Herr Thoma, durch neue Techniken wie dem Internet wird es in Deutschland möglicherweise bald hunderte TV-Sender geben. Verlieren die jetzigen Programme dadurch irgendwann an Bedeutung?
Viel mehr an Bedeutung können sie ja nicht mehr verlieren. Wir sind in einer Krise und es geht bei den TV-Stationen hauptsächlich darum, zu sparen. Leider gibt es deswegen kaum etwas innovatives, neues. Die meisten leben vom Wiederkäuen von Bestehendem. Oder von Großeinkäufen aus Amerika, was wir ja schon einmal überwunden hatten.
Ist das Privatfernsehen zu ängstlich?
Ja. Da sitzen zu viele Leute, die das Fernsehen nicht verstehen und sich damit auch nicht beschäftigen wollen. Die glauben, Fernsehen sei eine Gelddruckmaschine. Aber das funktioniert natürlich nicht. Auf Dauer braucht Fernsehen Inhalte. Nur damit kann es überleben. Neue, überraschende Inhalte. Sonst wird es umso schneller von den neuen schnellen Programmen angegriffen. Es bedarf wieder eines Investitionswillen, um wieder Schwung hereinzubringen. Aber immer diese Ängstlichkeit. Als stünde hinter den Herren ein grausamer Herrscher, die sie sofort köpft, wenn ein Fehler gemacht wird. Fernsehen besteht nun einmal aus Versuch und Irrtum.
Woher kommt die Angst?
Es gibt ja auch positive Beispiele. Hinter den großen US-Sender stehen oft Produktionsstudios. Die haben viel mehr Freiheit, die können auch mal Fehler machen. Bei denen zählt, dass es in der Summe stimmt. Aber diese Erkenntnis gibt’s hier nicht mehr. Weil offenbar Leute urteilen, die in anderen Kategorien denken. In Kategorien, in denen ganz andere Gesetze bestehen. Kreativität ist einfach nicht mehr vorhanden.
Manchmal hat man den Eindruck, die Verantwortlichen machen ein Programm auf einem Niveau, auf das man sich gar nicht so weit herunter denken kann.
Unterschätzen sie das Publikum nicht. Je einfacher die Sendung, desto gescheiter sind die Zuschauer. Wenn jemand geistig arbeitet, dann will er sich abends vor die Glotze setzen, dann will er entspannen und keine komplizierten Ausführungen über Arbeitslosigkeit im Wattenmeer hören. Er will Comedy oder Pleiten, Pech und Pannen. Das ist die Mechanik des Ganzen, das Fernsehen ist ein Entspannungsmedium.
RTL-Übervater Helmut Thoma
Helmut Thoma (Jahrgang 1939) gilt als Vater des deutschen Privatfernsehens. Er machte RTL von einem Sender mit schlechten Sendefrequenzen, fehlendem Zuschauerpotential und Mangel an Programmware zum erfolgreichesten TV-Angebot in Deutschland. Thoma setzte voll auf sein Motto: "Keine Angst vor seichter Unterhaltung! Erfolgreich ist, was dem Zuschauer gefällt". Er entwickelte zahlreiche wegweisende Formate wie "Explosiv", der "heiße Stuhl" und "Gute Zeiten, schlechte Zeiten". Die Einschaltquoten trieb er durch die Übertragungsrechte von Bundesliga-Fußballspielen nachhaltig in die Höhe und hatte treu auch keine Scheu, entschärfte Pornofilme auszustrahlen. Thoma machte RTL zum Marktführer des Privatfernsehens. Seine Programmgestaltung diente anderen Privatsendern aber auch den öffentlich-rechtlichen Sendern als Vorbild.
Ist deswegen NeunLive so erfolgreich?
Als ich zum Fernsehen gekommen bin, haben wir Kinderspielchen im Fernsehen gemacht. Sachen, die die Leute zu Hause in der Familie gespielt haben - und das hat ihnen gefallen. Das ist ihre Welt. Wenn Bildungsfernsehen funktionieren würde, dann gäbe es überall nur hochgeistige Sendungen. Aber schauen Sie auf Arte! Die haben minimale Einschaltquoten.
