Herr Moor, ist die ARD eigentlich auf Sie zugekommen?
Ja. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, auf die ARD zuzugehen, weil ich gar nicht gewusst hätte, dass es einen Wechsel gibt. Und dann hatte die Sabine Scharnagl vom Bayrischen Rundfunk die Idee, rufen wir doch mal den Moor an. Dann gab es diese vielen Entscheidungsprozesse und irgendwann war's dann so weit.
Sie sind ja bekannt dafür, ein eigener Kopf zu sein - haben Sie Freiheiten?
Die Struktur ist eine völlig andere. Jeder Sender steuert seinen Teil bei, ich bin der einzige Mr "ttt". Am Anfang war das eher so eine Zwangswohngemeinschaft, aber jetzt klappt es wohl gut. Für mich ist das Neuland, ich weiß gar nicht, welche Freiheiten ich habe. Bis ich bei jeder ARD-Landesanstalt war, sind schon mal sechs Wochen vergangen. Es ist ein Weg der kleinen Schritte vorgegeben. Vor 20 Jahren hätte mich das ungeduldig gemacht. Mittlerweile habe ich - auch durch die Arbeit am Bauernhof - gelernt, dass die kleinen Schritte nachhaltiger sind.
Der Moderator und seine neue Sendung:
Ab dem 4. November 2007 tritt Dieter Moor die Moderation der ARD-Kultursendung "ttt - Titel, Thesen, Temperamente" an. Moor wurde in Deutschland durch die Moderation von "Canale Grande" auf Vox bekannt. Auf Premiere moderierte er "Studio/Moor" und für die ARD konzipierte er "EX! Was die Nation erregte". Er lebte lange in Wien und moderierte für den ORF die "Kunststücke". In Brandenburg bewirtschaftet Dieter Moor mit seiner Frau einen Biobauernhof. Moor hat eine erwachsene Tochter, die in der Schweiz lebt
Sie betreiben einen Biobauernhof in Brandenburg und sind dadurch also geerdet.
Ja. Man macht weniger Fehler. Hätte ich von einer guten Fee 500.000 Euro gekriegt, als ich den Bauernhof übernahm, hätte ich sofort einen "Relaunch", eine Neugestaltung, gemacht und dabei Fehler über Fehler fabriziert. Im Nachhinein war ich dann sehr froh, dass wir nicht das Geld für die großen Schritte hatten. Ein bisschen so ist das auch bei diesem Projekt.
Ich habe gelesen, Sie träumen davon, ein eigenes Projekt zu machen?
Ja. Ich träume natürlich immer noch von meinen kleinen eigenen tapferen Fernsehsender und bin guter Dinge, dass ich es irgendwann in die Tat umsetze.
Was würde Ihnen denn da vorschweben als Konzept?
Ich weiß nicht, ob ich darüber schon reden will. Ich glaube nicht.
Diese Idee entsteht ja nicht nur aus dem Wunsch, etwas selbst machen zu wollen, sondern auch aus einem Mangel.
Die Idee ist in Wahrheit ganz naiv und ganz pubertär, so wie jeder Schauspieler sagt (mit theatralischer Stimme): Ach, man müsste ein eigenes Theater haben, dann könnte man tun, was man will! Ja, man müsste einen eigenen Sender haben, um all die Dinge zu machen, die diese Feiglinge in der Programmdirektion sich nicht trauen! Es wäre auf jeden Fall ein sehr lebendiger Sender, ein sich sehr stark verändernder Sender. Wahrscheinlich wäre es ein Flop-Sender. Weil ich ja keine Ahnung habe, was eigentlich massentauglich ist und was nicht. Ich bin immer erstaunt, wenn ich beispielsweise in einen Lampenladen gehe, nur hässliche Lampen sehe und die Verkäuferin sagt mir: 'Das kaufen die Leute'. Vielleicht kaufen die Leute die Lampen aber nur, weil es nur hässliche gibt, und die Lampenfabrikanten denken, die Masse will nur hässliche Lampen. Wenn man seinen eigenen Lampenladen hat, kann man das ausprobieren.
Was hat Sie denn zuletzt erstaunt, was im Medienbereich tatsächlich massentauglich war?
Ich staune, dass immer noch Kochsendungen funktionieren. Als diese große Phase mit den Nachmittags-Talkshows war, dachte ich, na ja, in zwei Jahren will keiner mehr eine Nachmittags-Talkshow und zehn Jahre lang haben Nachmittags-Talkshows funktioniert. Und jetzt sind es die Kochshows. So gut die sind, ja. Auch ich war in einer, bei Mälzer. Guter Typ. Aber noch eine Kochshow. Jetzt ist der ganze Nachmittag voll mit Haus renovieren, Hunde und Kinder erziehen, und es funktioniert immer noch. Ich staune.
Was ist ihr Kulturbegriff?
