Caren Miosga Die kann auch Politik

Von Alexander Kühn
Sie stellt so nett böse Fragen, warmherzig und doch hartnäckig. Jetzt verlässt Caren Miosga die Nische der Kulturmagazine und tritt die Nachfolge von Anne Will bei den "Tagesthemen" an.

Einmal setzte sich die gesamte Redaktion in Anzug und Abendkleid mitten in die Lüneburger Heide, es war bestuhlt wie im Theater; aus ihrer Mitte erhob sich, im roten Kleid, Caren Miosga und deklamierte in die Kamera: "Kultur ist überall!", worauf eine Herde blökender Schafe durchs Bild sprang. Beim NDR schwärmen sie von diesen Filmchen, mit denen Miosga das "Kulturjournal" bewarb. "Die Caren hat ihren Job verdammt ernst genommen", sagen die ehemaligen Kollegen. "Sich selbst aber nie." Inmitten einer Feuerwehrkapelle marschierte sie den Ostseestrand entlang, im Badeanzug moderierte sie aus einem dampfenden Geysir in Reykjavik. Jetzt, da die 38-Jährige zu den hochheiligen "Tagesthemen" auffährt, weil Anne Will die Hinterlassenschaft Sabine Christiansens antritt, hört sie von Journalisten öfter die Frage, ob das auch das Richtige sei für sie. Von wegen: Kann die auch Politik?

Lieblingsklischee: Prosecco auf Vernissagen schlürfen

Das ist ihr neues Lieblingsklischee: Wer Kulturmagazine moderiert hat, kann doch keine Nachrichtensendung machen! Da kann sie herrlich ironisch werden, aus ihren weichen Augen blitzt es, und sie sagt: "Weil wir jeden Abend im Theater sitzen oder in der Oper und auch nur das Feuilleton lesen - so ist das ja, oder?" Als ob ihre bisherige Arbeit darin bestanden hätte, auf Vernissagen Prosecco zu schlürfen. Um verfolgte Schriftsteller ging es in ihren Sendungen, um Kriegsflüchtlinge oder die RAF. Beim "Kulturjournal" im Dritten, das sie seit 1999 präsentierte, und auch sonntagabends im Ersten bei "Titel, Thesen, Temperamente"; dort war sie im vergangenen Jahr eingestiegen, kurz nach der Geburt ihrer Tochter.

Miosga wird jetzt Mainstream. Die Zahl der Deutschen, die ihren Namen richtig aussprechen, dürfte bald rapide steigen. "Misga, Misoga, Migosa, Moskau - alles schon dagewesen", sagt sie; die Familie des Vaters stammt aus Oberschlesien. "Cicero", das Intellektuellen-Magazin der Berliner Republik, nannte sie jüngst über eine Seite hinweg konsequent "Carmen". Sie nahm’s gelassen. Die schicken Klamotten vom morgendlichen Fotoshooting in einem Hamburger Café hat sie rasch abgelegt, die lila Glanzbluse und das rote Top; in Schlabberpulli und Jeans ist es ihr um einiges wohler. Um gleich zu ihrem zweitliebsten Klischee zu kommen: "Alle fragen mich jetzt, was ich tun werde, um nicht abzuheben. Dabei habe ich gar nicht vor, mich zu verändern." Versprochen?

Sie insistierte, rückt auf die Pelle

Miosgas Kunst besteht ja darin, böse Fragen nett zu stellen, hartnäckig zu sein und dabei warmherzig, mit knallharter Zurückgenommenheit. 2003, als sie im NDR erstmals das Medienmagazin "Zapp" moderierte, hatte sie sich gleich den eitelsten aller Pfaue ins Studio geholt, Michel Friedman. Und behandelte ihn so wie er seine eigenen Talkgäste. Insistierte. Rückte ihm auf die Pelle. Betatschte ihn. Beim Sender erzählen sie heute noch davon. Und als sie eine Gala der Zeitschriftenverleger moderierte und deren Präsident Hubert Burda fand kein Ende in seinem Salbadern - da fiel sie ihm ins Wort und mahnte sanft, man wolle allmählich zur Preisverleihung kommen. "Man konnte förmlich hören, wie alle dachten: Wie ist die denn drauf?", erinnert sie sich. Hinterher kam Burda zu ihr und sagte, ihr Eingreifen sei gut angekommen.

