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Ein Gastbeitrag von Antje Schrupp Die Gewalt von Köln und was jetzt zu tun ist

Die furchtbaren Geschehnisse in Köln rufen Pöbler und Rassisten auf den Plan, die voreilig ihre Schlüsse ziehen und angebliche Lösungen präsentieren. Doch welche Reaktion bringt uns wirklich weiter?

Am Kölner Hauptbahnhof hat es in der Silvesternacht mehrere sexuelle Belästigungen, eine Vergewaltigung und zahlreiche Handy- und Geldbörsendiebstähle gegeben. Täter waren offenbar junge Männer, die in Gruppen auf ihre Opfer losgingen und von vielen Betroffenen als "dem Aussehen nach nordafrikanischer Herkunft" beschrieben wurden. Sie seien stark alkoholisiert gewesen und mit enthemmter Gewalttätigkeit vorgegangen. Nach Auskunft der Polizei gab es bis Montag 80 Geschädigte, die 60 Anzeigen erstatteten, von denen 15 sexuelle Übergriffe und eine Vergewaltigung beinhalteten. Nach einer Pressekonferenz und zahlreichen Medienberichten sind bis Dienstag 30 weitere Anzeigen gemacht worden, zu welchen Delikten im Einzelfall wurde nicht bekannt gegeben.

Diese wenigen Fakten genügen mir, ehrlich gesagt, nicht, um zu wissen, wie ich das, was hier geschehen ist, einordnen soll – abgesehen davon natürlich, dass solch eine Gewalt schrecklich ist und nicht toleriert werden kann. Doch zum Beispiel ist mir nicht klar, wieso die Polizei, die mit 150 Personen vor Ort war, von den sexuellen Übergriffen nichts mitbekommen hat, sie hatte tags darauf noch von einem ruhigen Einsatz gesprochen. Und was haben eigentlich die anderen Leute getan? Konnten oder wollten sie nicht eingreifen?

Die rechte Hetze kotzt mich an

Der Rest des Internets ist offenbar schlauer als ich. Da melden sich Hunderte, Tausende zu Wort, die ganz genau wissen, was jetzt zu tun ist. Die einen wissen, dass das diese Ausländer seien, vor denen sie schon immer gewarnt hätten. Andere schreiben, Angela Merkel sei schuld, man sollte sie dafür hängen. Natürlich seien die Feministinnen schuld, weil sie zwar wegen harmlosen Witzen Aufschreie veranstalten, aber nicht wegen solcher Vorfälle wie in Köln. Rechtsradikale Typen kündigen an, Busse zu organisieren, um nach Köln zu fahren und "weiße deutsche Frauen" zu beschützen.

Zur Person

Antje Schrupp ist Politikwissenschaftlerin, Journalistin und Publizistin. Sie bloggt über gesellschaftliche und feministische Themen - und über Victoria Woodhull, die erste Frau, die Präsidentin der Vereinigten Staaten werden wollte.

Es kotzt mich an, all das zu lesen. Es kotzt mich an, dass die Sicherheit von uns Frauen immer und immer wieder instrumentalisiert wird. Ich hasse diese Scheinheiligkeit, mit der unser potenzielles Leid und unsere Gefährdung für die kleinen oder großen Ränkespiele irgendwelcher Idioten herhalten müssen.

Damit will ich keinesfalls die Gefährdung von Frauen kleinreden oder relativieren, was den Opfern in Köln geschehen ist, ganz im Gegenteil. Denn es ist eben genau dieser rechte Sumpf, der verhindert, dass real bestehende Probleme angegangen und thematisiert werden. Ich weiß nicht, ob es bei der Polizei oder den Medien Leute gibt, die einen eventuell ausländischen Hintergrund von Gewalttätern kleinreden oder leugnen oder verschweigen, aus Angst, dadurch rassistischen Pöbel in Gang zu setzen. Aber wenn es so wäre, dann hätten sie leider allen Grund dazu: Denn einen eventuell ausländischen Hintergrund von Gewalttätern zu benennen, das setzt leider unter Garantie den rassistischen Pöbel in Gang.

