Herr Waltz, waren Sie schon einmal auf einer Comic Con?
Hmhm, ja, war ich schon. Wieso?
Auf diesen Massenveranstaltungen tummeln sich Fantasy-Fans in absurden Kostümen und bestaunen Schauspieler des Genres. Sie haben mit "Alita – Battle Angel" Ihren dritten Fantasy-Film gedreht.
Weiß ich gar nicht. Ich mag nicht so sehr zwischen Genres unterscheiden. Ich finde diese Conventions ganz witzig, aber sie sind auch schwer zu ertragen. Die Fans sind die Attraktion. Die stellen unheimlich schlaue Fragen, kennen den Stoff besser als man selbst. Was das Unerträgliche dort ist, das ist der Kommerzterror.
Was reizt Sie an der Gattung? Ihr erster Fantasy-Film "The Green Hornet" war ...
Ja doch, eher eine Klamotte, ich weiß.
Die beiden anderen wurden von großen Regisseuren gedreht: Terry Gilliam, Robert Rodriguez. War das wichtig?
Das weiß ich nicht. Ich hatte jetzt nichts dagegen, dass ich mit fast ausschließlich großen Regisseuren arbeiten durfte. Das ist das Resultat, aber es ist nicht die Ursache. Ich sitze nicht vor einer Liste und sage: Mit diesem oder jenem will ich arbeiten. Fantasy-Stoffe haben oft einen hochinteressanten Unterbau, und das gefällt mir.
Sind es also unterschätzte Kunstfilme?
Ich sage nicht, dass so ein Film keine große Kunst sein kann, er muss es aber nicht. Außerdem wage ich zu bezweifeln, dass Sie das, was sich in "Alita" visuell tut, schon mal so gesehen haben. Es ist meisterhaft erfasst und umgesetzt.

Die Hauptfigur Alita ist ein Cyborg, ein Roboter mit menschlichen Körperteilen und Bewusstsein. Es geht um die Frage, ab wann das Etwas zum Jemand wird.
Ich würde nicht sagen, dass das der Kern der Erzählung ist, es ist wichtiges Element. All diese Geschichten haben eines gemeinsam: Wenn Sie auf Nervenkitzel aus sind, kommen Sie auf Ihre Kosten. Wenn Sie ein Sentimentalist sind und gerne Schmachtfetzen haben, ist auch diesbezüglich was dabei. Man findet auch die großen Menschheitsfragen, wenn man sie sucht. Kennen Sie das japanische Brettspiel "Go"?
Nein.
Das ist strategisch wie Schach, nur territorialer. Es gibt unterschiedliche Meisterstufen, fast wie bei Kampfsportarten. Das reicht so weit, dass es ein Fünfjähriger mit einem "vierten Dan" spielen kann, und beide kommen auf ihre Kosten. So muss auch ein solcher Film funktionieren.
Wie darf man sich die Fantasiewelt des fünfjährigen Christoph Waltz vorstellen?
Keine Comics. Ich war eher der klassische Märchenleser, wir sind auch früh ins Theater. Aber ich habe nicht ungewöhnlich viel gelesen als Kind, halt das, was der jeweiligen Altersstufe entsprach: Mit acht hab ich "Pippi Langstrumpf" gelesen, mit zwölf Karl May. Der einzige richtige Fantasy-Stoff waren die Bücher von Michael Ende.

Sechs Jahre lang besuchten Sie das Wiener Theresianum, ein Elite-Gymnasium. Halfen literarische Fantasiewelten, dem dortigen Drill zu entfliehen?
So streng war das dort nicht, das ist ein Klischee. Es ist 120 Jahre her, dass es dort militärisch zuging. Im Prinzip eine erstaunlich liberale Schule. Ich bin eher unabsichtlich entflohen, weil ich in Mathematik unsäglich schlecht gewesen bin und es mich irgendwann aus der Kurve geschmissen hat.