Das heißt, Erfolg hat nur derjenige, der dem Zuschauer nach dem Auge sendet?
Warum denn nicht? Das machen doch alle. Wir erbringen eine Dienstleistung und sind darauf angewiesen, unser Publikum zu erreichen. Aber die entscheidende Sache ist: Was ist Niveau? Gibt es irgendwo einen goldenen Niveau-Meter, dass einem sagt: Das ist jetzt Normalniveau, das liegt darunter und das da ist hohes Niveau? Und Flach - was ist schon flach? Im Flachen kann man nicht ersaufen. Allerdings wird im Seichten bald kein Platz mehr sein, das Seichte ist voll.
Müssen wir uns denn darauf einstellen, dass alle Sender nur noch NeunLive machen?
Nein, warum? Es gibt ja auch noch Rahmenbedingungen. Es gibt Grundsätze darüber, was man macht und nicht macht. Die Landesmedienanstalten werden weiterhin die Sender überwachen. Es ist ja nicht so, dass wir hier im Wildwesten leben.
Aber besteht nicht trotzdem die Gefahr, dass es nur noch profilose Fernsehsender gibt, die niemals irgendetwas senden, was die Zuschauer partout nicht sehen wollen?
Der Friseur kann seinem Kunden auch nicht nur die Haare schneiden, wie es ihm gefällt. Letztlich müssen die Sender darauf achten, was die Leute wollen. Aber es wird nicht nur gleiche geben. Und warum? Die Auswahl wird sich mit der neuen Vielfalt ändern. Nehmen Sie Jugendsender, die jeden Schritt von Tokio Hotel begleiten. Die wissen, sie erreichen keine 60-Jährigen, also konzentrieren sie sich auf ihre Zielgruppe. Außerdem wird es so eine große Auswahl geben, da ist für jeden was dabei.
Mit wie vielen Sendern können wir denn rechnen?
Mit Hunderten.
Ganz schön viel.
Es gibt meines Wissens nach rund 3000 Zeitschriftentitel. Darunter absurde wie den "Fliegenfischer" zum Beispiel. So etwas kann man auch als Fernsehen herausbringen. Ein Fischereikanal. Aber vielleicht ist auch der noch viel zu breit. Was geht es den Fliegenfischer an, wenn die Jagd auf den weißen Hai gezeigt wird?
Wie bewahrt man denn den Überblick, wenn irgendwann jeder Erdenbürger sein eigenes Programm machen sollte?
Gegenfrage: In Hamburg gibt es tausende Geschäfte, wie behalten Sie da den Überblick? Und so wird das auch ein. Es gibt es eine Theorie nach jeder nur aus sieben Möglichkeiten auswählt. Nur jeder hat seine sieben. Es kommen viele Spezialprogramme hinzu. Wie etwa LuxTV, an dem ich beteiligt bin. Der Sender zeigt nichts anderes als Luxus. Reportagen in HDTV über die größten Yachten, die neuste Mode. Für jedes noch so kleine Interessensgebiet wird man zumindest versuchen ein Fernsehprogramm zu machen.
Was ist denn mit dem so genannten User Generated Content, oder den Mitmachkanälen?
Das wird in beide Richtungen gehen. Viele Zuschauer sind Couchpotatoes und wollen auch nichts anderes sein. Es gibt zwar schon die erste interaktive Fernbedienung, mit der man etwa Quiz-Fragen beantworten kann. Nur man darf es auch nicht überschätzen. Es wird nicht so kommen, dass man die Sendungen selber gestalten kann. Das ist ja wie das interaktive Restaurant, wo alle Ingredienzien aufgereiht sind und es dann heißt: Koch doch selber.
Die Sender brauchen Portale wie YouTube also nicht zu fürchten?
Die werden sicher eine Rolle spielen, aber auch dass darf man nicht überschätzen. Solange sich die Leute die davor sitzen nicht ändern, wird sich auch das Medium nicht ändern. Viele wollen eben sich nur zurücklehnen und sich berieseln lassen.