Erlöst den Mann endlich! Nein, mit einem Polittalk, den die ARD für diesen Sonntagabend-Sendeplatz reklamiert, hatte Günther Jauchs gestrige Sendung über "Samuel Kochs zweites Leben" rein gar nichts zu tun. Ein klassisches Magazin-Format präsentierte uns der vermeintliche Moderator da, eine Fragerunde, gespickt mit Filmbeiträgen und Emotionen – und doch oder gerade deshalb war es zweifellos eine seiner besten Sendungen auf diesem Königsplatz im Ersten. Einmal mehr wurde klar, wo die tatsächlichen Stärken des 55-Jährigen liegen: Nicht in der kontroversen Diskussion, sondern in den direkten, doch sensiblen Fragen; nicht in der thematischen Vertiefung, sondern im durchaus konstruktiven Anreißen von Themen und Anstoßen von Gedankengängen; nicht im hartnäckigen journalistischen Nachbohren, sondern im emotionalen Aufwühlen.
Das mag manchem, vielleicht sogar vielen (zu Recht) zu wenig sein für einen vermeintlichen Polittalk, doch warum denn nicht diese unzweifelhaften Qualitäten des Günther Jauch nutzen für eine Sendung anderen Zuschnitts? Klar lässt sich der – auch im hauseigenen Online-Forum der ARD erhobene – Vorwurf machen, das Ganze sei nicht zuletzt eine Werbung für das heute erscheinende Buch Kochs gewesen, der seit seinem Sturz am 4. Dezember 2010 in Thomas Gottschalks Show "Wetten, dass…?" vom Hals abwärts gelähmt ist; und warum denn dann nicht wenigstens über die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention in Deutschland diskutiert wurde, über die mangelhafte Integration von oder die Behördenwillkür gegenüber Behinderten; oder dass es letztlich der damals 23-Jährige selbst gewesen sei, der sich in dieses Schicksal gestürzt habe, als er versuchte, mit Sprungfedern an den Füßen fahrende Autos mit einem Salto zu überspringen.
Rührselig? Nein, menschlich!
Doch Jauch wollte all das gar nicht vertiefen. Er wollte berühren, er wollte über "Schicksalsschläge" und den Umgang mit selbigen sprechen – und das gelang ihm, ohne dabei die Distanz zu verlieren. Koch selbst gab einen bewundernswert offenen Einblick in sein (Gefühls-)Leben – "das ist schon manchmal der Verzweiflung nahe" –, frei von jeglichem Selbstmitleid – "wer sonst sollte Schuld tragen außer mir?" – und offenbarte sogar schwarzen Humor, wenn er etwa über seine Hilflosigkeit beim Zähneputzen erzählte: "Ich lasse da die Helfer ihre Kreativität ausleben." Und wer sah, wie der junge Mann um (möglichst schmerzfreie) Haltung kämpfte, konnte unmöglich ungerührt bleiben – ebenso wie bei den Worten seiner jüngeren Schwester Rebecca, als die sich noch einmal an ihre ersten Gedanken unmittelbar nach dem Unglück erinnerte: "Ich habe gedacht, er steht gleich wieder auf, denn mein großer Bruder steht immer wieder auf."
Rührselig? Nein, einfach menschlich. Dass diese Themen die große Stärke Jauchs sind, bewies der Moderator auch im zweiten Teil der Sendung, als es darum ging, wie man es schafft, in Kochs Situation nicht zu verzweifeln. Und Udo Reiter seine seinerzeitigen Selbstmordpläne beschrieb, nachdem ein Autounfall den damals 22-Jährigen querschnittsgelähmt in den Rollstuhl zwang. "Der Abschiedsbrief im Studentenwohnheim war vorbereitet, ich hatte mir eine Smith & Wesson besorgt – doch dann erkannte ich, dass ich am Leben hänge", erzählte der ehemalige MDR-Intendant. "Man muss dann die Möglichkeiten, die es nicht mehr gibt, einfach ausblenden." Oder Nikolaus Schneider, der von seinem gewandelten Gottesbild sprach, nachdem der Theologe 2005 seine jüngste Tochter durch Leukämie verloren hatte: Nein, gezweifelt an Gott habe er nicht, erinnerte sich der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, "ohne den Glauben hätte ich das nicht durchgestanden", doch er habe seinen Gott in der für ihn bis dahin unbekannten Dimension des Fürchtens kennengelernt.
Auch eine Frage des Glaubens
Auch da fand Jauch wieder einen einfühlsamen Übergang zur Gläubigkeit in der Familie Koch, hatte doch Samuel vor seinen Stunts stets in Stoßgebeten quasi "einen Teil der Verantwortung auch abgegeben". "Der Unfall hat Sie im Glauben erschüttert", stellte Jauch fragend fest – "aber nicht gestürzt", erwiderte der Gelähmte mit fester Stimme. Natürlich lässt es sich leicht in die Rubrik Allgemeinplätze schieben, wenn sein Vater Christoph Koch konstatierte, sein Gottesbild habe sich insofern verändert, als dass ihm klar geworden sei: So wie es genauso regnet über Menschen, die an Gott glauben wie über Nichtgläubige, so ereilten die einen ebenso wie die anderen Schicksalsschläge – und doch kann der Glaube in solchen Lebenssituation eben durchaus helfen, bestätigte Kochs Arzt Maximilian Keil.
Dass Samuel seinen Glauben nicht verloren hat, unterstreicht ein Satz aus seinem Buch, den Jauch dramaturgisch gekonnt am Ende der Sendung zitierte: "Man kann auf jedem Niveau klagen, und man kann auf jedem Niveau glücklich sein." Nicht allein deshalb geben auch wir in ganz anderer Hinsicht den Glauben an Jauch als Fernsehmann nicht auf.