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Gustl Mollath bei "Beckmann" Mollaths Demut und der Stempel des Irren

Zu gern hätte Mollath bei seinem ersten TV-Auftritt in Freiheit Verantwortliche mit seinem Fall konfrontiert. Doch bei "Beckmann" in der ARD saßen nur Verteidiger an seiner Seite - Beckmann inklusive.
Von Lisa Rokahr

Er scheint ein Stück weit angekommen zu sein, in seiner "Semi-Freiheit", wie er sie nennt. Gustl Mollath fühlt sich sichtlich wohl. Er trägt einen schwarzen Anzug, ist ruhiger als kurz nach seiner Freilassung, weniger wütend. Mollath ist zu Gast bei "Beckmann". Es ist sein erstes großes TV-Interview. Sein Anwalt Gerhard Strate und der Journalist Uwe Ritzer, der für die Süddeutsche Zeitung immer wieder über den Fall berichtete, sind dabei. Auch mit einer Gutachterin teilt sich Gustl Mollath den Tisch. Es ist die Psychiaterin Hanna Ziegert. Sie, nicht Mollath selbst, wird in der Sendung diejenige sein, die Abgründe im Psychiatriewesen enthüllt.

"Ja gut", leitet er die Antwort auf viele Fragen ein. Aber "gut" ist eigentlich noch gar nichts. Mit der Freilassung hat Mollath lediglich einen Etappensieg errungen. "Nur die erfolgreiche Wiederaufnahme bedeutet Rehabilitation", sagt er. "Erst dann kann eine Freiheit beginnen."

Dabei ist der Freispruch längst gefallen, vor über sieben Jahren schon. Und selbst damals hätte es eine Begutachtung überhaupt nicht geben dürfen, sagt sein Anwalt Gerhard Strate. Strate: "Eine zwangsweise Unterbringung, solange der Gefangene nicht mitarbeiten will, ist verfassungswidrig." Ziegert, selbst Gutachterin: "Ist aber Praxis." Strate: "Das geht aber nicht."

Gutachter-Szene quantitativ begrenzt

Wie das eben doch geht, beweist der Fall Mollath. Es sei üblich, dass Gutachten, wie bei ihm, nach Aktenlage erstellt werden, sagt Ziegert. Ohne mit dem Patienten Zeit zu verbringen oder zu sprechen. Und dann ist sie es, die Einblicke in die Branche der Psychiater erlaubt, die genauso erschütternd sind, wie die Beobachtungen der vor sich hinvegetierenden Mitpatienten, die Mollath berichtet.

"Viele Gutachter leben von den Aufträgen aus der Justiz", erzählt Ziegert. "Ein Gutachter wird darauf achten, dass er nicht in Ungnade fällt." Die Szene sei quantitativ begrenzt, jeder Psychiater habe einen bestimmten Ruf. "Danach wird er ausgewählt", sagt sie. "Die Justiz weiß, wenn sie den oder den beauftragt, welches Ergebnis da etwa herauskommt." Hanna Ziegert hat 30 Jahre Berufserfahrung und sich mit dieser Aussage in der Branche sicher keine Freunde gemacht.

Mollath zeigt sich davon nicht überrascht. Das bestätigt nur seine Vermutung, dass in seinem Fall viele Entscheidungen nicht unabhängig gefallen sind. "Mir war leider klar, was da angestrebt wurde." Er hätte sich daher mehr Verantwortliche in Beckmanns Runde gewünscht. "Um sie öffentlich zu konfrontieren."

Aber kein Gutachter ist da. Kein Arzt.

Mollath will sich Psychiatern nicht pauschal verweigern

Und selbst die Journalisten, die in ihren Artikeln Mollaths Geisteszustand anzweifelten, wollten Beckmanns Einladung nicht nachkommen. Nicht alle, die sich in den Fall Mollath gestürzt haben, sind schwindelfrei. Und die Abgründe, die sich auftun, sind tief.

