Der Anzug ist zu groß für Günther Jauch. Das überraschte niemanden. Um fast Punkt 23 Uhr trat der Moderator nach einer Werbepause im ersten "Wetten,dass..?"-Anzug Thomas Gottschalks aus der Kulisse. Wie ein Konfirmand im zu groß geratenen Festrock des großen Bruders stand er da. Noch dazu ein Paar Leopardenstiefel an den Füßen, die dem freundlichen Fernsehbeamten ein geradezu bizarres Aussehen verliehen. Jauch fand für sich und seine Verkleidung selbst den treffendsten Ausdruck: "Clown Dodo vom Wanderzirkus". Kann so einer Nachfolger der berühmtesten deutschen Showblondine werden wollen? Natürlich nicht.
Dass Gottschalk bei seinem Wetten,dass..?"-Abschied am Samstagabend seinen alten Kumpel Jauch ins Nachfolgegespräch brachte, war nur ein Scherz unter TV-Kollegen. Der Boulevard köchelte die Sache 24 Stunden lang auf Sparflamme mit, denn so wirklich kann das Thema keiner mehr hören. Jauch brachte seine Absage schnell hinter sich. "Ich bin dir oft nachgefolgt, gerade beim ZDF", sagte er zu Gottschalk gewandt, der wie verabredet zu Gast war. "Ich habe das gerne gemacht, aber ich glaube einfach, dass ich das nicht gut kann." Gottschalk wollte ihm da nicht widersprechen. Er war ohnehin noch im Rausch seines triumphalen Abgangs am Vorabend. Auch bei RTL sprangen die Zuschauer von den Sitzen auf. Er wehrte die Ovationen wie ein Elder Statesman ab - und nahm sich die ZDF-Verantwortlichen zur Brust.
Gottschalks Ansage an die ZDF-Herren
Egal, wer die Wett-Sendung in Zukunft moderieren würde, so wie bisher könne sie nicht mehr funktionieren. Drei der Gründe: "Michael Jackson gibt's nicht mehr, 18 Millionen Zuschauer gibt's nicht mehr - und mich gibt's auch nicht mehr." Außerdem sei das Niveau der Wetten nur schwer zu halten: "Es ist alles gerochen und getastet worden, was möglich war." Das war eine klare Ansage an die Adresse seiner Ex-Chefs, den so hüftsteif gewordenen Show-Dinosaurier einer Generaluntersuchung zu unterziehen und nicht nur nach einem neuen Reiter zu suchen.
Gottschalk war der unumstrittene König dieser Jahresrevue, die wie gewohnt in jedem Ereignis die Emotion suchte. Kein Nachrichtenbild, ob vom Atomunfall in Fukushima oder vom Massaker auf Utøya, ohne Musikunterlegung. Der Sound eines RTL-Jahres ist die Schicksalsmelodie. Ihr mussten sich, ob sie wollten oder nicht, so unterschiedliche Personen unterordnen wie Ameneh Bahrami, die Iranerin mit dem verätzten Gesicht, die vor einigen Monaten auf die Blendung des Säuretäters verzichtete. Oder Marcel Gleffe, der "deutsche Held von Norwegen", der über 20 Jugendliche vor dem Attentäter Breivik rettete. Oder auch Gaby Köster, die seit ihrem Comeback in der Öffentlichkeit zur Schlaganfallpatientin der Nation aufgebaut wurde und mit dieser Rolle offensichtlich überfordert ist. Die Geschichten können noch so anders sein: Sie schmecken nach der immergleichen Fertigsoße aus Betroffenheit und Rührung.
Jauch in seinem Element
Günther Jauch war wieder in seinem Revier, das merkte man. Endlich einmal musste er sich nicht mit Politfieslingen und perfiden Lobbyisten abkämpfen und sich vor deren Fallstricken in Acht nehmen, sondern konnte sich durch die Gespräche charmieren wie zu seligen stern-TV-Zeiten. Wenn so etwas wie journalistischer Jagdinstinkt gefragt gewesen wäre, stellte er sich einfach taub. Und so durfte ein deutscher Techniker, der während des Erdbebens in den Atomanlagen in Fukushima arbeitete, ohne Nachfrage von einer "Hetzkampagne" gegen die Atomkraft sprechen. Und Winfried Kretschmann, dem "grünen Superhelden", ließ Jauch auf die Frage, was denn nach dem Volksentscheid zu Stuttgart 21 nun zu erwarten sei, den bemerkenswerten Satz durchgehen: "Wir werden keine Wasserwerfer auffahren, aber sie stehen im Hintergrund." Um im Falle einer Trockenheit die Bäume zu wässern?
Zur Hochform läuft Jauch auf, wenn die Geschichten putzig sind und niemandem weh tun. Wie die des kleinen Tobias aus einem kleinen westfälischen Dorf, der - "damit es nicht so langweilig ist" - zu seiner Erstkommunion den Papst eingeladen hatte. Sogar über die Anfahrt des prominenten Gastes machte sich der Knirps in seinem Einladungsbrief Gedanken: "Wir haben einen Flugplatz", schrieb er, seine Mutter könne ihn, den Papst, abends auch wieder mit dem Auto dorthin zurückbringen. Der Vatikan antwortete tatsächlich mit einer persönlichen Absage, und als der Elfjährige noch einen weiteren Brief nachlegte - "Hallo lieber Papst" -, durfte er beim Deutschland-Besuch des Ober-Katholiken in der ersten Reihe sitzen. Geduldig und mit viel Witz und Einfühlsamkeit kitzelte Jauch aus dem schüchternen Jungen die Details dieser Anekdote heraus. Er kann gut mit den Leuten von nebenan, die ihm auch bei seinem Millionärsquiz gegenübersitzen. Besser als jeder andere im deutsche Showbusiness, besser auch als Gottschalk.
Eben der gab dem bemitleidenswerten Jauch in seinem Clownskostüm noch einen mit: "Du wirst hoffentlich nicht glauben, dass du in einem anderen Anzug besser aussiehst." Jauch konterte die Spitze ein paar Augenblicke später. Die Friedhöfe seien voll von unersetzlichen Menschen, aber: "Es geht auch ohne uns."