Sachliche Ursachenforschung ist gefragt

Gleichzeitig können wir auch nicht darüber hinwegsehen, wenn es - wie in diesem Fall - konkrete Hinweise gibt, dass eine Gewalttat mit einem bestimmten kulturellen Hintergrund korreliert. Frauen müssen jederzeit gehört und ernst genommen werden, wenn sie angegriffen werden, und in jedem Fall müssen die Täter konsequent verfolgt werden, egal wer oder was sie sind. Allerdings mit sachlicher Ursachenforschung, nicht mit hysterischen Schnellschüssen. Und alles, was sich aus den Kölner Ereignissen bisher ablesen lässt ist, dass es auch unter nordafrikanisch aussehenden Männern gewalttätige Arschlöcher gibt.

Zu verdichten scheint sich der Verdacht der Polizei, dass es sich hier um eine organisierte Bande von Taschendieben handelt, die sich möglicherweise gezielt in Köln verabredet hatten. Und von denen dann einige sexuelle Übergriffe dazu benutzt haben, um ihre Opfer abzulenken und so leichter berauben zu können.

Natürlich ist es möglich, dass die – auch – sexuelle Gewalt von Köln in einem Zusammenhang steht mit der kulturellen Herkunft der Täter. Also nicht nur mit ihrer persönlichen, sondern mit einer kulturspezifisch abwertenden Sicht auf Frauen. Aber selbst dann, selbst wenn frauenfeindliche Einstellungen zusammen mit Migrations- und Flüchtlingsbewegungen sozusagen nach Deutschland importiert würden (und ich fände es gut, wenn das mal substanziell untersucht würde, anstatt nur dauernd Bauchmeinungen zu dem Thema herumzuschleudern) – selbst dann könnte das nicht bedeuten, dass Deutschland die Schotten dicht macht und niemanden mehr ins Land lässt.

Flüchtlingen zu helfen ist weiterhin Pflicht

Denn erstens ist das keine Option, wir können keine Berliner Mauer rund um Europa bauen, das ist schlicht unmöglich. Und zweitens, selbst wenn es möglich wäre, wäre es nicht richtig. Flüchtlingen zu helfen, ist das, was jetzt notwendig ist. Und zwar auch dann, wenn es Widrigkeiten mit sich bringt, wenn es Geld kostet und anstrengend ist.

Also strengen wir uns bitte schön an und etablieren eine sichtbare Kultur des Respekts vor der Freiheit der Frauen. Sensibilisieren wir die Polizei dafür, sexuelle Belästigung stärker auf dem Radar zu haben und konsequenter dagegen vorzugehen. Stärken wir Mädchen in Schule und Kindergarten, für ihre Ideen und Ansichten einzustehen, auch gegen Widerstände. Bringen wir Jungen von klein auf bei, dass sie Mädchen und Frauen zu respektieren haben, dass sie nicht aufgrund ihrer Männlichkeit über ihnen stehen. Machen wir bei jeder sich bietenden Gelegenheit klar, dass Frauen sich anziehen und bewegen können, wie sie wollen, und niemand deshalb zu Übergriffen (oder dummen Kommentaren) irgendeiner Art berechtigt ist. Gewöhnen wir es uns an, bei anzüglichen Witzen, sexistischen Sprüchen und übergriffigem Auftreten immer und sofort zu intervenieren: Und zwar nicht nur wir Frauen, sondern auch die Männer, die ihresgleichen dabei konsequent in die Schranken weisen müssen. Ganz egal, welche Herkunft, Religion oder kultureller Hintergrund dabei im Spiel sind – oder wie viel Alkohol.

Das Tollste daran ist: Wir können jetzt sofort damit anfangen.

Der Text von Antje Schrupp erschien ursprünglich auf der Blogger-Plattform "fisch+fleisch".

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