TV-Kritik zu Günther Jauch Die Griechen: Ein Volk, das untergehen will?

Von Sylvie-Sophie Schindler
Ein Volk habe auch das Recht, in Würde unterzugehen, wenn es das wolle, sagt Politikberater Michael Spreng bei Günther Jauch und polarisiert damit.

Es krachte, es donnerte. Welcher Gott für den Gewitterhimmel über Berlin verantwortlich sei, wollte Günther Jauch von Syriza-Politiker Giorgos Chondros wissen. Es war seine allerletzte Frage nach einer dieser Griechenland-Diskussionen, die gefühlt stündlich im TV geführt werden, es hat inzwischen fast manische Züge, und von denen man nicht weiß, was sollen sie bringen. Es wird in der Regel diskutiert nach Art des Sisyphos, dessen Stein, kaum den Hügel hinaufgerollt, sich wieder rasant nach unten bewegt. Sisyphos - auch er ein Grieche. Und wie auf ihm einst die Last des Felsbrockens drückte, so drückt auf Griechenland heute die Last der Schulden. Zu poetisch? Es geht auch ganz konkret: Schulden hin, Schulden her - die Griechen haben mehrheitlich Nein zu den Sparvorgaben der EU gesagt. Zum Zeitpunkt, als Jauchs Talksendung am Sonntagabend ausgestrahlt wurde, hieß es, beim Referendum würden 61 Prozent aller Stimmen "Ochi" lauten. "Dieser Wahlabend wird Europa verändern", unkte Jauch. Er sprach von einem historischen Tag. Der nun welche Folgen hat?

"Ein Angebot, das nicht mehr gilt"

"Warum dürfen wir nicht in einem Referendum darüber entscheiden, ob und vor allem wie wir Griechenland helfen wollen?", lautete eine der Kommentare im Online-Forum zur Sendung. Ein anderer: "Die Griechen haben abgestimmt über ein Angebot, das nicht mehr gilt. Wen also bitte interessiert das Ergebnis dieser Abstimmung?" Das stellte auch Talkgast Michael Spreng heraus. "Diese Frage war gar nicht mehr zu stellen, das Thema war längst erledigt", so der Politikberater.

Die Fakten würden durch die Abstimmung nicht geändert, es handle sich um eine reine Willensbekundung. Sein Kommentar zum Votum: "Ein Volk hat auch das Recht, in Würde unterzugehen, wenn es das will." Empörungslaute aus dem Studiopublikum. Chondros wollte von solchen Untergangsszenarien nichts wissen. Die Mehrheit der Griechen würde, so der griechische Oppositionspolitiker, weiter zum Euro stehen.

Aber nur zu einem Euro, der aus dem Geldautomaten komme, schleuderte Spreng ihm entgegen, und nicht zur europäischen Idee. Zudem forderte Spreng die griechische Regierung auf, einen anderen Umgangston zu wählen, denn die bisherige Form sei "unzivilisiert" gewesen, siehe Schimpftiraden über "Terroristen". Und: Finanzminister Varoufakis solle in Brüssel am besten nicht mehr auftauchen. Chondros lehnte derlei Maßregelungen ab. Man müsse mit den Herzkampagnen aufhören und den Deutschen endlich die Wahrheit sagen: 75 Prozent der Gelder seien in den Kapitalmarkt zurückgeflossen und einige hundert Millionen an Zinsen in Deutschland verdient worden.

Ralph Brinkhaus als Ersatz für Elmar Brok

"Herr Brinkhaus plant schon den Grexit", mutmaßte derweil Ulrike Herrmann, Wirtschaftskorrespondentin der "taz". Der aber dementierte per Zwischenruf. Dass er, Ralph Brinkhaus, überhaupt im Studio anwesend war, lag daran, dass der ursprünglich eingeladene EU-Parlamentarier Elmar Brok wegen eines Unwetters nicht rechtzeitig anreisen konnte. Jauch war froh drum, überhaupt einen Regierungspolitiker mit an Bord zu haben, denn, so der Seitenhieb des Moderators, "alle Politiker sind gerade auf Tauchstation". CDU-Politiker Brinkhaus betonte, man habe von EU-Seite aus immer wieder versucht, Brücken zu bauen. Eine Vertrauensbasis sei immer noch nicht da. Es sei entscheidend, dass die griechische Regierung deutlich mache, was ihr Plan sei und wie sie mit dem Geld klarkommen wolle. Sein Appell, den viele bereits vor ihm formuliert haben: "Fangt mit den Reformen an."

Außerdem solle die Partei Syriza endlich die Steuern eintreiben. Über die Entwicklung in Griechenland wundere er sich nicht: "Es war nur eine Frage der Zeit, wann ein Land sagt, ich mache das so nicht mehr mit." Das Schöne an der Krise sei, wenn man es denn so betrachten wolle, man wisse nun, wie man besser mit solchen Sachen umgehe. Gleichzeitig verwies Brinkhaus darauf, dass Europa sich nicht nur mit Griechenland beschäftigen könne: "Wir haben ganz andere Probleme." Unter anderem nannte er die Stichworte TTIP, Überwachung und Flüchtlingspolitik.

Investitionen gegen die Schulden

Griechenland brauche Investitionen, um den Schuldenberg abzubauen. Sparen sei der falsche Weg. Für diese Position ist Giorgos Chondros bekannt, er vertrat sie auch in Jauchs Talkrunde. Der Syriza-Politiker gab sich überzeugt, dass durch den Ausgang des Referendums der Weg für andere Länder in Europa geöffnet worden sei. Auch andere EU-Staaten würden nicht unter einer Sparpolitik leiden wollen, beispielsweise Slowenien. "Reichtum ist genug da, er ist nur ungerecht verteilt", so Chondros. Er sprach von einer humanitären Katastrophe, die sich inzwischen in Griechenland abspiele. Und nannte Zahlen: 3,5 Millionen Griechen hätten den Zugang zum Gesundheitssystem verloren: "Dieses Elend ist das Ergebnis der Sparpolitik der letzten fünf Jahre, das weiß jeder Grieche." Dazu der trockene Kommentar von Brinkhaus, der deutlich machte, dass er Chondros` Sichtweise für Übertreibung hielt: "Humanitäre Katastrophen haben wir im Sudan".

Auch Ulrike Herrmann forderte, dass die Sparauflagen weg müssten und die Europäische Zentralbank den Griechen weiterhin Geld leihen solle, sonst könne sich das Land nicht entwickeln. Man dürfe übrigens nicht davon ausgehen, dass die Griechen noch nie gespart hätten: "Das stimmt so nicht." Ihr lag außerdem daran, richtigzustellen: "Es gab nie ein großzügiges Angebot der Europäer." Die Reaktion im Online-Forum kam sofort: "Ihre Sendung hat gerade bewiesen, dass das so genannte großzügige Angebot der EU an die Griechen nie existent war und dies eine große Lüge der EU-Politiker war und ist."

Was bereden, was noch nicht beredet wurde? Auch Jauch gelang kein Coup. Und das obwohl er endlich mal Herr im Hause war und alles daran setzte, sich die Diskussion nicht aus der Hand nehmen lassen. Geht doch, Herr Jauch. Und: Welcher griechische Gott ist denn nun verantwortlich, dass es oben donnert? Chondros: "Wir haben mehrere." Jauch: "Einigen wir uns auf Zeus." Hätte er Tsipras sagen sollen? 

PRODUKTE & TIPPS