Ihre Moderationen bereitet sie penibelst vor. Selbst wenn im "Kulturjournal" nur 20 Sekunden blieben, um einen Beitrag über ein Buch anzusagen, hatte sie dieses selbstverständlich gelesen. Und wenn ihr ein eingespielter Film besonders gefiel, schickte sie dem Autor nach der Sendung eine SMS, vielen Dank. Weil sie selbst sich über solche Gesten immer gefreut hat.

Ihre Karriere begann beim Verkehrsfunk

Dabei war das mit dem Fernsehen eher Zufall. Als Mädchen wollte sie Tänzerin werden, damals, in Groß-Ilsede bei Peine. Später himmelte sie Romy Schneider an, auf zwei Bewerbungen an Schauspielschulen bekam sie Absagen. 1989 begann sie, Geschichte und Slawistik zu studieren; auf dem Gymnasium hatte sie Russisch gelernt. Für ein paar Monate zog sie nach Moskau und St. Petersburg und betreute Schülergruppen aus Deutschland. Während ihres Studiums in Hamburg suchte das Privatradio RSH junge Leute, die den Verkehrsfunk sprechen sollten. Live, aus der Leitzentrale der Busse. In einem kleinen Studio saß sie dort, zwischen morgens schon Currywurst essenden, blau uniformierten Herren, die ihr sagten, wo es sich staute, dann vermeldete sie das. Es folgten Moderationen bei Radio Hamburg und N-Joy. Bei RTL sprach sie zum ersten Mal in eine Kamera. Dann kam der Anruf vom "Kulturjournal".

Nach ihren ersten "Tagesthemen" am kommenden Montag werden die bunten Blätter darüber philosophieren, ob sie die Augenbraue genau so neckisch gelüpft hat wie Frau Will. Vielleicht werden sie Punkte vergeben, wie beim Eislaufen: für Lächeln, Charme, Frisur – hier Anne Will, dort die Neue. 10 zu 8. Oder 7 zu 9. Oder ähnlichen Quatsch. "Ich werde nicht versuchen, Annes Stil nachzuahmen, das würde schiefgehen", sagt Caren Miosga. "Wichtig ist: die Inhalte bestimmen die Präsentation. So habe ich es schon immer gehalten."

Nicht Will nacheifern

Es war am Abend des 21. März, als Kai Gniffke und Thomas Hinrichs, die Chefredakteure von ARD-aktuell, sich einen Kasten Bionade kommen ließen und die Bänder vom Casting und zwei Chefs vom Dienst hinzubaten. Fünf Kandidatinnen hatten "Tagesthemen" gespielt: Moderation schreiben, Beiträge ansagen, ein Interview führen. "Frau Miosga hat uns sofort in die Sendung hineingezogen", sagt Hinrichs. "Sie hat die Themen so vermittelt, dass jeder sie versteht. Sie ist die Beste." Als die Intendanten der neun ARD-Anstalten anderthalb Wochen später grünes Licht für die Personalie gaben, smste er glückselig an Gniffke: "yyyyyessss!"

"Zwei völlig normale Typen"

Beim NDR draußen in Hamburg-Lokstedt ist Miosga jetzt nicht mehr in Haus 11 zu finden, dem grauen Klotz, sondern im feinen Haus 18. Wie all die Jahre kommt sie geradelt, von zu Hause ist es eine Viertelstunde. Zwei Schnupperwochen hat sie in der Redaktion verbracht, 11.30 Uhr Konferenz, 16.15 Uhr Konferenz, 22.15 Sendung, danach interne Kritik. Im Erdgeschoss hat sie ein Büro bezogen, "ich hatte noch nie eines für mich allein, bisher war ich ja freie Mitarbeiterin". Zu erreichen über das Sekretariat mit der Zimmernummer 007, über das man auch zum Büro von Tom Buhrow gelangt. Hätten sie sich beim NDR den Zeitpunkt aussuchen dürfen für Wills Weggang - er wäre bestimmt nicht jetzt gewesen, da die Kritik noch immer etwas fremdelt mit dem netten Herrn Buhrow, der seit September die "Tagesthemen" präsentiert. Der nicht den Käse-Rotwein-Philosophen gibt wie ehedem Ulrich Wickert, sondern als weitgereister, kundiger Nachbar daherkommt. "Ich glaube, Caren und ich passen gut zusammen", sagt Buhrow. "Wir sind uns ziemlich ähnlich: zwei völlig normale Typen."

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