Vergangene Woche war er mal wieder halb tot. Mindestens. Bill Clinton musste ins Krankenhaus, wo ihm Ärzte in einer vierstündigen Operation vernarbtes Gewebe von der Lunge kratzten und Flüssigkeit abpumpten - die Folgen seiner Bypass-OP vom Spätsommer, Routine. Routine? Es gab unentwegt Eilmeldungen und Pressekonferenzen und Bulletins und mediales Doktorspiel auf allen Kanälen. Natürlich überstand der Patient den Eingriff sehr ordentlich und ließ noch vom Krankenbett aus verlauten, dass er alsbald wieder fit sei. Das durfte man ihm glauben, er kann nicht anders.
Es ist nun so, dass US-Präsidenten beim Arzt immer tolle Quoten bringen und immer prima Schlagzeilen. Selbst wenn sich die Amtsinhaber einmal pro Jahr durchchecken lassen, reicht das für die Topmeldung in den Abendnachrichten, "Cholesterin und Harnsäure okay". Das beruhigt die Nation.
Beunruhigend dagegen
waren erschütternde Meldungen wie diese: "Stirbt Bill Clinton?", fragte vor ein paar Wochen das US-Klatschblatt "Globe" auf dem Titel unter einem Bild, auf dem Clinton zwar erschöpft und bleich aussah und doch immer noch lebendiger als Michael Jackson. Enge Freunde und selbst Gattin Hillary, wisperte es im Innenteil düster, würden sich große Sorgen machen, weil er so abgemagert sei und depressiv obendrein. Das Ganze las sich wie ein Nachruf, und in Deutschland assistierte die "Bild"-Zeitung, das Fachorgan für angewandte Sozialforschung, orakelhaft: "Washington tuschelt: Clinton hat seine Rolle als Ex-Präsident immer noch nicht gefunden. Vielleicht macht ihn auch das krank?"
Man begab sich also subito, ehe es zu spät sein würde, auf die Suche nach Spuren des Todgeweihten und fand ihn in Harlem, wo Clinton abends ein Kinderzentrum eröffnen sollte. Der Saal war proppevoll, das Publikum zu 95 Prozent schwarz. Ein Gospelchor sang, und Clinton, Reihe eins, wiegte den Kopf dazu und wippte mit dem rechten Fuß im Takt. Er betrat sodann die Bühne und hielt aus dem Stegreif eine Rede, wie nur er das kann. Er lobte Harlem, wo er sein Büro hat, erzählte von seinen Reisen durch die Welt, sprach von den Kinderhilfsprojekten seiner "Clinton Foundation", seinem Einsatz gegen Aids und sagte: "Ich bin jetzt an dem Punkt, da ich denke, dass niemand, der jünger ist als ich, sterben sollte, wenn das vermieden werden kann." Das war seine einzige Anspielung zum Thema Tod. Nach 15 Minuten schloss er, und die Leute tobten, als wäre gerade er wieder vereidigt worden und nicht Bush.
Für einen Sterbenskranken mit Depressionen sah Bill Clinton erstaunlich munter und eigentlich kein bisschen sterbenskrank und depressiv aus. Gewiss, er hat erheblich abgenommen nach der Bypass-Operation im September und ist nach eigener Diagnose so rank und schlank wie zu High-School-Zeiten. Seine Hände sind knöchrig, seine Stimme noch nicht so fest wie einst. "Mein Stehvermögen ist noch nicht bei hundert Prozent", sagt er selbst. Was immer das bedeuten mag.
Man sollte nicht vergessen: Sein krankes Herz stand während der Bypass-Operation 73 Minuten still, und der 42. Präsident der Vereinigten Staaten sah durch den Narkosenebel "dunkle Masken, Todesmasken" und "weißes Licht", darin sogar Hillary und Tochter Chelsea, halleluja. Dann holten ihn die Chirurgen des Presbyterian Hospital in Manhattan zurück ins Diesseits, erklärten den Eingriff für gelungen und verschrieben dem Promi-Patienten strikte Diät und Ruhe. An die Diät hält er sich.
Hoch oben im 14. Stock eines Backsteingebäudes in Harlem hat Bill Clinton sein Büro mit Blick über den Central Park und die Türme von Midtown. Es ist ein großes, helles Zimmer, die Wände voll mit Büchern, auf dem Fenstersims eine Parade von Erinnerungsfotos: Clinton mit Mandela, Clinton mit Schröder, Clinton mit Bush, Blair, Bono. Er ist natürlich nicht da. Er ist unterwegs.
Jim Kennedy,
Freund und Sprecher, führt durch die lichten Räumlichkeiten und erklärt einem höflich, dass Clinton einen ziemlich prallen Terminkalender habe, und kaum hat er das ausgesprochen, ist sein Chef auch schon zu sehen auf CNN und wettert gegen Bush, weil die US-Regierung so knauserig sei beim Kampf gegen Aids. Kennedy muss grinsen. So mag er ihn, ganz der Alte, kämpferisch und klipp und klar. Nur dünner eben.
