten Einschluss Ende April war Becker überfordert. "Die ganze Welt bricht auf einmal zusammen", sagte er, es sei der "einsamste Moment der Welt" gewesen, als die Tür sich hinter ihm schloss. Verzweifelt sei er gewesen, aber geweint habe er nicht. Angst gehabt, das durchaus, auf der Suche nach Orientierung und Struktur. Das ist nachvollziehbar und bei diesen Aussagen wirkte der Ex-Tennisprofi sehr nahbar und echt. Die Idee, wie es sich anfühlt wenn die Gefängnistür sich hinter einem schließt, die kennen wir alle auch aus diversen Filmen.

Eine Vaterfigur für andere

Und wie in vielen Gefängnisfilmen auch: Becker bekam in beiden Gefängnissen einen Job, für ihn ein echter Lichtblick: Zunächst war er Englisch- und Mathelehrer, wie er schmunzelnd erzählt, später dann ein philosophischer Ratgeber. In Huntercombe habe er sich mit dem Stoizismus beschäftigt und wäre auch dadurch zu sowas wie einer "Vaterfigur" für die anderen Häftlinge geworden, die teilweise im Alter seiner Söhne gewesen seien. Zu seinem 55. Geburtstag habe er drei Kuchen bekommen, die anderen Häftlinge hätten sich das Geld dafür von ihren kargen Einkünften abgespart. Aussagen wie diese lassen einen irritiert zurück. Wieso muss es immer dieser Heldenpathos sein, Boris Becker als Vaterfigur, der Mann zu dem andere aufblicken. Weil Boris Becker das sein ganzes Leben gewöhnt ist, erst als umjubelter und unglaublich erfolgreicher Tennisstar, irgendwann vor allem mit seinem Privatleben. Da braucht es dann immer diese Heldenreise, die dafür sorgt, dass man sich selbst nicht zu schlecht fühlt, immer wieder das Gute in allem sieht. Dabei ist es doch viel echter auch zu sagen: Das habe ich erlebt und es hat mich geprägt und für immer verändert. Diese Momente hatte Becker laut eigener Aussage ja durchaus auch.

"Ich glaube, das Gefängnis war gut für mich"

Der Ex-Tennisstar legte gegen Ende des Interviews noch mal Zeugnis darüber ab, wie es überhaupt zu der Verurteilung und seiner Insolvenz kommen konnte. Die Quintessenz von allem: Er hatte über seine Verhältnisse gelebt, zu wenig Interesse an Finanzen gezeigt, sei schlecht beraten worden. "Ich glaube, das Gefängnis war gut für mich", lautete das Fazit Beckers, denn nun wisse er, wer seine wahren Freunde sind und wie wichtig ihm seine Kinder und seine Partnerin wirklich sind. Über Exfrau Sharlely Becker verlor er kein schlechtes Wort, er wolle sich dazu nicht mehr öffentlich äußern, Exfrau Barbara sei er dankbar dafür, wie großartig sie die gemeinsamen Kinder erzogen habe, auch wenn sie nicht so eng miteinander verbandelt seien, "wie man in Deutschland meint". Er habe nun mit seiner Ausweisung nach Deutschland eine neue Chance bekommen seine zweite Lebenshälfte zu leben und das nach seinen Vorstellungen.

Becker habe von seiner Partnerin Lilian die Anweisung bekommen, sich nicht mehr über ihre Beziehung zu äußern. Ihr Aussehen, das wohl auch Thema bei den Mitinsassen war, kommentierte er dennoch sehr uncharmant. "Meine Partnerin ist ja auch relativ hübsch", erwähnte Becker mit einem gewissen Stolz in der Stimme und ganz sicher sind solche Aussage der Traum einer jeden Frau. Mehrere Momente in dem über zweistündigen Interview waren derart mit Fremdscham beladen, z.B. auch, als er darüber berichtete, dass sein Freund Jürgen Klopp ihn im Gefängnis nicht besuchen konnte, weil er zu berühmt sei. Es ist zu vermuten, dass Boris Becker selbst sich daran überhaupt nicht stört.

Zwischen hochnotpeinlich und wirklich übel

Als er aber darüber sprach, dass er selbst zur "arbeitenden Bevölkerung" zählen würde, und, dass man sich "dafür nicht schämen" müsse, das war irgendwo zwischen hochnotpeinlich und wirklich übel. Denn unter arbeitender Bevölkerung verstehen die meisten Menschen sicher etwas anderes als das Kommentieren von Tennisspielen oder Auftritten auf Promi-Events. Von denen will sich Becker in Zukunft eher fern halten, ihm sei im Gefängnis klar geworden, wie sehr er seine Privatsphäre schätze. Ein Leben in Deutschland könne er sich aktuell eher nicht vorstellen, vielleicht aber Dubai oder Miami. Eigenes Geld möchte er verdienen, sich vielleicht ein Auto oder ein Haus kaufen, Steven Gätjen wiedersehen (wieso auch immer das in der Aufzählung von Möglichkeiten wichtig war), mehr Zeit mit den Kindern verbringen und gern noch weitere Kinder bekommen. Er habe "viele Ideen", aber er sei auch "vorsichtig geworden mit Aussagen", so Becker. Wenn er auf das letzte Jahr zurückguckt, dann habe er "viel gelernt […] in den acht Monaten und sechs Tagen". Es bleibt abzuwarten, wie sich der neue, geläuterte Boris Becker im Alltag beweisen kann. Aber wie vor Gericht gilt: Im Zweifel für den Angeklagten.

rös

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