Vor den Machern dieses "Tatorts", allen voran Kameramann Filip Zumbrunn, kann man nur den Hut ziehen: Der Sonntagskrimi wurde in einer einzigen Einstellung gedreht. Knapp 90 Minuten ohne Schnitt. Ein Kraftakt für alle Beteiligten, der mit Sicherheit in den kommenden Monaten den ein oder anderen Filmpreis einstreichen wird.
Beim Publikum stieß das TV-Experiment jedoch auf ein enttäuschendes Echo: Weniger als fünf Millionen Zuschauer wollten den "Tatort" sehen. Auch wenn man das gute Wetter mit in Betracht zieht: die Quote war miserabel.
Dem "Tatort" erging es nicht anders als Alfred Hitchcock
Damit erging es den "Tatort"-Machern ähnlich wie dem großen Alfred Hitchcock - der landete mit einem ähnlichen Ansatz 1948 einen Flop an den Kinokassen. Sein auf einem Bühnenstück basierender Kriminalfilm "Cocktail für eine Leiche" ("Rope") kam ohne Schnitt aus. Oder besser gesagt: Er sollte den Anschein erwecken, als sei er in einer einzigen Einstellung entstanden.
Tatsächlich bestand der Film allerdings aus elf Takes - denn mit den damaligen Filmrollen ließen sich damals maximal zehn Minuten am Stück drehen. Hitchcock löste das Problem, indem er den Schnitt verschleierte - er endete eine Einstellung beispielsweise mit dem Blick auf eine Tür und ließ die nächste Filmrolle an dieser Stelle wieder beginnen. Der Zuschauer merkte dadurch nicht, dass hier geschnitten wurde.
Orson Welles und Martin Scorsese
Auch wenn "Cocktail für eine Leiche" der große Erfolg verwehrt blieb, so fand der Ansatz Nachahmer. Die meisten Filmemacher beschränkten sich jedoch auf einzelne, längere Plansequenzen. Etwa die legendäre Einstiegsszene in Orson Welles' "Im Zeichen des Bösen" (1959) - die Robert Altman in seinem Alterswerk "The Player" 1992 zitiert und zu übertreffen versucht. Beide Szenen fanden Eingang in den Filmkanon und zählen heute zum Pflichtprogramm in jeder Filmhochschule.
Nur die wenigsten Filmemacher wagten, einen ganzen Film ohne Schnitt umzusetzen. Eine der wenigen Ausnahmen war der deutsche Regisseur Sebastian Schipper: Sein 140 Minuten langer Film "Victoria" entstand 2015 in einem einzigen Rutsch. Eine Energieleistung, für die Kameramann Sturla Brandth Grøvlen auf der Berlinale im gleichen Jahr den Silbernen Bären für eine herausragende künstlerische Leistung erhielt.
"Birdman" gewann vier Oscars
Dagegen wandte der Mexikaner Alejandro González Iñárritu bei seinem mit vier Oscars ausgezeichneten "Birdman" 2014 ein paar Hitchcock'sche Tricks an: Der Film enthält zwar mehrere Schnitte, allerdings werden sie durch verschiedene Effekte kaschiert.
Der Luzerner "Tatort" zeigt, dass der Ansatz, einen Film ohne Schnitt zu drehen, noch immer spannende Resultate hervorbringen kann.
Das hätte sich Alfred Hitchcock damals wohl nicht träumen lassen. Der Regisseur war von dem Resultat seines Versuchs nicht sonderlich angetan. Im Gespräch mit François Truffaut bezeichnete er "Cocktail für eine Leiche" 1966 als "idiotisch".
Aber was heißt das schon? Briten sind eben für ihr sympathisches Understatement bekannt.
