"Caren Miosga" Und plötzlich kämpft der Kanzler mit den Tränen

  • von Rasmus Blasel
Bei "Caren Miosga" zeigte sich Friedrich Merz von seiner emotionalen Seite
Bei "Caren Miosga" zeigte sich Friedrich Merz von seiner emotionalen Seite
© ARD/ Thomas Ernst
Eigentlich ist Friedrich Merz bei Caren Miosga, um über wichtige Reformen des Sozialstaats zu sprechen. Der Kanzler zeigt an diesem Abend zwei Gesichter.

Es ist das altbekannte Prinzip: Merz kündigt an, Merz rudert zurück. Am Sonntagabend bei "Caren Miosga" steht für ihn wieder einmal das Zurückrudern auf dem Programm.

Angekündigt hat Bundeskanzler Friedrich Merz den "Herbst der Reformen". Ein Blick aus dem Fenster zeigt jedem: Der Herbst ist da. Nur von grundlegenden Reformen sieht und hört man bisher wenig.
Caren Miosga lässt immer wieder Aussagen des Kanzlers einblenden. Ein Tweet aus dem Juni: "Bis Sommer soll für jeden sichtbar werden: Es geht voran. Wir bringen unsere Wirtschaft auf Wachstumskurs." Dann ein Ausschnitt aus einer Rede im Bundestag: "Der Herbst der Reformen wird auch nicht die letzte Jahreszeit sein, in der wir das Land zum Besseren verändern. Es wird sich ein Winter, ein Frühling, ein Sommer, ein nächster Herbst anschließen mit Reformen." Schnitt zum Kanzler. Er lächelt. Miosga fragt: "Merken Sie selbst ein bisschen, oder?" –  "Ist doch schön formuliert gewesen", entgegnet der Kanzler. Aus dem Publikum ist Lachen zu hören.

Merz witzelt über Reformen

Ja, es könnte wirklich witzig sein, wenn es nicht so bitterernst wäre. "Warum versprechen Sie Dinge, die Sie nicht einhalten können?", will Miosga wissen. Der Kanzler gibt zu, auch er habe mehr erwartet und betont, dass er sowohl die "Öffentlichkeit mitnehmen” als auch seine Regierung "treiben” müsse, um voranzukommen. 

Dass die Regierung den Sozialstaat reformieren will, steht fest – nur über das Wie herrscht weiterhin Unklarheit. Viel ändert dieser Abend daran nicht. Beim Bürgergeld sei eine Einigung "sehr nah", sagt Merz. Noch im Oktober sollen die Ergebnisse feststehen. Bei der Rente dagegen dürfte es länger dauern: Bis zum Herbst des kommenden Jahres werde eine Kommission Reformvorschläge vorlegen.

Eine Schnellfragerunde soll Tempo ins Gespräch bringen. "Wird der Pflegegrad 1 gestrichen?", fragt Miosga. Den Vorschlag gebe es nicht, das sei eine Debatte in den Medien, wiegelt Merz ab. "Von der Regierung haben Sie dazu nichts gehört." Als die Moderatorin die Aussage als positive Nachricht für die Betroffenen deuten will, wiederholt der Kanzler, dass es diesen Vorschlag nicht gebe – und fügt nach einer kurzen Pause hinzu: "Was nicht heißt, dass wir über diese Frage nicht diskutieren." Das Publikum lacht erneut. Anscheinend hat der Kanzler dazugelernt: Noch einmal will er keine falschen Versprechen machen.

Danach drehen sich die kurzen Fragen unter anderem um Veggie-Würstchen und den Videobeweis im Fußball. Fast könnte man den Eindruck bekommen, die Sendung bekäme einen komödiantischen Abschluss. Doch dann wird der Kanzler plötzlich emotional.

Bei Caren Miosga zeigt Friedrich Merz seine Stärke

Ein Einspieler der Redaktion zeigt einen Ausschnitt aus seiner Rede in der Synagoge in der Reichenbachstraße in München. Während Merz über die Kindheit der jüdischen Literaturwissenschaftlerin Rachel Salamander spricht, kämpft er mit den Tränen. Zurück im Studio ist die Stimmung wie ausgewechselt. Wieder ist Merz den Tränen nahe, wieder wirken die Emotionen ehrlich. Rachel Salamander habe während der Rede direkt vor ihm gesessen und geweint, erklärt Merz seinen Gefühlsausbruch. Miosga erwähnt ein weiteres Beispiel, in dem sich der Kanzler emotional gezeigt hat und fragt, ob das etwas mit Kindern zu tun habe. "Ja, Frau Miosga, das hat etwas damit zu tun, weil ich es schwer ertragen kann, über das Leid von Kindern zu sprechen", antwortet Merz energisch.

Die vermeintliche Schwäche ist vielleicht die größte Stärke des Kanzlers: Er zeigt Gefühle bei dem Thema der deutschen Geschichte, das durch die dramatische Situation in Nahost wieder ungeahnte Aktualität bekommen hat – und die Bundesrepublik polarisiert wie lange nicht. Merz sagt: "Ich möchte, dass unser Land ein Land ist und bleibt, in dem Kinder – auch jüdische Kinder – leben und groß werden können." Das Publikum klatscht laut und lang.

Die Zuschauer erleben an diesem Abend beide Seiten des Friedrich Merz. Auf der einen Seite einen Kanzler, dem das jüdische Leben in Deutschland ein Herzensanliegen ist, jemanden, der sich seiner Verantwortung bewusst zeigt. Auf der anderen Seite sehen sie einen Politiker, der immer wieder den Mund zu voll nimmt und anschließend Erwartungen herunterschrauben muss. Merz will die Menschen mitnehmen. Doch mit weiteren Versprechen, die er am Ende nicht halten kann, wird es nichts. Noch ist der Herbst nicht vorbei. Die Zeit läuft.

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