Unsere Gegenwart ist näher denn je an dem Cyborg-Thema. Glauben Sie, dass wir beide noch persönliche Erfahrungen mit einer realen künstlichen Intelligenz haben werden?
Ich fürchte, ja. Ich fühle mich terrorisiert von dem Gedanken. Vorgestern hat Elon Musk, dieser mir unerträglich gewordene Wichtigtuer ...
... und Gründer des Raumfahrtunternehmens SpaceX und des Elektroautoherstellers Tesla, der vielen als Pionier gilt ...
Er hat gesagt, dass er zwar auch glaubt, dass die künstliche Intelligenz für den Menschen gefährlich werde und wir uns deshalb damit verbinden müssten. Konkret hat er das Implantieren von Chips ins Gehirn vorgeschlagen, die uns das Internet im Kopf verfügbar machen. Damit meint er, würden wir die Superintelligenz demokratisieren. Ich kapiere nicht, wieso einer, der Milliarden gemacht hat, auf einmal dadurch eine Autorität sein soll. Dieses Verständnis von Geist und auch der Demokratie fällt mir sehr schwer nachzuvollziehen.
Würden artifizielle Persönlichkeiten von uns Menschen als gleichwertig akzeptiert werden?
In China treten Popstars auf, die nur Hologrammprojektionen sind und die von menschlichen Kollegen nicht mehr zu unterscheiden sind. Denen wird jedenfalls applaudiert.
Dafür müssen Sie nicht nach China. Roncalli-Chef Bernhard Paul lässt sich bereits als Clown via Hologramm auf deutsche Kreuzfahrtschiffe projizieren.
Ach so? Na ja, also auf so ein Kreuzfahrtschiff würde ich auch nur als Hologramm wollen. Ich hab grad ein Experiment gemacht und mich für einige Zeit völlig aus dem Informationsfluss verabschiedet. Es ist mir deutlich besser gegangen.
Vielleicht mit dem Glücksgefühl vergleichbar, das man beim Fasten verspürt?
Je weniger ich die Datenflut an mich heranlasse, desto glücklicher und freier fühle ich mich. Weil ich mich dem Wahnsinn entzogen habe. In Amerika ist es besonders übel, man kann keinen Sender aufdrehen, ohne dass einem Trump entgegenschaut.
Vermissen Sie die Zeiten, als die Zukunft noch etwas Verheißungsvolles bedeutete?
Die Zukunft war früher auch besser – ist leider nicht von mir, das hat Karl Valentin gesagt. Wenn man die Fakten berücksichtigt, kann aus der Situation à la longue nichts Gutes werden. Ich beneide schon die Generation meiner Kinder nicht, die darauf folgende noch viel weniger.
Ihre Mutter sagte kürzlich, sie sei froh, den Krieg erlebt zu haben. Seitdem wüsste sie, dass alles nur geliehen sei. Können Sie den Gedanken nachvollziehen?
Na doch, natürlich. Trotzdem ist es ein glücklicher Umstand, dass wir diese Erfahrung nicht machen müssen. Ich bin 1956 geboren, ein Jahr zuvor hat der letzte russische Besatzungssoldat mein Heimatland verlassen. Ich stehe quasi im direkten Zusammenhang mit dem gigantischen Unglück der Menschheitsgeschichte. Heute lebt in Deutschland bereits eine ganze Erwachsenengeneration, die die Mauer nicht mehr erlebt hat.
Was sagt uns das?
Es wäre wichtig, dass wir die Erfahrungen der Vorgängergeneration weitertragen, aber ich befürchte, wir haben darin bereits versagt. Wir haben nicht einmal selbst die Lektion gelernt. Wir sind es, die heute die Probleme verursachen, nicht die Jungen. Die drohenden Katastrophen haben wir verursacht, wir, die Älteren, die es besser wissen hätten können.
Der Regierungschef Ihres Heimatlandes Österreich ist 32 Jahre alt.
Das stimmt. Aber ich nehme diesen Kanzler – der er nun einmal ist – nicht als Veränderer der Geschichte wahr. Obwohl: Auch der Opportunismus kann die Geschichte bestimmen. Er nimmt die FPÖ in Kauf, ohne die wäre er nicht an der Regierung. Selbst wenn es junge Wähler sind, die rechts wählen, haben wir versagt, weil wir ihnen nicht beigebracht haben, die Begriffe, die wir schätzen, auch zu schätzen.
Arnold Schwarzenegger, der andere große österreichische Hollywoodstar, agitiert gegen Trump. Verspüren Sie manchmal den Drang, sich politisch zu äußern?
Ich kann jetzt nicht hinausgehen und missionieren. Nicht jeder Rebell muss zwingend auf der Barrikade stehen und die Fahne schwingen. Kennen Sie die Erzählung "Der Gaulschreck im Rosennetz"?
Eine Schnurre aus der Kaiserzeit.
Ja, kann man so sagen. Es geht um das niederösterreichische Städtchen Scheibbs an der Donau, wo außer Donnerstag, wenn Markttag ist, nichts los ist. Tot, rein gar nichts. Also gehen sie zum Amtmann, um einen zweiten Markttag zu beantragen ...
Der sagt, da könne man auch einen zweiten Donnerstag beantragen.
Ganz genau – und der entspinnt daraufhin eine Schreckensvision, was passieren würde, wenn man zwei Donnerstage in der Woche hätte, was in der Vorstellung des Mannes darin endet, dass das kleine Scheibbs als brennender Trabant um die Erde kreist.
Ich kann Ihnen nicht mehr ganz folgen.
Was ich sagen will: Es muss nicht jede Revolution auf dem Schlachtfeld stattfinden. Auch kleine Veränderungen haben möglicherweise große Auswirkungen. Mit etwas Überlegung, Besonnenheit und Distanz kann man vermutlich mehr Umwälzung bewirken als mit der Teilhabe an der aufgeregten Marktschreierei.
Wissen Sie, wie laut Sigmund Freud die Zivilisation entstanden sein könnte?
Nein?
Die Zivilisation habe jener Mensch begründet, der in einer Auseinandersetzung statt einer Waffe zum ersten Mal ein Schimpfwort eingesetzt habe.
Das ist schon ganz genial. Wir müssen bloß die Wahl der Waffen überdenken. Ich stelle in den USA fest, dass sich beinahe alles in den Extremen sammelt. Selbst beim Fußball oder beim Basketball, alle sind an den Toren oder Körben unterwegs. Wie dumme Buben auf dem Bolzplatz. Es müssen aber auch manche dazwischen agieren.
Ist das jetzt ein Lob des Mittelmaßes?
Nein, aber des Mittelfeldes!