Im Prinzip ist alles Kultur, was nicht Natur ist. Für mich ist es ein sehr weiter Begriff, weil ich auch mit der Agrikultur zu tun habe. Fast alles, was die Natur ohne den Menschen nicht hervorgebracht hätte, im Guten wie im Schlechten, ist für mich Kultur. Da bin ich ein Andy Warholist, der sagte, wie eine Suppendose aussieht, ist Teil unserer Kultur. Ich bin da naiv, mich interessiert das. Warum sieht eine Dose aus wie eine Dose? Wie wird unsere Alltagskultur geprägt? Die Alltagsgegenstände müssen eine ästhetische Schönheit haben. Eine Gabel, ein Löffel, ein Messer, eine Tasse, ein Glas, ein Küchenschrank muss schön sein. Fand ich großartig. Heute sind wir in einer Phase, wo wir das aufteilen in Massenware und in Designerware. Die Designerware ist hässlich und unbrauchbar und die Massenware ist hässlich und eher brauchbar. Und wo sind die schönen Dinge? Das sind für mich Kulturfragen.
Was machen Sie derzeit noch nebenbei?
Es hat sich sehr viel angehäuft. Ich bin plötzlich wieder beim ORF mit acht Sendungen im Jahr, eine ist eine Buchsendung, bei der anderen geht es um Kurzfilme. Seit Jahren bin ich mit diesem Konzept gescheitert, weil die meisten Programm-Macher das Gefühl haben, Kurzfilm ist ein Ausschalter, was einfach nicht wahr ist. Jeder Sender verkauft jeden Tag Millionen von Kurzfilmen, die im Werbeblock laufen. Kurzfilme sind wie gute Werbung ohne Werbung.
Die Nation hat sich zerrieben nach Ihrer Nacht-Talk-Show in der Schweiz.
Ich war derjenige, der das Schweizer Fernsehen fast ruiniert hat, Millionen kassiert hat und nur Scheiße gemacht hat. Ne, ne, es gab nicht nur Gegner, es gab auch Befürworter. Ich stehe auch nach wie vor zu diesen zwei Jahren Late-Night-Show, das war nicht so schlecht, wie es dargestellt wurde.
Sie haben ja der Schweiz so ein bisschen den Rücken gekehrt und sind jetzt nach Berlin gezogen.
Scheinbar kann man nicht 13 Jahren in Wien leben und dann noch die Schweizer verstehen. Die Schweiz ist für mich ein identitätsloses Land in der Krise. Es gibt Klischees, die gepflegt werden, Alphorn, Schokolade und die Banken. Bei dieser Ausländerdiskussion mit Christoph Blocher macht sich keiner bewusst, dass in den 30er Jahren ganz viele Schweizer ausgewandert sind. Wir waren ein armer Bauernstaat. Ich finde es bemerkenswert, dass dieser Rechtsruck stattfindet in der stärksten Volkspartei und keiner sagt, dass es ein Rechtsruck ist. Außerdem: In der Schweiz ist jedes Quadratmeterchen, jede Position vergeben. In Brandenburg ist genau das Gegenteil, vieles liegt brach, es gibt aber Potenzial Die Weite der Landschaft entspricht auch der Weite der Hirne. Es war ein sehr guter Schritt, umzuziehen.
Wird denn Berlin Kulturhauptstadt Europas oder der Welt sogar?
Was ich an Berlin sehr schätze, ist dieser abgenutzte Begriff von Wowereit, aber der trifft es: arm, aber sexy. In Berlin muss man seine Pfründe nicht schützen, es gibt ja keine. Man muss Synergien finden, Netzwerke knüpfen, die oft zu nichts führen, aber hin und wieder doch. Berlin hat keine Ressourcen außer den Menschen, die in dieser Stadt wohnen, leben, tun und machen. Dort gibt es auch Menschen, die wissen, was Existenzangst ist, die ein ungeregeltes Leben führen und trotzdem ihre Visionen haben. Das ist der Preis, den man zahlt. Ich kenne das sehr gut. Schlaflose Nächte mit Schweißausbrüchen, weil man nicht weiß, wie man den Kühlschrank füllt. Das Privileg eines 50-Jährigen: Im Rückblick merkt man, irgendwie ist es weitergegangen. Durststrecken gehören dazu.
Haben Sie denn eigentlich schon mal eine Homestory auf Ihrem Bauernhof gemacht?
Homestory heißt ja immer, man muss möglichst barfuss mit seiner Ehegattin auf dem Bett liegen und dabei Tee trinken oder Crackers, Cornflakes oder was auch immer essen. Oder im Ledersessel vor der Bücherwand sitzen, um gebildet zu erscheinen. Der Bauernhof hat den Vorteil, dass überhaupt niemand ins Haus will, was ich sowieso auch nicht will. Man stellt sich halt neben das Rind, neben das Pferd und auf den Traktor, meinen Lieblingstraktor.