TV-Kritik "Günther Jauch" Der Soli ist gekommen, um zu bleiben

  • von Sylvie-Sophie Schindler
Was tun mit dem Solidaritätszuschlag? 23 Jahre nach der Wiedervereinigung ist er immer noch da. Soll das so bleiben? Ja, sagt die Politik bei Günther Jauch - und beschwört düstere Zukunftsszenarien.

Die Zahl: 641 Milliarden. Das sind, bis zum jetzigen Zeitpunkt für das Jahr 2014 gerechnet, die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden in Deutschland. Eine Rekordsumme. Allein der Solidaritätszuschlag bringt dem Bund jährlich Milliarden ein. Im Jahr 1991 eingeführt für den Aufbau Ost, für die Dauer eines Jahres angekündigt. 23 Jahre später zahlt der deutsche Steuerzahler immer noch den Soli, keine Änderung in Sicht.

Das treibt die emotionale Eskalationsbereitschaft weiter nach oben - schöne Grüße vom Wutbürger - und lässt auch Günther Jauch auf der Welle mit ihrem erheblichen Skandalisierungspotential mitreiten. Seine aktuelle Talkshow begann der Moderator, der sich auch im Laufe der Sendung in dem Thema sichtlich zuhause fühlte, denn auch mit der Frage: "Bekommt der Staat denn nie genug?" Im Onlineforum formulierte es ein User so: "Steuern, Steuern, Steuern, seid ihr noch ganz sauber, ihr Politiker!"

Nie erlebte "Kaltschnäuzigkeit"

Also: Soli forever? Die Parteien jedenfalls wollen ihn beibehalten und streiten darum, in welcher Form er fortgeführt werden kann. Unter den geladenen Talkgästen war es Hans-Ulrich Jörges aus der stern-Chefredaktion, der die deutlichsten Worte fand. Er sprach von einer "Monsterkoalition", die auf gemeinsamen Beutezug gehe und zwar mit einer "Kaltschnäuzigkeit", wie er es in seinen 40 Jahren als Journalist kaum erlebt habe. Wenn der Soli bestehen bleibe, würde das Vertrauen der Bürger in den Staat weiter beschädigt, so Jörges. Steuerzahler müssten sich das aber nicht gefallen lassen, sie sollten vielmehr den Lokalpolitikern kräftig auf die Füße treten. Die Empörung, so Jörges, dürfe nicht etwa eine Partei wie der AfD, die den Soli abschaffen will, Rückenwind geben. Auch Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler, sprach das zerrüttete Verhältnis zwischen Bürger und Regierenden an: "Es ist an der Zeit, Versprechen einzuhalten."

Also: Weg mit dem Soli? Fest steht: Die Zusatzabgabe wird schon lange nicht mehr allein für den Aufbau Ost verwendet. Na, und? Hannelore Kraft und Markus Söder jedenfalls störte das nicht. Denn darin waren sich die beiden Politiker einig: "Der Soli soll bleiben." Kraft argumentierte, dass es ohnehin nicht anders ginge, denn die Zusatzabgabe würde fünf Prozent des Bundeshaushaltes abdecken. Die Belastung würde bleiben müssen, da müssten Politiker ehrlich sein. Die Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen forderte außerdem: "Auch mein Land soll vom Soli profitieren." Sie hätte steigende Ausgaben, allein für den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz würde eine Milliarde Euro mehr ausgegeben. Auch sonst wusste sie sofort, wohin mit dem Geld: "Unsere Infrastruktur ist nicht in so einem gutem Zustand wie im Osten Deutschlands - jetzt sind wir dran."

"Deutschland muss sich vorsorgen können"

Also: Der Soli als Lückenstopfer? Jörges verwies auf die Schuldenbremse, die ab 2020 auch für die Länder greifen soll. Ohne Kredite aber würden Länder wie Nordrhein-Westfalen nicht zurechtkommen. Kein Wunder also, dass die an dem Soli festhalten wollen. "Das Öl muss in der Pumpe gehalten werden", so Jörges. Und: "Wir zahlen die Schuldenbremse des Staates." Eine Zweckbindung hat der Soli übrigens ebenso wenig wie andere Abgaben. "Es gibt in Deutschland keine zweckgebundenen Steuern, wer das glaubt, hat verloren", rückte Jörges die Tatsachen zurecht. Ohnehin werde das Geld anders investiert als angegeben: Straßen, Brücken, Schulen - "eine Propagandalüge". Kraft, immer darum bemüht, den Talkgästen ins Wort zu fallen, ließ sich nicht beirren. Es gäbe 10.000 Brücken in Deutschland, die saniert werden müssten. Und der Bayerische Finanzminister Söder beschwor gar düstere Zukunftsszenarien und unkte: "In Krisensituation muss Deutschland sich vorsorgen können."

Also: Last Exit Soli? Sich an ihm festkrallen mit der Not eines Ertrinkenden der nach Luft schnappt? Söder jedenfalls schien es in die Hände zu spielen, dass Ministerpräsidentin Kraft die Talkgäste, Söder eingeschlossen, auffallend häufig unterbrach und sich für ihren Finanzhaushalt zu rechtfertigen versuchte. Sein süffisant-beiläufiger Kommentar: "An der Emotion von Frau Kraft sieht man doch, dass sie mit dem Rücken zur Wand steht." Nicht ohne mit der Überlegenheitsattitüde eines Horst Seehofer darauf zu verweisen: "Nicht alle sind so wie Bayern."

"Wer strengt sich denn dann noch an?"

Anderswo gebe es eben unter anderem Strukturschwächen und politische Fehler. Deswegen aber in eine Samariterhaftigkeit zu verfallen, das fiel Söder nun aber nicht ein. Länderfinanzausgleich, für ihn ein rotes Tuch. "Wenn andere Länder zahlen, wer strengt sich dann noch an", so Söder. Die 3,3 Milliarden Euro jährlich für Berlin, die schienen ihm schon schwer im Magen zu liegen. Angeblich, so Söder, würden von dem Geld sogar Babyschalen für Neugeborene gekauft, was das solle. Dieses Statement wenige Minuten vor Sendeschluss in die Runde geworfen, konnte Jauch mithilfe der Recherchen seiner Redaktion widerlegen. Nicht Politiker, aber Krankenhäuser würden dort und da Babyschalen verschenken. Darüber in einer anderen Diskussionsrunde zu sprechen, würde ihm gefallen, stellte Jauch mit einem Lausbubengrinsen fest. Das Schlimme ist: Man könnte ihm sogar glauben, dass das nicht nur als Witz gemeint ist.

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