Jim Kennedy, Clinton-Intimus aus gemeinsamen Zeiten im Weißen Haus, blättert in seinen Notizen und zitiert aus dem Terminplan des Ex-Präsidenten: Davos, London, Bahamas, New York, North Carolina, weiter nach Jacksonville zum Superbowl, Südostasien, Japan, Taiwan, Washington, Florida, Little Rock in Arkansas. Wo Mitte November seine "Presidential Library" eröffnet wurde, ein 165 Millionen Dollar teurer Stelzenbau über dem Arkansas River. Darin zwei Millionen Fotos, 100.000 Seiten Dokumente, 75.000 Exponate aus acht Jahren im Weißen Haus und die originalgetreue Nachbildung des Oval Office. Clinton hat dort ein stattliches Penthouse für den Fall der Fälle, aber lang hält er's in Little Rock nicht aus, weil eben: Termine, Termine, Termine. Unlängst kehrte er zurück von einem mehrtägigen Trip durch die vom Tsunami verwüsteten Regionen in Südostasien. Dies war zugleich der Beginn einer wunderbaren Freundschaft zwischen ihm und seinem Amtsvorgänger George H. W. Bush. Die beiden ergrauten Präsidenten sind Emissäre für die Opfer-Hilfe, trieben bislang eine Milliarde Dollar Spenden ein und mögen sich offiziell seit neuestem. Ergriffen berichtet der alte Bush, wie der herzensgute Bill ihm auf dem langen Flug in einer Regierungsmaschine das einzige Bett an Bord überließ, sich zum Pokern mit Sicherheitskräften zurückzog und hernach auf dem Boden nächtigte. Kaum gelandet, hetzte das präsidiale Sonderkommando durch Thailand, Indonesien, Sri Lanka und die Malediven. An die Ruhe hält er sich nicht.
Das Problem ist nicht, dass Clinton seine Rolle noch nicht gefunden hat, wie die "Bild"-Zeitung schreibt. Das Problem ist eher, dass er so viele Rollen hat. Clinton ist Redner, Buchautor, Kämpfer gegen Aids und Kinderarmut, Tsunami-Opfer-Helfer, UN-Sondergesandter, Mahner für regelmäßige Herz-Kreislauf-Checks, Verwalter seines eigenen Erbes in der Bibliothek, Ex-Präsident, Berater der Demokraten und nebenbei auch noch Ehemann einer ehrgeizigen Senatorin. Also düst er, carpe diem, durch die Weltgeschichte, als gäb's kein Morgen mehr. "Ich will etwas zurückgeben", sagte er. Wohl wissend, dass er verdammtes Glück hatte und die Operation gerade rechtzeitig kam. "Dodging the bullet", nannte er das, der Kugel gerade noch ausweichen. Tausende von Briefen bekam er und Zigtausende E-Mails mit Genesungswünschen, und ein Bypass-operierter und erklärter Republikaner sagte: "Mr. President, willkommen im Reißverschluss-Klub."
Clinton war so etwas wie der Präsident der Herzen. Nur auf sein eigenes achtete er zu selten. Es gab Zeiten, da taufte ihn die Journaille "Tubba", was so viel bedeutet wie "Fässchen" und noch reichlich geschmeichelt war. Selbst am Tag, als die Ärzte seine defekte Pumpe untersuchten und umgehend zur Bypass-Operation rieten, orderte er unverdrossen Rührei mit Schinken. Vier Tage später öffneten sie ihm den Brustkorb. Vier Wochen später trat er erstmals öffentlich auf. Vier Monate später war er wieder auf Mission. Manchmal, sagte er in seinem bislang einzigen ausführlichen Interview nach dem Herzklabaster, blicke er doch verwundert auf den Politikbetrieb in Washington und frage sich, wie er 20 Jahre Teil des Ganzen sein konnte. Er klang da mit seinen 58 Jahren regelrecht altersweise - "I don't feel the passion about the game", er fühle nicht mehr dieselbe Leidenschaft für dieses Spiel. Nun reicht es ja auch, wenn wenigstens Hillary die Leidenschaft noch spürt und 2008 antritt als Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, was sie natürlich ebenso hartnäckig dementiert wie er vermeintliche Ambitionen auf den Posten des UN-Generalsekretärs.
Hoch oben im 14. Stock in Harlem sitzt der Clinton-Kumpel Jim Kennedy und amüsiert sich über solche Spekulationen. "Generalsekretär? Haben wir nicht einen?" Mr. Kennedy hat einen aufreibenden Job, er pendelt ständig zwischen jüngstem Gericht, "Stirbt Bill Clinton?", und jüngstem Gerücht. Wie neulich wieder, als ihn erschütternde Nachrichten vom Chef erreichten: Der war gesichtet worden auf einem Golfplatz in Miami Beach, und in seinem Mund steckte eine Zigarre wie einst im Oral Office, als die Leidenschaft noch da war. "Keine Sorge, sie war nicht an", beruhigte Kennedy aufgebrachte Reporter aus dem ganzen Land. Die Zigarre war noch verpackt in Zellophan, und Clinton nuckelte lediglich ersatzbefriedigt an ihr, "Safer Smoking". Der Mann hat gelernt. Er wird noch gebraucht. An allen Ecken und Enden des Planeten.