Dafür erklärt Mollath selbst, warum er sich den Gutachtern immer wieder verweigerte, nicht mit ihnen sprach. Er habe Angst gehabt, dass mit jeder Untersuchung mehr "angebliche Beweise kreiert" werden. Aber er sagt auch, dass er sich Psychiatern nicht pauschal verweigere, und das sogar in einem neuen Verfahren nicht würde. "Auch mit mir kann man reden. Und das war schon immer so." Vorausgesetzt, es sei eine Person seines Vertrauens anwesend und die Untersuchung werde aufgezeichnet, dann würde er sich vielleicht begutachten lassen.

"Bei Beate Merk ist Hopfen und Malz verloren"

Ganz im Gegensatz zur Psychiaterin Ziegert selbst: "Ich weiß nicht, ob ich mich begutachten lassen würde", sagt sie. Und das ist dann auch schon die Pointe.

Mollath lacht nicht über diesen Witz, der eigentlich keiner ist. Er lacht nur über einen, den er selber macht, den Reinhold Beckmann aber nicht versteht, und lächelt kurz, als dieser einen Gutachter zitiert, der ihn einen "Querulanten" nannte. Ist er, weiß er. Für Mollath sind das fast schon große Emotionen, in vielen Interviews zeigt sein Gesicht keine Regung, starre Mimik, während er stundenlang seine Geschichte erzählt und ihm zu allem etwas einfällt.

Nur zur Politik fällt ihm nichts mehr ein. Wenn es um die bayerische Justizministerin Beate Merk und ihre "180-Grad-Wendung" geht, ist Mollath regelrecht sprachlos. Er wolle nicht unverschämt klingen, sagt er, "aber da ist Hopfen und Malz verloren." Journalist Uwe Ritzer ist da härter: "Dass Frau Merk jetzt so tut, als ginge das Wiederaufnahmeverfahren auf ihre Initiative zurück, ist an politischer Dreistigkeit nicht zu überbieten."

Auch Beate Merk war eingeladen, hat es aber leider nicht geschafft, ein wichtiger Wahlkampftermin. Was irgendwie überrascht, ließ doch ihr plötzlicher Meinungsumschwung Stimmen laut werden, sie mache mit Mollath Wahlkampf.

Kein Kampfgeist, Mollath ist ganz ruhig

Bei dem hingegen ist kein Kampf zu sehen, nicht mal der Kampfgeist, der sonst manchmal wütend in seinen Augen blitzt. Vielleicht fühlt er sich unter Druck, unter Millionen Augen, die sich alle ein Urteil über ihn bilden wollen. Schon vor seinem Auftritt im Untersuchungsausschuss sagte er, er habe Angst, er könne verrückt wirken, trage er doch den Stempel des Irren mit sich herum. Selbst jetzt noch, in Freiheit. Doch irre wirkt er an diesem Abend nicht, sondern ruhig, gefaltete Hände, spricht dankbar bis demütig.

Viele Zuschauer werden ihn so wahrgenommen haben, als den Bürger von nebenan. Und bei vielen wird das erneut die Urangst schüren, jeder könne unverschuldet in Bedrängnis mit dem deutschen Rechtsstaat kommen. Es sind auch die fehlenden Einsprüche von Reinhold Beckmann, die dieses "unverschuldet" unwidersprochen im Studio verhallen lassen. Mollath hat in dieser Sendung nur Verteidiger an seiner Seite, Beckmann inklusive.

Aber am Ende scheint es auch irrelevant zu sein, ob man Mollath Plattform oder Paroli bietet, denn für die meisten Zuschauern stand vermutlich schon vor der Sendung fest, ob er verrückt ist oder eben nicht. Das ist sein ewiges Dilemma: Verhält er sich verrückt, wird ihm das als Normalzustand ausgelegt. Verhält er sich normal, wird er für verrückt erklärt.

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